Kein Land hat im vergangenen Jahr mehr Flüchtlinge aufgenommen als Uganda. Mittlerweile leben 1,3 Millionen im Land, und täglich kommen mehrere Hundert dazu. Musa Ecweru, als Staatsminister für Flüchtlinge zuständig, setzt dennoch auf Hilfe statt Abschottung.
"Migration wird nicht gestoppt, indem man versucht, sich abzugrenzen", sagt der Minister im Interview mit dem SPIEGEL. Um Menschen von der gefährlichen Flucht über das Mittelmeer abzuhalten, reiche es nicht, Warlords und Milizen in Libyen Geld zu geben.
SPIEGEL ONLINE: Herr Ecweru, wann macht Ihre Regierung die Grenze dicht?
Ecweru: Die Grenze bleibt offen. Die Leute fliehen vor Krieg und Verfolgung, die ihnen im Südsudan drohen. Wir werden niemandem, der Schutz sucht, die Tür vor der Nase zuschlagen.
SPIEGEL ONLINE: Im Juni hatte ihre Regierung zum Flüchtlingskrisengipfel nach Kampala eingeladen. Zwei Milliarden Dollar haben sie damals von der Internationalen Gemeinschaft gefordert, um die Krise zu bewältigen. Wie viel Unterstützung haben sie bislang bekommen?
Ecweru: Der Gipfel war insofern ein Erfolg, als wir der Weltgemeinschaft zeigen konnten, welche Arbeit wir Ugander leisten und vor welch historischer Aufgabe wir stehen. Fest zugesagt wurden bislang aber nur 358 Millionen Dollar.
SPIEGEL ONLINE: Was wird passieren, wenn die Hilfe im gefordertem Umfang ausbleibt?
Ecweru: Wir werden hier in Uganda eine Hungerkrise haben. Aber ich verspreche Ihnen, wir werden selbst dann niemanden abweisen oder zurückschicken in den Krieg. Eher hungern wir zusammen, Ugander und Flüchtlinge, Brüder und Schwestern.
SPIEGEL ONLINE: Wieso fliehen die Menschen aus dem Südsudan nach Uganda - und nicht nach Europa?
Ecweru: Weil es ihnen hier besser geht. Hier sind sie willkommen, hier haben sie Sicherheit und Gewissheit, die sie nicht finden, wenn sie bei der Flucht erneut ihr Leben riskieren. Das Mittelmeer ist zum Massengrab geworden für uns Afrikaner. Es macht mich persönlich unglaublich traurig, wenn ich täglich in den Nachrichten sehen muss, wie unsere Leute ertrinken, bei dem Versuch nach Europa zu gelangen.
SPIEGEL ONLINE: Der Fokus der europäischen Migrationspolitik liegt derzeit darauf, Menschen daran zu hindern, nach Europa zu kommen.
Ecweru: Die Anzahl der Flüchtlinge, die Europa aufnimmt, ist ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man das mit der Zahl der Flüchtlinge auf dem afrikanischen Kontinent vergleicht. Aber ich finde den Ansatz richtig: Es ist besser, wenn die Flüchtlinge hier versorgt werden, als wenn man versucht, Tausende Menschen in eine komplett fremde Kultur zu integrieren.
SPIEGEL ONLINE: Wie finden Sie es, dass die EU gerade versucht, einen Milliarden-Deal mit Libyen auszuhandeln, um die zentrale Mittelmeerroute zu schließen?
Ecweru: Ein Problem wird nicht beseitigt, wenn man Warlords und Milizen dafür bezahlt, es zu lösen. Solange es in Libyen keinen Rechtsstaat mit funktionierendem Sicherheitsapparat gibt, sind solche Überlegungen sinnlos. Es war einer der größten Fehler unserer Zeit, Gaddafi zu töten, ohne einen Plan B für Libyen in der Hinterhand zu haben. Gaddafi war ein Diktator, das muss man nicht schönreden, aber zu seiner Zeit gab es staatliche Strukturen. Es gab keine Sklaventreiber, die Millionen verdienen mit leeren Versprechen vom Paradies Europa.
SPIEGEL ONLINE: Was fordern Sie von der europäischen Politik?
Ecweru: Zum einen muss Europa seiner Pflicht nachkommen und sich um die Menschen kümmern, die dort Zuflucht suchen. Zum anderen sollte die EU die Länder in Afrika unterstützen, die sich wie Uganda bereit erklären, Flüchtlinge aufzunehmen. Das kostet viel Geld, aber dann würden die Menschen hierbleiben. Damit wäre allen geholfen.
SPIEGEL ONLINE: Viele Menschen in Europa fürchten sich davor, dass mit Migranten und Flüchtlingen Terrorismus importiert wird. Haben Sie Verständnis für diese Ängste?
Ecweru: Ich glaube, das ist eines der größten Probleme, die die europäische Politik derzeit hat: Sie schafft es nicht, Flüchtlingsthematik und Terrorismus klar voneinander zu trennen. Beides wird so vermischt, dass das Bild entsteht: Flüchtlinge bringen Terrorismus. Das ist falsch. Flüchtlinge fliehen davor. Während der WM 2010 in Südafrika haben Terroristen in Uganda fast 70 Menschen getötet. Die Täter waren Flüchtlinge aus Somalia. Es war unsere Verantwortung als Politiker, uns hinzustellen und zu sagen: Diese Menschen haben nichts gemeinsam mit den Menschen, die Schutz in Uganda suchen. Xenophobie hat keinen Platz in unserem Land!
SPIEGEL ONLINE: Uganda ist ein armes Land, wie erklären Sie Ihren Bürgern, dass sie die begrenzten Ressourcen auch noch mit Flüchtlingen teilen müssen?
Ecweru: Gastfreundschaft ist als Teil der Kultur tief verwurzelt in der ugandischen Bevölkerung. Außerdem haben viele von uns während der Siebzigerjahre unter Idi Amin selbst erfahren, was es heißt, vertrieben zu werden. Sie wurden mit offenen Armen empfangen, etwa im Kongo und im Sudan: Den Ländern, aus denen heute ein Großteil der Flüchtlinge kommt. Als Regierung konnten wir deshalb trotz Krise dank der fantastischen Unterstützung unserer Bevölkerung eine Politik etablieren, die Flüchtlinge wie Menschen behandelt. Schauen Sie sich unsere Settlements an, es gibt keine Unterschiede zwischen Ugandern und Südsudanesen. Das ist ein Zugang, der uns vom Rest der Welt unterscheidet.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt sehr edel und altruistisch. Aber profitieren die Menschen in Uganda nicht auch von den Flüchtlingen und den NGOs, die deretwegen ins Land kommen?
Ecweru: Wir nehmen niemanden auf, weil wir uns dadurch Hilfe erhoffen. Wir geben den Flüchtlingen einen Großteil unseres fruchtbarsten Landes, lassen sie dort siedeln. Wälder werden abgeholzt, um Flüchtlinge mit Feuerholz zu versorgen und Unterkünfte zu bauen. Gesundheitssystem und Sicherheitsapparat müssen immer weiter ausgebaut werden, das kostet Millionen. Natürlich gibt es auch positive Entwicklungen: NGOs fördern Entwicklung in ländlichen Gebieten, bauen Straßen und Krankenhäuser, von denen auch Gastgemeinden profitieren.
Letztens habe ich eine Schule besucht, die ein südsudanesischer Lehrer gegründet hat: Anfangs hatte er die Kinder unter einem Baum im Freien unterrichtet, weil er nicht wollte, dass seine Landsleute ungebildet bleiben. Die Uno und einige NGOs haben das Projekt unterstützt und heute werden dort nicht nur südsudanesische, sondern auch ugandische Kinder unterrichtet, die vorher keinen Zugang zu Bildung hatten. Das ist kein Einzelfall, das schafft Verständnis bei der einheimischen Bevölkerung.
SPIEGEL ONLINE: Was können Sie den EU-Politikern mit auf den Weg geben?
Ecweru: Die Zeit der Mauern ist vorbei! Sie selbst haben doch in Deutschland die Erfahrung gemacht, was es bedeutet, durch eine Mauer getrennt zu sein. Den Fall der Berliner Mauer hat damals die ganze Welt gefeiert. Es ist rückwärtsgewandt, wenn Populisten heute wieder fordern "Deutschland den Deutschen", "Großbritannien den Briten" und "Europa den Europäern". Wacht auf, wir leben im 21. Jahrhundert und die Welt wächst immer mehr zusammen zu einem einzigen Dorf. Migration wird nicht gestoppt, indem man versucht, sich abzugrenzen. Wir sind eine Weltgemeinschaft und nur als solche können wir Probleme lösen.