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Warum alle den Finanzminister stellen wollen

Unionspolitiker wollen, dass Wolfgang Schäuble Bundesfinanzminister bleibt.

Drei Gründe, warum das Finanzressort längst attraktiver ist als das Außenministerium.


Die Wilhelmstraße 97 in Berlin ist das Objekt der Begierde. Wolfgang Schäuble würde gerne Hausherr bleiben im dortigen Bundesministerium der Finanzen. Jürgen Trittin wäre gerne dort eingezogen, hätte er mitsamt seiner Partei keine derartige Bauchlandung bei der Bundestagswahl hingelegt. Und nun hat die SPD ihrerseits Besitzansprüche angemeldet: Eine große Koalition gebe es „nur, wenn wir das Finanzministerium bekommen", sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs.

Der Posten des Finanzministers ist heutzutage das, was noch vor wenigen Jahren der des Außenministers war: Traumjob des Juniorpartners einer Koalition auf Bundesebene. War es noch für Joschka Fischer im Jahr 1998 oder für Guido Westerwelle 2009 das höchste der Gefühle, das Auswärtige Amt leiten zu dürfen, würde sich ein Sigmar Gabriel bei anstehenden Koalitionsverhandlungen damit offenbar nicht zufriedengeben. Dieses Phänomen zeigt, wie sich die Prioritäten innerhalb der Ressorts in den vergangenen Jahren verschoben haben:


Erstens: Haushaltsfragen sind in den Mittelpunkt der politischen Diskussion gerückt. Mit Ausnahme der Linken sind sich alle großen Parteien einig, dass Staatseinnahmen und -ausgaben möglichst bald ausgeglichen werden müssen und der Bund seine Neuverschuldung abbauen sollte, um künftige Generationen zu entlasten. Der Bundesfinanzminister hat dabei die tragende Rolle, seine Kabinettskollegen zum Sparen zu ermahnen, zwischen den Ressortinteressen abzuwägen und schließlich einen möglichst ausgeglichenen Haushaltsplan vorzulegen. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, wonach die um Konjunkturschwankungen bereinigte Neuverschuldung des Bundes ab 2016 nur noch maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen darf, lässt diese Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode noch bedeutsamer erscheinen.

Das Grundgesetz gesteht dem Bundesfinanzminister zudem ein Vetorecht bei allen finanzpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung zu, das sogar gegenüber dem Bundeskanzleramt gilt. Auch „überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben" bedürfen nach Artikel 112 der Zustimmung des Finanzministers. Angesichts eines sehr starken Seniorpartners CDU will die SPD in einer möglichen großen Koalition nicht auf dieses Machtinstrument verzichten.

Zweitens: Die folgenschwere Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 hat gezeigt, dass die Finanzmärkte einen stärkeren Ordnungsrahmen brauchen als bisher. Gerade die SPD hat sich im Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben, die Finanzmärkte künftig stärker regulieren zu wollen. Will sie mögliche Erfolge in diesem Bereich für sich verbuchen, wird sie den Finanzminister in einer großen Koalition stellen müssen. Denn egal ob Verbote riskanter Geschäfte, Einführung einer Transaktionssteuer oder Kontrolle von Ratingagenturen: Die entsprechenden Gesetze werden im Finanzministerium entwickelt.

Drittens: Während der Eurokrise ist die außenpolitische Bedeutung des Finanzministers stark gestiegen. Den Krisentreffen der Eurogruppe oder den Sitzungen des Rates der EU-Finanzminister wurde über weite Strecken mehr Beachtung geschenkt als vielen Beratungen der Vereinten Nationen, an denen Außenminister Westerwelle teilgenommen hatte. Will ein möglicher Juniorpartner SPD außerhalb der Landesgrenzen wahrgenommen werden, dürfte der Posten des Finanzministers noch die besten Möglichkeiten bieten. Eigene Akzente in der Eurorettung werden die Sozialdemokraten nur vom Bundesfinanzministerium aus setzen können, denn dort werden die deutschen Positionen zu Haushalts- und Finanzfragen der Europäischen Union erarbeitet, also auch zu den umstrittenen Rettungspaketen.


Außen- und Wirtschaftsministerium werden relativ unwichtiger

Im Zuge dieser Machtverlagerung verliert nicht nur das Außenministerium relativ an Bedeutung. Auch Macht und Budget des Wirtschaftsministeriums schwinden. Deshalb hatte der Wirtschaftsflügel der Union Ende September angeregt, Kompetenzen ins Wirtschaftsministerium umzulagern. Neben der Energiepolitik nannte der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und CSU, Josef Schlarmann, Europa-, Geld- und Kreditfragen. Mit einem solchen Ressortumbau könnte sich die Union eine Hintertür zu diesen Kompetenzen offenhalten, sollte das Finanzministerium wirklich an den Koalitionspartner gehen.

Das versucht die Union unterdessen zu verhindern. An keinem Ministerium scheinen CDU und CSU so zu hängen wie am Finanzressort. Nach dem ersten Sondierungsgespräch am Freitag zeigte sich die Union etwa dazu bereit, dass Ursula von der Leyen an die Spitze eines anderen Ressorts wechseln könnte, um den Weg für ein SPD-geführtes Bundesarbeitsministerium freizumachen. Von einem Amtsverzicht Wolfgang Schäubles war dagegen keine Rede.


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