Steht Einwanderern aus Osteuropa Unterstützung zu? Darüber streiten sich Behörden, Gerichte und Sozialverbände. Hamburg hilft ihnen bisher vor allem bei der Rückfahrt.
Im Hamburger Hafen gebe es für ihn Arbeit, hatten sie Christian in Rumänien erzählt. Um seine Frau und seine beiden Kinder ernähren zu können, machte er sich im Februar auf den Weg. 300 Euro hat er für die Fahrt bezahlt. Viel Geld in Rumänien.
Das Zelt, in dem Christian anfangs lebte, hat er sich mit Flaschensammeln finanziert. Arbeit hat er keine gefunden. "Wer will mich denn?", fragt der gelernte Fliesenleger. "Ich stinke und bin dreckig. Schau dir meine Hände an!" Er zeigt seine Handinnenflächen, die fast schwarz sind. Vom Leben auf der Straße, vom Flaschensammeln. Ein bisschen Deutsch beherrscht er schon, aber nicht fließend.
Bis Juni stand Christians Zelt in einem Gebüsch am Rande eines Parks am Nobistor, nahe der Hamburger Reeperbahn. Dort, wo sich nun wieder Einwanderer niedergelassen haben. Dann kamen die Mitarbeiter des zuständigen Bezirksamts Altona, um ihn wegzuschicken. Die Polizeibeamten, die sie mitgebracht hatten, brauchten sie gar nicht: Christian, der seinen vollen Namen nicht veröffentlichen möchte, war zu müde, um sich zu wehren.
Gemeinsam mit Christian zelteten in dem Park damals etwa 50 Menschen, die meisten eingewandert aus Rumänien und Bulgarien. Männer, Frauen, Kinder. Seit Januar ist es den Einwohnern der zwei osteuropäischen Länder gestattet, ohne Erlaubnis in Deutschland sozialversicherungspflichtig zu arbeiten, so wie anderen EU-Bürgern auch. Laut Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 51.000 Rumänen und Bulgaren eingewandert. 2013 waren es im gleichen Zeitraum 37.000.
Als Christian und die anderen Einwanderer aus dem Park vertrieben wurden, forderten Sozialverbände wie die Diakonie, ihnen Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Das aber sah das Bezirksamt anders: Darauf hätten die Familien keinerlei Anspruch.
"Wer zum Zwecke der Arbeitssuche nach Hamburg kommt, kann das gerne tun", sagt Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer. "Er hat dann aber keinen Anspruch auf Sozialleistungen." Schweitzer bemüht das Beispiel eines Deutschen, der zur Arbeitssuche nach Mallorca fliegt: "Der muss ja auch alles selber zahlen." Erst wer Arbeit gefunden und Sozialabgaben gezahlt habe, und sei es nur für einen Monat, habe Ansprüche auf Leistungen vom Staat.
"Die Menschen kommen hierher, um sich eine Existenz aufzubauen", sagt Dirk Hauer. Er leitet beim Diakonischen Werk in Hamburg den Fachbereich Migration und Existenzsicherung und ist so etwas wie der Gegenspieler der Sozialbehörde. Laut IAB haben allein im Monat Mai dieses Jahres 24.000 Rumänen und Bulgaren neue Jobs in Deutschland angefangen. Die Suche nach Arbeit nehme allerdings eine gewisse Zeit in Anspruch, sagt Hauer: "Wenn sie in dieser Zeit nicht unterstützt werden, landen sie auf der Straße." Das könne nicht im Interesse der Gesellschaft sein.
Tatsächlich ist es so, dass rumänischen und bulgarischen Einwanderern durchaus Sozialhilfe zustehen könnte: Zahlreiche Sozialgerichte sind zu diesem Urteil gekommen. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg geht in einer Entscheidung aus dem Mai sogar soweit, dass die Jobcenter den EU-Ausländern "angesichts des existenzsichernden Charakters" bis zur höchstgerichtlichen Klärung zwingend Gelder auszahlen müssten. Dieses Gericht lässt den Behörden keinen Ermessensspielraum.
Der Hamburger Behördensprecher Schweitzer räumt auf Nachfrage ein, dass es Sozialgerichte gebe, die anderer Meinung seien als er. Dann schiebt er allerdings nach: "Es gibt aber genauso Gerichte, die es wie wir sehen." Bisher bietet die Hamburger Sozialbehörde den Rumänen und Bulgaren nur eines an: Eine Rechtsberatung und dazu eine Busfahrkarte in die alte Heimat. Von 2011 bis 2013 haben fast 2.000 Menschen nach diesem Strohhalm gegriffen. Die Stadt hat das mehr als 221.000 Euro gekostet. In diesem Jahr will sie bis zu 176.000 Euro für Fahrkarten ausgeben. Immer wieder berichten Osteuropäer, bei der Beratung zur Rückreise gedrängt worden zu sein.
So wie in Hamburg verhält es sich auch in anderen Städten: Anträge arbeitssuchender EU-Ausländer würden fast immer abgelehnt, sagt Katharina Stamm, Expertin für migrationsspezifische Rechtsfragen bei der Diakonie Deutschland. Häufig würden sie einfach weggeschickt. In den Städten, in denen es viele Anträge gebe, sei die Haltung der Jobcenter besonders restriktiv. Auch Ilona Mirtschin, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit, bestätigt: "Wenn sich jemand hier lediglich zur Arbeitssuche aufhält, gibt’s kein Hartz IV."
Die Situation des Rumänen Christian und anderer Osteuropäer wird sich solange nicht ändern, bis das Bundessozialgericht und der Europäische Gerichtshof (EuGH) in dieser Frage entschieden haben. "Wir überprüfen unsere Rechtsauffassung gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium erst dann, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung gibt", sagt Arbeitsagentursprecherin Mirtschin. Eine solches Urteil wird für den Winter vom EuGH erwartet.
Was, wenn den Wanderarbeitern dann offiziell Unterstützung zusteht? "Darunter würde die gesamte Gesellschaft leiden", sagt Behördensprecher Schweitzer, der vor seiner Anstellung bei Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) Pressesprecher beim Bund der Steuerzahler war.
Dirk Hauer vom Diakonischen Werk plädiert dafür, dass der Bund in diesem Fall den Kommunen unter die Arme greifen müsste. "Es kann ja nicht sein, dass über Sozialrechte nach Haushaltslage entschieden wird", sagt er. "Es geht nicht um Almosen, sondern um Rechtsansprüche."
Fest steht, dass Menschen wie Christian die Leidtragenden der ungeklärten Rechtssituation sind. Das einzige, was er nach der Räumung seines Zeltplatzes Mitte Juni bekam, waren belegte Brötchen, die Behördenmitarbeiter verteilten. Trotzdem ist der ehemalige Fliesenleger jetzt wieder hoffnungsfroh: Er ist bei einem Freund auf der Couch untergekommen. Und er hat einen Job in Aussicht. In der Pommesbude eines Freibades.