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Mit Gott gegen Trump | Wiener Zeitung

Doug Pagitt steht an einem Tisch im Innenhof einer kleinen Markthalle in Tucson, Arizona. Er ist hochgewachsen, schlank, 57 Jahre alt, und hat ein freundliches Lächeln. Er ist Mitbegründer von „Vote Common Ground", einer Organisation von Evangelikalen in den USA, die derzeit versucht, andere Christ:innen von ihrer Stimmabgabe für Donald Trump abzuhalten. Oder zumindest davon zu überzeugen, dass sie sich den Kandidaten Trump noch einmal genauer ansehen sollten. „70 Prozent derjenigen, die sich als Evangelikale in diesem Land beschreiben, sind politisch konservativ. Ich gehöre zu den 30 Prozent, die es nicht sind. Die 70 Prozent sind viel lauter und viel deutlicher in der Sicht ihres Glaubens und ihrer Rolle in der Gesellschaft als die 30 Prozent von uns."

Pagitt und sein Mitstreiter Tim Gilman, ein pensionierter Pastor der Pfingstgemeinde mit sonorer Stimme, reisen deshalb in diesen Wochen mit einem auffälligen Bus durch die sogenannten „Swing States", jene Bundesstaaten, die mal so und mal so stimmen, mal für demokratische, mal für republikanische Präsidentschaftskandidat:innen. Und Arizona ist so ein Bundesstaat, der viele Jahrzehnte fest in der Hand der Republikaner war, sich 2020 jedoch mit einer knappen Mehrheit von weniger als 10.000 Stimmen für Joe Biden entschied. Was Donald Trump noch in jener Wahlnacht prompt dazu verleitete, von einer breit angelegten Wahlfälschung zu sprechen.

„Battleground Arizona"

Auch in diesem Jahr gilt Arizona erneut als „Battleground", als hart umkämpftes Schlachtfeld auf dem Weg ins Weiße Haus. Wenige Stimmen können hier erneut ausschlaggebend sein. Also suchen Pagitt und Gilman in den Gemeinden Gespräche mit den Einwohner:innen und bieten in den verschiedensten Gotteshäusern Schulungen zu „christlichem Nationalismus" an, der gerade in den Reihen der Evangelikalen weit verbreitet ist.

Hinter der Idee des christlichen Nationalismus steckt die Überzeugung, dass Christen in den Vereinigten Staaten sowohl wirtschaftlich wie auch sozial und politisch privilegiert sind. Dieser Einfluss und dieses Privileg beruhen darauf, dass das Land ihrer Ansicht nach von und für Christen gegründet wurde. Die Vereinigten Staaten werden von christlichen Nationalist:innen in den Reihen der Evangelikalen als „God's Country", als auserkorenes Land, als „best place on earth" bezeichnet. „Jemand fragte mich neulich, ob christliche Nationalisten weiße Rassisten seien", erzählt Tim Gilman. „Und meine Antwort war, dass nicht alle weißen Rassisten Christen sind, aber alle christlichen Nationalisten für viele der gleichen Werte wie sie stehen. Vieles von dem ist in der Angst vor dem Verlieren verwurzelt."

Die Evangelikalen begannen sich in den späten 1970er-Jahren zu organisieren, nachdem das Recht auf Abtreibung vom Verfassungsgericht bestätigt worden war. Sie und andere Christlich-Konservative in den USA bauten im Wahlkampf 1980 auf Ronald Reagan, der ihnen versprach, das Land auf einen christlichen Kurs zu bringen, christliche Werte hochzuhalten, den fundamentalistischen Christ:innen mehr Gehör zu schenken. Reagan setzte einiges in seinen acht Jahren Amtszeit um, doch am Ende waren viele Evangelikale von ihm enttäuscht.

Nach vier Jahren George H. W. Bush kam mit Bill Clinton im Jahr 2000 erstmals ein Kandidat, der sich selbst als Evangelikalen bezeichnete, der offen erklärte, sein Glauben in Jesus Christus habe sein Leben verändert. Das war ihr Kandidat. So zumindest dachten sie. Auf Clinton folgte ein weiterer evangelikaler Präsident, nämlich George W. Bush, der Sohn des früheren Präsidenten George H. W. Bush. Doch selbst nach dem Ende seiner Amtszeit im Jahr 2008 muteten die USA weniger religiös, weniger christlich an.

Hassobjekt Obama

Mit Barack Obama kam jemand ins Weiße Haus, den die weißen, christlichen Fundamentalist:innen hassten, der „Gay Marriage" umsetzte, der offen für ein Ende des Rassismus eintrat. Im Wahlkampf 2016 wollten die Evangelikalen daher keinen Kandidaten mehr, der nur wie sie sprach und dachte, der auf dem Papier eigentlich ihr Idealkandidat war, so wie der texanische Senator Ted Cruz oder der ehemalige Gouverneur von Arkansas Mike Huckabee. Sie wollten einen, der nicht nur die Namen der Gegner kannte, sondern einen, der sie offen bekämpft. Und das war Donald Trump − auch wenn er selbst kein Kirchgänger ist, mehrmals verheiratet war, das Leben eines New Yorker Playboys geführt hatte. Aber er versprach, „to fight like hell, and if you don't fight like hell, you're not going to have a country anymore" (Kämpft wie die Hölle, denn wenn ihr nicht wie die Hölle kämpft, dann werdet ihr kein Land mehr haben.).

Gerade deshalb stößt Donald Trump mit seinen Behauptungen, sein politischer Kampf sei ein Kampf zwischen „Gut und Böse", auf eine breite Unterstützung bei den Evangelikalen. Viele von ihnen sehen Trump als von Gott gesandt, um Amerika zum gelobten Land zu machen. Dabei kämpfe er gegen die dunklen Mächte aus Demokraten, Globalisten, der „New World Order", die die USA unterjochen wollten. Auch bei den christlichen Nationalist:innen ist die Rechtsaußen-Verschwörungstheorie des „Great Replacement", des großen Austausches, weitverbreitet. Dabei wird befürchtet, dass es einen perfiden Plan gebe, mit dem die weiße, christliche Bevölkerung durch nicht-weiße Menschen „ersetzt" werden solle. Christliche Nationalist:innen unter den Evangelikalen, und das ist die Mehrheit, bejubeln daher auch die harte Linie Trumps an der Grenze, die Amerika vor weiteren Migrant:innen, die Trump nur allzu gern als „Kriminelle, Vergewaltiger und Gang-Mitglieder" bezeichnet, schützt. Sie glauben Trump, der erklärt, Joe Biden habe die Grenzen geöffnet, um Millionen von Menschen ins Land zu lassen, um sie so zu Wähler:innen zu machen und die Macht der Demokraten auf ewig zu garantieren. Da passt auch ein jüngst veröffentlichter Wahlwerbespot, den Donald Trump auf seinem Truth-Social-Network veröffentlichte. Darin heißt es: Gott hat uns Trump gegeben.

Die Botschaft scheint anzukommen. Die Evangelikalen reihen sich erneut hinter Trump ein. Doch da seien eben auch viele religiöse Wähler:innen, so Pagitt, Katholik:innen und Evangelikale, die sich schon seit vielen Jahren in ihrer Gemeindearbeit für Migrant:innen und Asylsuchende einsetzten. „Wie Republikaner über Migranten sprechen, kommt bei ihnen nicht gut an."

Für Trump? Eine Infokampagne soll Gläubige zumindest zum Nachdenken verleiten. © Fotocredit: Arndt Peltner

„Alles besser als ein Demokrat"

Und genau da setzen sie an, um Evangelikale vielleicht doch zum Nachdenken zu bringen, nicht jedes Mal und vor allem nicht dieses Mal für einen Republikaner zu stimmen. Aber es sei schwer, das zu verändern, schätzt Doug Pagitt die Situation durchaus realistisch ein. „Viele evangelikale Republikaner hassen die Demokraten einfach mehr als die Republikaner. Sie dämonisieren sie. Sie denken, sie seien einfach absolut anti-amerikanisch. Für sie heißt es nur, alles andere als ein Demokrat."

„Vote Common Ground" konzentriert sich in diesen Wochen des Wahljahres auf den Bundesstaat Arizona. Vor kurzem hielt der Bus der Organisation in Tucson, genau an dem Tag, als Franklin Graham, Sohn des verstorbenen Evangelisten Billy Graham und nun Präsident der „Billy Graham Evangelistic Association", auf seiner Stadiontour in Städten entlang der Grenze zu Mexiko mit seiner „God loves you Frontera Tour" in Tucson Halt machte.

Franklin Graham ist einer der bekanntesten und einflussreichsten Evangelikalen in den USA. Es ist nicht das erste Mal, dass Graham offen Wahlkampf für Donald Trump macht. Schon 2016 sprach er sich im Vorfeld der Wahl für ihn aus und erklärte nach dessen Wahlsieg: „Als ich durch das Land fuhr, spürte ich, dass Gott in diesem Jahr etwas tun würde. Und ich glaube, dass Gott sich bei dieser Wahl gezeigt hat." 2018 reiste er erneut durchs Land, kam sogar ins liberale Berkeley, um sich dort für republikanische Kandidaten und für Präsident Donald Trump auszusprechen. Die zehn Republikaner, die nach dem Sturm auf das Capitol im Amtsenthebungsverfahren gegen Trump votierten, bezeichnete er als „Judas", die sich von den Demokraten „30 Stück Silber" versprechen ließen.

Nachdenken über das Wort Gottes

Und genau zu diesem Franklin Graham, der von weit über 10.000 begeisterten Anhänger:innen im „Veterans Memorial Stadium" empfangen wurde, zog es die politisch eher linken Evangelikalen um Doug Pagitt. Der auffällige Bus mit seiner markanten Aufschrift „Faith, Hope & Love - Confronting Christian Nationalism for a more perfect union" wurde in Sichtweite des Eingangs auf dem riesigen Parkplatz des Stadions geparkt. Das Ziel sei es, erklärt der pensionierte Pastor Tim Gilman, zumindest einige der Besucher:innen darüber zum Nachdenken zu bringen, dass jede Passage in der Heiligen Schrift ganz unterschiedlich ausgelegt werden könne. So hätten sie zumindest eine Wahl. „Was wir von unseren evangelikalen Brüdern und Schwestern wirklich erwarten, ist, zwei Dinge zu tun. Zunächst einmal geht es darum, überhaupt zur Wahl zu gehen. Und zweitens sollen sie darüber nachdenken, was über Jesus in der Bergpredigt und im Brief an die Korinther 13 über die Liebe zu lesen ist. Wenn man sich dann entscheidet und glaubt, sein Kandidat und das, wofür er steht, sei die richtige Entscheidung, dann ist das in Ordnung. Aber zumindest hat man über diese andere Sichtweise einmal nachgedacht."

Nachdenken, umdenken, abwägen. In der Initiative „Vote Common Ground" glaubt niemand, dass man eine breite Basis in den Reihen der konservativen Evangelikalen erreichen wird, die im November anstelle bei Donald Trump ihr Kreuzchen bei Joe Biden setzen werden. Doch es geht - mal wieder - bei der kommenden Wahl um wenige Stimmen in den Swing States. Vielleicht, so hoffen Doug Pagitt und Tim Gilman, schaffen sie es, dass zumindest einige der religiös geleiteten Wähler:innen ihre Meinung ändern und vielleicht so eine zweite Amtszeit von Donald Trump verhindert werden kann.

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