In der Metro, an den Fassaden von Wohnhäusern, auf Parkbänken, Mülltonnen und in Supermärkten ukrainischer Städte tauchen sie auf: Werbeanzeigen, die die Lösung aller Probleme versprechen. Die mit kyrillischen Lettern bedruckten DIN-A5-Zettel preisen billige Kredite, unkomplizierte Schuldnerberatung, ein günstiges Auto, eine neue Wohnung oder Wahrsagerei an. Und sie sind besonders in den Großstädten so zahlreich vertreten, dass Ukrainer sie als "analogen Spam" bezeichnen. Für viele Menschen sind die auf Russisch und Ukrainisch verfassten Flyer einfach ein lästiges Mysterium, für andere jedoch sind sie ein verführerisches Versprechen. Das Versprechen vom besseren Leben.
Den ukrainischen Künstler Kirill Golovchenko hat die Omnipräsenz und Aktualität dieser Flyer fasziniert. Er ritzte Löcher in die Blätter und fotografierte sie vor Gebäuden, Gegenständen, Gesichtern - als würde er hinter die Fassaden dieser blicken.
Es scheint so einfach zu sein: Auf den Zetteln stehen zum Beispiel eine Summe, die man sich leihen kann, eine Telefonnummer und die Zusage, das Geld schnell und unkompliziert zu bekommen. Wie trügerisch das ist, wird vielen erst durch eigene Erfahrung bewusst. "Ein Anruf, eine Anzahlung für die Kreditversicherung, und das Geld sieht man nie wieder - ganz zu schweigen von der Summe, die man sich leihen will", erklärt Golovchenko. "Dafür bekommt das Opfer Drohungen, ein Inkasso-Unternehmen und Schläger auf den Hals gehetzt." Die Betroffenen seien meist zu eingeschüchtert, um sich an eine Behörde zu wenden, die Strippenzieher blieben im Verborgenen.
Die Anzeigen in der Öffentlichkeit aufzuhängen ist in der Ukraine verboten und wird mit umgerechnet bis zu 56 Euro Strafe geahndet. Dennoch tun es viele, vor allem Rentner oder andere arme Ukrainer. "Ich habe mal eine ältere Frau, die gerade einen Stapel Anzeigen anbrachte, angesprochen. Sie sagte, dass sie früher Lehrerin gewesen sei. Auf die Frage, wer sie mit dieser Arbeit beauftragt hat, konnte sie mir keine Antwort geben", erzählt Golovchenko.
Gerade in Zeiten der Corona-Krise ist die Verzweiflung bei einigen Menschen so groß, dass sie auf diese dubiosen Angebote zurückgreifen. Kirill Golovchenko vergleicht die Werbeblätter mit dem Bluff bei einem Kartenspiel. Indem sie auf solche Anzeigen reagieren, machen sich die Ukrainer selbst etwas vor. Und dennoch ist das Ganze kein Spiel, für sie ist es das Leben.