Benannt ist das Album nach dem Wysing Arts Centre in Cambridgeshire, das Abbott im Winter 2012 für sechs Wochen als Hausmusiker buchte. Die Liveaufnahmen aus dieser Zeit, die teils vor Publikum, teils in einem temporären Studio vor Ort aufgenommen wurden, ergeben in überarbeiteter Form nun ein amalgames Ganzes. Abbotts selbsterklärter Anspruch ist es, die melodiösen Aspekte elektronischer Musik herauszustellen und damit die reine technische Übung des Produzierens elektronischer Musik zu einer menschlichen Performance zu machen. Abbott nennt als Einflüsse für seine Momentaufnahmen den spirituellen Jazz von Don Cherry und Alice Coltrane sowie den Komponisten Terry Riley, auch hätten die Abgelegenheit des Wysing Arts Centre und das resultierende Gefühl von Distanz zur Außenwelt den Sound des Albums geprägt.
„Two Degrees" ist der langsame Beginn einer Soundreise durch Klänge, Bass und Gefrickel. Ambient wird bei Luke Abbott groß geschrieben: Schon der zweite Track „Amphis" lässt sich zwölfeinhalb Minuten Zeit, um sein Ende beziehungsweise den Übergang zum Nachfolgestück zu finden. Nach unruhigen Überlagerungen und einem gewissen Tongewirr kommt selbst der Bass gegen Ende zur Ruhe und schlägt nur noch vereinzelt aus, ein letztes Mal bäumen sich die Synthesizer auf. Was bleibt, sind breite Klangflächen, die im nächsten Song abrupt durch eine Art Minimal Techno auf Valium abgelöst werden. Der Titel „Unfurling" wird seiner an sich schon organischen Bedeutung und dem Klang des Wortes mehr als gerecht.
Letztendlich ist „Wysing Forest" ein einziger 52-minütiger Sphärentrip, der nur wegen der gängigen Konventionen in Tracks aufgeteilt ist und am Besten an einem Stück gehört wird. Nur so kann man die Klangreise, die Abbott mit seinen Liveaufnahmen bestreitet, wirklich nachvollziehen. Das Album so zu strukturieren, dass es als Ganzes funktioniert, sei eine ziemliche Herausforderung gewesen, fast eine größere als die Musik selbst, sagt Abbott über die Genese seines Zweitlings.
„Free Migration" und „Highrise" schrauben das Tempo etwas nach oben und brechen vor allem die Ruhe der vorigen Tracks auf. Gerade Letzterer zieht die Beatschraube deutlich an und wagt Ausfläge in minimal-housige Ecken der elektronischen Welt, aber auch diese schnelleren Stücke werden behutsam in die Grundstruktur und den Tonus des Albums eingebettet. Das auf „Highrise" folgende „Tree Spirit" steht mit seiner spirituellen, beschwörerischen Anmutung eigentlich im starken Kontrast zum vorigen Track, trotzdem schafft Abbott einen Übergang, der sowohl auf eine etwas undurchsichtige Art und Weise Sinn ergibt und auch hörbar ist. Später wird der Track durch brachiale Synthieschnalzer aufgeweckt, der wabernde Bass lässt sich davon aber nur kurz stören.
Kurz vor Schluss drischt der Einminüter „Snippet" nach dem ausgedehnten „The Balance Of Power" Störgeräusche und eine bedrohliche Ästhetik in die Hörgänge, bevor eine achtminütige Reprise von „Amphis" wieder in ereignisarme und weite Sphären mitnimmt. Das Gefühl von Verlorenheit bleibt auch dann bestehen, wenn der letzte Ton verhallt ist. „Wysing Forest" macht etwas ratlos und man fragt sich, was genau dort eigentlich in den letzten 50 Minuten aus den Lautsprechern gekommen ist. Dass „Highrise" und „Free Migration" die relative Gleichförmigkeit des Albums aufbrechen, ist eine spannende Abwechslung und als Anhaltspunkt inmitten der musikalischen Definitionslosigkeit wirklich unerlässlich. Luke Abbotts Musik verlangt auf jeden Fall ein unkonventionelles Hörverhalten und Geduld mit einem Sound, der sich langsam entwickelt und manchmal auch einfach verhallt, statt zu einem Höhepunkt zu finden.