Arnd Petry

freier Journalist, Autor, Diplom-Biologe, Hamburg

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Artikel

Der Nerv der Zeit: Wie die Optogenetik die Medizin voranbringt

Gestern wurden mal wieder die Nobelpreise verliehen. Dass in den kommenden Jahren auch die Pioniere der Optogenetik am Todestag von Alfred Nobel in Stockholm geehrt werden, gilt unter Experten als ausgemacht. Schließlich haben optogenetische Methoden die neurobiologische Forschung revolutioniert. Und dass der begehrteste Preis der Lebenswissenschaften dann auch an deutsche Wissenschaftler gehen wird, scheint sicher. „In Deutschland liegt die Wiege der Optogenetik“, sagt der Hamburger Neurobiologe Prof. Dr. Thomas Oertner. „Und ohne Optogenetik geht im Moment in den Top-Journals nichts.“ Angesichts der Euphorie unter Grundlagenforschern drängt sich die Frage auf: Was dürfen Kliniker (und Patienten) in Zukunft von diesem Fachgebiet erwarten?

„Die Optogenetik ist zunächst ein tolles Hilfsmittel für die Grundlagenforschung. Über diesen Weg wird sie aber auch zu einem besseren Verständnis neurologischer Erkrankungen beitragen“, so der Direktor des Instituts für Synaptische Physiologie am Zentrum für molekulare Neurobiologie Hamburg (ZMNH). Ebenso könne man damit aber auch Phänomenen wie Gedächtnis oder Sucht auf den Grund gehen. Zentrale Moleküle des Fachgebiets Optogenetik sind Kanalrhodopsine (auch: Channelrhodopsine). Das sind Transportproteine, die in Membranen Kanäle für Ionen bilden und – das ist das Besondere – direkt durch Lichtreize gesteuert werden. Natürlicherweise kommen sie in einzelligen Grünalgen vor, die mit Ihrer Hilfe auf Licht reagieren. Ihr Entdecker ist der Biophysiker Prof. Dr. Peter Hegemann (Humboldt Universität), weitere Pioniere der Channelrhodopsin-Forschung sind Prof. Dr. Georg Nagel (Uni Würzburg) und Prof. Dr. Ernst Bamberg (Max-Planck Institut für Biophysik, Frankfurt).

Lichtschalter für Nervenzellen


Ihren Nutzen für die Forschung offenbaren die lichtempfindlichen Ionenkanäle der Algen aber erst in tierischen Zellen: „Das Channelrhodopsin kann mithilfe genetischer Verfahren sehr gezielt in bestimmte Nervenzellen eingebracht werden“, erklärt Thomas Oertner. Deren Aktivität lasse sich dann durch Licht anregen oder dämpfen. Aktionspotenziale könnten nach Belieben an- und abgeschaltet werden – ein Riesenvorteil im Vergleich zu den deutlich schlechter fokussierbaren „altmodischen Stimulationstechniken mit Strom.“ Die neurobiologische Forschung hat dem Experten zufolge dadurch eine neue Qualität bekommen. Vorher habe man nur korrelativ vorgehen können. Man konnte Aktionspotenziale messen und Effekte beobachten, die zeitgleich stattfinden, also wahrscheinlich in einem Zusammenhang stehen. „Jetzt kann man die Ursache und die Wirkung direkt nachvollziehen. Man kann Nervenzellen aktivieren und beobachten was passiert.“
Und die Zahl der für verschiedene Experimente nutzbare optogentischen Werkzeuge steigt ständig. Inzwischen sind viele unterschiedliche Kanalproteine auf dem Markt: So öffnet ein von Thomas Oertner in Zusammenarbeit mit dem Team von Peter Hegemann entwickelter Nervenschalter – das „Chloridleitende Channelrhodopsin mit lang anhaltender Aktivität“, kurz: slow ChloC – seinen Kanal auf einen kurzen Lichtreiz hin sehr viel länger als die bisher verfügbaren Proteine, benötigt aber gleichzeitig zehntausend Mal weniger Licht. Mit einem weiteren Kanalprotein aus dem Hause Oertner kann man nun auch Nervenzellen abschalten. „Wir haben die Leitfähigkeit umgedreht und aus einem aktivierenden ein hemmendes Protein gemacht“, erklärt er. Aus medizinischer Sicht sei die optische Inhibition von Hirn-Aktivitäten wahrscheinlich wichtiger als die optische Erregung: „Viele Krankheiten – Epilepsie oder das Tourette-Syndrom – sind ja durch Über-Erregung bestimmter Areale gekennzeichnet.“ Andere Kanalproteine reagieren auf Rotlicht, das Haut und Knochen durchdringen kann, und werden bald wohl das Implantieren von Lichtleitern überflüssig machen. „Bei jungen Tieren kann man so mithilfe einer Lampe von Außen die Nervenzellen steuern.“

Medizinische Anwendungen: Nervenzellen auf die Sprünge helfen

Raum für medizinische Anwendungen der Optogenetik sehen Fachleute vor allem bei Implantaten für geschädigte Sinnesorgane: fürs Auge und das Ohr. In Göttingen arbeitet zum Beispiel der Gehörexperte Prof. Dr. Tobias Moser, Leiter der Audiologie und des InnenOhrLabors der Uni, am Cochlea-Implantat der Zukunft. Statt mit elektrischem Strom sollen die Haarzellen in der Hörschnecke mit Licht stimuliert werden. Damit die Haarzellen lichtempfindlich werden, müssen die Kanalproteine zunächst mithilfe von Viren als Genfähren in die Zellen transferiert und dort exprimiert werden. In die Cochlea wird dann statt eines Elektrodenträgers ein Träger mit Mikro-LEDs eingebracht, welche die für die unterschiedlichen Frequenzbereiche zuständigen Haarzellen sehr viel gezielter anregen können als es Elektroden vermögen. „Das wird die Hörqualität im Vergleich zu den bisherigen Systemen deutlich verbessern“, sagt Tobias Moser. Die Betroffenen könnten Sprache viel besser verstehen und wahrscheinlich auch Musik hören. Dass diese Ideen im Prinzip funktionierten, haben Moser und seine Mitarbeiter in diesem Jahr bereits bei Nagetieren zeigen können. Vor einer klinischen Anwendung seien aber noch viele Fragen zu klären: Wie sicher sind die Genfähren? Wie reagiert das Immunsystem auf die Algenproteine? „Das ist noch ein langer Weg“, so Tobias Moser.

Retinaimplantat und Hirnstimulation

Schneller in die Anwendung werden wahrscheinlich optogenetische Retinaimplantate kommen, die Patienten mit Retinitis pigmentosa helfen könnten. Bei dieser Netzhautdegeneration sterben die Sehzellen mit der Zeit ab. Benachbarte Zellen, in die mithilfe gentechnischer Methoden Channelrhodopsine eingebracht werden, könnte die Aufgabe dann teilweise übernehmen, wenn sie von einem entsprechenden Retinaimplantat per Licht aktiviert werden. Auch hier haben Tierversuche gezeigt, dass dieser optogenetische Therapieweg aussichtsreich ist. „Aber das Problem ist, dass die Lichtempfindlichkeit noch nicht hoch genug ist“, sagt Thomas Oertner. Man müsste eine Art Laserbrille trage, welche dann ein sehr helles Bild auf die neuen Sehzellen der Retina projeziert. Auch im Bereich der tiefen Hirnstimulation bei Parkinson ist eine direkte Anwendung der Optogenetik denkbar. „Weil den Betroffenen ein Lichtleiter implantiert werden muss, ist dies aber nicht weniger invasiv als das Einsetzen einer Elektrode“, sagt Thomas Oertner. „Die Stimulation erfolgt aber gezielter.“ Und möglicherweise erfülle ein implantierter Lichtleiter auch länger seinen Zweck. „Die Elektrode wird nach einiger Zeit von den Gliazellen des Gehirns abgekapselt und elektrisch isoliert.“ Bei einer feinen Glasfaser sei das nicht zu erwarten, so die Hoffnung.

geschrieben für: änd Ärztenachrichtendienst, Dezember 2014


Literatur:

Hegemann P, Nagel G (2013) From channelrhodopsins to optogenetics. EMBO Mol Med 5:173–176, DOI: 10.1002/emmm.201202387 Download: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/emmm.201202387/abstract

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Wietek J, Wiegert JS, Adeishvili N, Schneider F, Watanabe H, Tsunoda SP, Vogt A, Elstner M, Oertner TG, Hegemann P (2014). Conversion of Channelrhodopsin into a light-gated chloride channel. Science, March 27, 2014. Download: http://www.sciencemag.org/content/344/6182/409.abstract