„I never listen to myself and I never said one word about it," bedauert Krell in „What You Wanted" und packt erst dann den Bass aus. Genau diese wiederkehrende Diskrepanz zwischen Zerbrechlichkeit und Brachialität ist stilgebend für die Musik von How To Dress Well, sie klingt in etwa so, als hätte sich Perfume Genius in einen massiven Basslauf verirrt und die Orientierung verloren. Tom Krell gehört zur Avantgarde eines neuen R'n'B à la James Blake, SOHN, Kwabs oder BANKS, den er konsequent seit dem ersten Album produziert und der jetzt der Sound der Stunde ist.
Die zweite Single „Repeat Pleasure" klingt stark nach Boygroup, was nicht unbedingt eine Beleidigung sein muss: Je nach Musikgeschmack ist das schlicht perfekt produzierter Electropop oder eben glattgebügelter Weichspülerersatz. „Precious Love" strapaziert dann aber selbst gewöhnte oder geneigte Ohren mit einer Art destilliertem Zuckerwattepop, bei dem Tom Krell gegen Ende zeigt, dass seine Stimme sich auch noch eine Oktave weiter oben zurechtfindet. Der vorletzte Track „Very Best Friend" klingt mit seinen Claps und dem Bass zwar wie eine Art entschleunigte Disclosure, schließt sich von der textlichen Cheesiness aber direkt an „Repeat Pleasure" und „Precious Love" an.
Richtig gut wird How To Dress Well in den Momenten, wenn der Beat wabert und die Claps genau an den richtigen Stellen die Stille durchbrechen. „Who knows if I love you, baby, but you're the only one thing on my mind," singt Krell im Song „Words I Don't Remember" und treibt damit den Kitsch auf die Spitze, während sich minimalistisch untermalend ein Sound ausbreitet, der eine direkte Fortentwicklung von „& It Was U" zu sein scheint. Dann kulminiert das Ganze in einem den Gesang verschluckenden Bassdurcheinander, bevor auf „Pour Cyril" der Bass zu Beginn komplett ausbleibt und stattdessen zuerst orchestral-elektronische Sphärensounds die Stille durchbrechen, gefolgt von Trompeten und Gesang. Hier könnte glatt Active Child seine Finger im Spiel gehabt haben, auf dessen letztem Album How To Dress Well im Song „Playing House" mitwirkte und der in seinem Sphärenpop ebenfalls orchestrale Sounds mit pathosgefülltem Gesang und Beats mischt.
Mit „A Power" wartet gegen Ende des Albums eine weitere Upbeat-Balladen-Mischung, die wieder in vollen Zügen aus der Gefühlswelt schöpft, welche schon in der Presseinfo ausführlich aufgelistet ist. Schmerz, Tod, Angst, Kontrollverlust, Albträume und Unbehagen verdichten sich zu einer beatunterlegten Therapiesitzung, die sich auch zum Schluss bei „House Inside (Future Is Older Than The Past)" in Stadionpop-Atmosphäre fortsetzt. Nach dem Durchhören könnte den einen oder anderen Hörer das dringende Bedürfnis überkommen, gegen die Überzuckerung eine Runde Slipknot oder System Of A Down einzuwerfen. Den Pathospop hätte How To Dress Well lieber weiterhin Active Child und anderen überlassen und stattdessen den Sound des Vorgängers „Total Loss" konsequent weiterentwickeln können, denn die minimalistisch-groovigen Momente seines dritten Albums sind von erster Güte und verlangen händeringend nach mehr. So bleibt nach der Überdosis Zuckerwattepop aber nur ein gemischtes Gefühl und die Frage, ob der Ausflug in die Cheesiness denn wenigstens der Bekanntheit auf die Sprünge helfen kann, denn davon hat How To Dress Well trotz des hohen Kitschfaktors defintiv noch mehr verdient.