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Kommissar: Wie es wirklich ist

Sechs tote Italiener in einer Einfahrt, nur hundert Meter vom Duisburger Hauptbahnhof entfernt. Ich war damals Chef der Mordkommission in Duisburg, aber so was hatte ich noch nie erlebt. Die Mafiamorde 2007 waren der größte Fall meiner Berufslaufbahn.

Dass es sich um Auftragsmorde handelte, war klar: Ein Überwachungsvideo zeigte zwei Täter, die sich vom Tatort entfernten. Das Fluchtfahrzeug war nur als Schatten auf dem Video zu sehen. Das Restaurant Da Bruno, wo die Opfer zuvor gegessen hatten, konnten wir zwar der kalabrischen Mafia, der 'Ndrangheta, zuordnen, aber das half uns überhaupt nicht. Wir wussten ja gar nicht, welcher Mafioso überhaupt zu welcher Familie gehört. Außerdem trugen viele denselben Namen. Einen Francesco Giorgi hatten wir 78-mal erfasst.

Ich würde nicht sagen, dass ich Angst vor der Mafia hatte, aber der Gefahr war ich mir schon bewusst. Ich merkte auch, wie sich meine Sinne schärften. Wenn ich aus dem Haus ging, schaute ich jetzt immer sehr genau hin: Was passt hier nicht ins Bild?

Wir fanden später heraus, dass die Morde in Duisburg die Eskalation einer alten Familienfehde im kalabrischen Dorf San Luca waren. Die Braut eines Clanchefs war dort erschossen worden. Es ging also um Rache. Ein Phantombild aus der Duisburger Nacht brachte uns auf den Pizzabäcker Giovanni Strangio, der laut italienischen Kollegen damals in San Luca mit scharfer Waffe bei der Beerdigung der getöteten Mafiadame aufgetaucht war.

Strangios Spur führte dann nach Amsterdam, er hatte sich zu seinem Schwager abgesetzt. Den observierten wir gemeinsam mit den niederländischen Kollegen. Ich war so lange in Amsterdam, dass ich mir Unterhosen nachkaufen musste. Außerdem war ich nächtelang wach. Ohne meine Frau, mit der ich damals oft über den Fall gesprochen habe, hätte ich das sicher nicht durchgehalten. Aber irgendwann fanden wir Strangio tatsächlich - und griffen zu.

Jetzt wollten wir auch unbedingt noch das Tatfahrzeug finden, damit es uns zum zweiten Täter führt. Also haben wir die Flucht in der Mordnacht einfach mit allen gängigen Automodellen nachgespielt. Die verschiedenen Schatten auf dem Video haben wir fototechnisch auswerten lassen und rausgefunden, dass es ein Renault Clio war. Der Wagen fand sich einige Zeit später in Belgien, fluchtartig verlassen, sogar der Zündschlüssel steckte noch.

Mit der DNA, die wir im Auto sicherstellten, konnten wir tatsächlich den zweiten Täter überführen: Es war der Bruder des Clanchefs, dessen Frau getötet worden war.

Heinz Sprenger

64, pensionierter Kommissar und Autor des Buchs Der wahre Schimanski.

Protokoll: Benedict Wermter

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