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Journalistische Ethik: Für einen klaren Werte-Kompass in den Medien

Immer wieder wird Journalisten vorgeworfen, sie hätten keine Ethik. Doch was ist das überhaupt: Ethik für Journalisten? Unser Autor Benedikt Bögle hat einige der wichtigsten Regeln zusammengefasst. Es ist nicht immer leicht, ethisch korrekt zu bleiben. Aber es ist wichtig.

Was ein Journalist darf oder nicht darf, regelt das Gesetz. Doch ohne über das rechtliche Mindestmaß hinausgehende ethische Grundhaltungen kann kein Journalist glaubwürdig, unabhängig und fair sein. In einer freien Gesellschaft brauchen wir Ethik. Um ein solches ethisches Niveau zu garantieren, gibt es den Pressekodex, der einige wichtige journalistische Grundregeln festschreibt. Wer dagegen verstößt, kann vom Deutschen Presserat gerügt werden und muss diese Rüge dann auch abdrucken. Die Veröffentlichung der Rüge ist kein gesetzliches Muss, würde aber von Fairness und Ehrlichkeit zeugen. Für jeden Leser wird dann ersichtlich, wo und wie seine Zeitung falsch gehandelt hat. Damit es gar nicht erst zu einer Rüge kommt: hier die wichtigsten ethischen Grundsätze des Pressekodex.

Ehrlichkeit bei der Recherche

Schon vor dem eigentlichen Schreiben müssen Journalisten sorgfältig sein. Muss ich mich etwa als Journalist ausweisen? Manchmal bekommt man einfach keine Informationen, wenn jeder weiß, dass diese Informationen später für einen Artikel - möglicherweise gar unvorteilhaft und schädigend - verwendet werden. Der Pressekodex bezieht hier klar Stellung: Wer als Journalist recherchiert, muss das auch jedem sagen (Richtlinie 4.1.). Ausnahmen bestehen nur, wenn die verdeckte Recherche zur Ermittlung von Informationen mit außerordentlich großer Bedeutung für die Öffentlichkeit ist. Bestes Beispiel ist Günter Wallraff. Dieser Journalist recherchierte verdeckt - etwa in Altenheimen. Dort konnte er nachweisen, dass alte Menschen oft vernachlässigt, teilweise in diesen Heimen gar gequält wurden. Hätte Wallraff bei seinen verdeckten Recherchen etwa in den Altenheimen seine wahre Identität bzw. die Identität seiner Mitarbeiter offen gelegt, hätte er vermutlich keine Ergebnisse erzielt. Seine Berichte aber waren und sind von sehr großem Interesse für die Öffentlichkeit - er also darf seinen Beruf verschweigen. Das ist aber nur eine Ausnahme.

Keine falschen Überspitzungen

Einen Artikel zu schreiben, ist nicht immer einfach. Jede Zeitung will verkauft und gelesen werden - das funktioniert aber nur, wenn der Inhalt und die Schlagzeilen spannend sind. Die Versuchung ist deshalb groß, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen: Eine eigentlich völlig unspektakuläre Geschichte wird so aufgemacht, dass sie interessiert, polarisiert und zum Kaufen und Lesen animiert. Redlich ist das nicht, weder dem Leser noch dem Thema oder den im Artikel vorkommenden Personen gegenüber. Das Gleiche gilt auch für Bilder: Manch ein Thema ist nur sehr schwer zu bebildern. Ein Interview mit einem Universitätsprofessor, eine Buchrezension, ein neuer Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Deshalb ist es verlockend, Bilder zu bearbeiten, besonders gewalttätige Bilder zu benutzen oder sogar Bilder auszusuchen, die mit dem Thema des Artikels nicht sonderlich viel zu tun haben. Auch das ist nicht fair. Hohe Auflagenzahlen sind wichtig, ein ethisch und rechtlich korrekter Journalismus ist wichtiger. Journalismus darf und muss manchmal überspitzen, muss dabei aber immer ehrlich bleiben. Der Pressekodex spricht eine klare Sprache: „Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen (...) sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben." (Ziffer 2 des Pressekodex)

Wirtschaftlich unabhängig bleiben

Wallraff-Reportagen zu schreiben und das Bild für den Aufmacher der Zeitung auszusuchen, gehört nicht zu den ersten Aufgaben eines Praktikanten oder angehenden Journalisten. Von Anfang an aber steht man in der Gefahr, wirtschaftlich oder persönlich abhängig zu werden. Viele Lokalzeitungen berichten etwa über Unternehmen, die für die Stadt oder Region wichtig sind. Das ist oft auch berechtigt: An Unternehmen hängen Arbeitsplätze und in manchen Fällen auch ein großer Teil des wirtschaftlichen Wohlstandes einer ganzen Region. Aber auch kleine Unternehmen sind es wert, dass über sie berichtet wird: Der Buchhändler, der sich trotz großer Online-Versände immer noch behaupten kann und einen kleinen, romantischen Laden führt. Oder die junge Idealistin, die aus Überzeugung ein kleines Geschäft für ökofaire Lebensmittel eröffnet. Themen, die auch ein Praktikant einmal übernehmen kann.

Was aber tut man, wenn sich der Buchhändler oder die Bio-Unternehmerin so über diesen Bericht freuen, dass sie ein kleines Geschenk mit auf den Weg geben? Einen neuen Roman vielleicht, oder einen Korb mit frischem Gemüse? An diesem Punkt machen sich Journalisten oft und immer wieder abhängig. Objektiv über jemanden zu berichten, von dem man Geschenke annimmt, ist unmöglich. Viele Medienhäuser kennen deswegen den Grundsatz, dass Redakteure überhaupt keine Geschenke annehmen dürfen. Manchmal aber ist das unmöglich. Müsste der Kulturredakteur jedes Buch kaufen, das er rezensieren möchte, würde er keine Rezensionen mehr schreiben. Müsste der Restaurantkritiker jedes auch noch so teure Essen selbst bezahlen, gäbe es bald keine Restaurantkritiken mehr. Die große Herausforderung: Immer im Einzelfall abwägen. Mache ich mich abhängig oder nicht? Kann ich über das schlechte Essen eines Restaurants auch öffentlich sagen, dass es schlecht ist, wenn ich nichts dafür bezahlen musste?

Die Würde des Menschen ist unantastbar

„Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftig Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse." Schon diese erste Ziffer des Pressekodex zeigt, worin die wichtigste ethische Regel für Journalisten besteht: Die Persönlichkeit der Menschen, über die man berichtet, ist immer zu achten. Jeder Mensch hat das Recht darauf, nicht medial ausgezogen zu werden, das Recht, gewisse private Dinge für sich behalten zu dürfen. Dieser Grundsatz wird allzu oft gebrochen, immer dann, wenn Namen von Opfern oder Tätern eines noch ungeklärten Gewaltverbrechens bekannt gegeben werden, wenn religiöse Überzeugungen ins Lächerliche gezogen werden oder Ausländer diskriminiert werden. Ein bekanntes Beispiel: Zwei Jugendliche mit ausländischen Wurzeln begehen eine Gewalttat. Viele Zeitungen werden über diese Tat berichten und die meisten von ihnen werden nicht nur von „zwei Jugendlichen" sprechen - sondern auch die Herkunft der Täter nennen. Spielt das eine Rolle? Ist es von Bedeutung, dass es sich möglicherweise um zwei Albaner oder zwei Syrer oder aber um zwei Jugendliche handelt, deren ganze Familie „deutsch" ist? Nein, meist spielt das keine Rolle - hier sollte man von einer Erwähnung absehen, um keine rassistischen und ausländerfeindlichen Ressentiments zu fördern.

Auch mit Krankheiten bekannter Persönlichkeiten wird oft wenig sorgsam umgegangen. Wird ein Sportler oder eine Schauspielerin krank, muss sie es nicht hinnehmen, dass diese Krankheit in allen Zeitungen breit getreten wird. Es ist ihr Recht, diese Krankheit für sich zu behalten und nicht mit ganz Deutschland teilen zu müssen. Anders verhält sich das bei Menschen, die ein politisches Amt anstreben. Wird bekannt, dass etwa der neue Bundespräsident schwer krank ist, geht das die Öffentlichkeit etwas an: Es betrifft seine Leistungsfähigkeit in dem Amt, in das er demokratisch vom Volk beziehungsweise dessen Vertretern gewählt wurde. Generell gilt: „Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessene sensationelle Darstellung zu vermeiden" (Ziffer 14 des Pressekodex). Der einzelne Fall muss immer genau abgewogen werden. Eine ganz pauschale Lösung kann nicht immer gefunden werden. Umso wichtiger ist es, sich kontinuierlich mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen und sich auch im stressigen Redaktionsalltag die Zeit zu nehmen, über die ethischen Konsequenzen einer bestimmten Entscheidung, Bilderunterschrift oder Schlagzeile nachzudenken. Der Pressekodex des Deutschen Presserates gibt Richtlinien vor, wie ethischer Journalismus sein muss. Sich daran zu halten ist nicht immer leicht. Aber wichtig. Für jeden Journalisten empfiehlt sich immer wieder aufs Neue der Blick in den Pressekodex. Damit verbunden sollte immer wieder die Frage gestellt werden: Halte ich mich daran? Bin ich ein ethisch verantwortlicher Journalist?

Der Presskodex des deutschen Presserates kann hier abgerufen werden.
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