Astrid Möslinger

Journalistin und Texterin , Heidelberg

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Mehr Gendergerechtigkeit vor und hinter der Bühne

Publikumserfolg „Szenen einer Ehe“ steht auch in der nächsten Saison auf dem Spielplan. © Felix Grünschloß

Es ist wohl das bestimmende Thema ihrer Amtszeit. Auch der zweite Spielplan von Anna Bergmann steht im Zeichen von mehr Gendergerechtigkeit. Und nicht nur in Karlsruhe gibt es ein verschärftes Geschlechterbewusstsein, seitdem eine von Staatsministerin Monika Grütters in Auftrag gegebene Studie die desolaten Zustände an deutschen Theatern entlarvt hat. Danach werden nur 30 Prozent der Stücke von Regisseurinnen inszeniert. Noch schlimmer sieht es auf den Chefsesseln aus: Lediglich in 22 Prozent der Häuser haben Intendantinnen das Sagen. Theater als Männerdomäne? Dieses Problem wird inzwischen auf vielen Podien diskutiert, erste Gegenmaßnahmen sind getroffen worden. Das Berliner Theatertreffen führt für die nächsten beiden Ausgaben eine 50-prozentige Frauenquote ein. Ein Regisseur wie Ersan Mondtag besetzt in seinen Kölner „Räubern" Männerrollen mit Schauspielerinnen, und so mancher Querdenker ruft dazu auf, misogyne Klassiker aus dem Repertoire zu streichen.

Bei Worten belässt es die Karlsruher Direktorin bekanntlich nicht. Während der Spielplankonferenz präsentierte sie ein Regieteam, das zu 80 Prozent aus Frauen besteht. Im vergangenen Jahr war sie sogar noch weiter gegangen und hatte eine 100-prozentige Frauenquote realisiert. Die Erfahrung damit wertet sie als positiv. „Ein gewisser Lautstärkepegel wurde nicht erreicht. Der Umgang war freundschaftlich und kollegial", resümiert sie. Jetzt macht Bergmann den nächsten Schritt mit einem Ensemble, in dem es genauso viele Männer wie Frauen gibt. „Der klassische Dramenkanon verlangt ein großes Männerensemble. Aber man muss auch hier etwas ändern, damit sich in der Dramatik etwas bewegt", findet sie. In Karlsruhe zeigt sie, wie das funktionieren kann. Ein Großteil der Stücke im neuen Programm rückt Frauen in den Mittelpunkt, beschreibt ihren Platz in der Gesellschaft und ihr Rollenverständnis. Bergmann selbst hat sich mittlerweile zur Spezialistin für die Adaption von Ingmar-Bergman-Filmen entwickelt. Ihr „Persona", das sie für das Deutsche Theater Berlin inszenierte, ist zum Theatertreffen in die Hauptstadt eingeladen worden. In Karlsruhe hat sie in der vergangenen Saison „Szenen einer Ehe" inszeniert, ein Publikumserfolg, der auch im Herbst wieder gespielt wird. Und zum Auftakt der nächsten Spielzeit bringt sie „Passion - Sehnsucht der Frauen" auf die Bühne, ein Crossover der drei Bergman-Filme „Eine Passion", „Wie in einem Spiegel" und „Sehnsucht der Frauen". „Ich verwebe sie ineinander zu einem großen Ensembleabend", verspricht die Regisseurin. Sie konzentriert sich dabei auf große Familiengeschichten und -dramen, auf Beziehungskonstellationen und immer wieder auf die Rolle der Frau. Auch wenn der schwedische Starregisseur, der fünfmal heiratete, persönlich ein schwieriges Verhältnis zum weiblichen Geschlecht hatte, zeichnete er starke Frauenfiguren. „Er hat sich an ihnen abgearbeitet. Das ist tolles Material für Spielerinnen", ist Anna Bergmann überzeugt.

Ihre Sympathie für skandinavische Länder, die in Sachen Gleichberechtigung vorangehen, schlägt sich mehrfach im Programm nieder. Die Schauspielchefin hat in Schweden fünf Jahre gearbeitet. Aus dem emanzipatorischen Musterland kommt Regisseurin Melanie Mederlind nach Karlsruhe und adaptiert den Roman „Der Susan Effekt" von Peter Hoeg, dem Autor von „Fräulein Smillas Gespür für Schnee", für die dortige Bühne. Protagonistin ist eine Experimentalphysikerin mit besonderer Gabe. Menschen verraten ihr schon bei der ersten Begegnung ihre tiefsten Geheimnisse. Neben Gender-Projekten befasst sich das Schauspiel mit Fragen von Arm und Reich sowie von Konsum und Gewissen. Sieben Kurzdramen handeln von den neuen Todsünden der Menschheit. Als Basis dienen die von Mahatma Gandhi 1925 formulierten größten Vergehen der modernen Gesellschaft. Jetzt übertragen zeitgenössische Schriftstellerinnen seine Thesen in die digitalisierte Gegenwart. Und auch Elfriede Jelinek steht wieder auf dem Spielplan: mit der Premiere von „Ein Sportstück" und der Wiederaufnahme von „Am Königsweg".

Astrid Möslinger im OPUS Kulturmagazin Nr. 75 (September / Oktober 2019) auf S. 112-113

www.staatstheater.karlsruhe.de

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