Arnd Petry

freier Journalist, Autor, Diplom-Biologe, Hamburg

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Zurück in die Zukunft: Phagentherapie statt wirkungslose Antibiotika?

Ende April schlug die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm: „Das Problem ist so gravierend, dass es die Errungenschaften der modernen Medizin gefährdet. Eine Post-Antibiotika-Ära – in der herkömmliche Infektionen und kleinere Wunden töten können – ist ein realistisches Szenario für das 21. Jahrhundert.“ Weiter ist zu lesen, dass – je nach „setting“ – bis zu 60 Prozent der Staphylococcus aureus-Infektionen resistent gegen Methicillin (MRSA) sind. „Das bedeutet, dass eine Behandlung mit Standard-Antibiotika nicht funktioniert.“

Man muss nicht alle 257 Seiten des WHO-Berichts zur weltweiten Überwachung von Antibiotika-Resistenzen lesen (WHO. Antimicrobial resistance: global report on surveillance 2014), um zu erkennen: Der Weg durch das Wunderland der Antibiotika-Therapie war ein Rundkurs. Die Medizin kommt nach einer langen Reise wieder da an, wo sie vor der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming im Jahr 1928 war. Zahlen der EU untermauern dies: allein 150000 Menschen sind schätzungsweise jährlich in der EU von einer Infektion mit MRSA betroffen (Köck R et al. Methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA): burden of disease and control challenges in Europe. Euro Surveill. 2010;15(41)).

Gute Phagen, schlechte Phagen

Was Wunder, dass nun auch lange in Vergessenheit geratene Methoden wie die Phagentherapie wieder en vogue werden. Die Idee ist bestechend: So wie Landwirte auf Nützlinge bauen, wenn sie auf biologischen Pflanzenschutz schwören und Schädlinge mit ihren Parasiten oder natürlichen Fressfeinde bekämpfen, lassen sich pathogene Bakterien mithilfe von Bakteriophagen - Viren, die spezifisch für Bakterien sind – abtöten. Mehr noch: die Natur scheint dem Menschen beim Kampf gegen bakterielle Infektionen ein Therapeutikum bereitzustellen, dass nicht weniger zielgerichtet, maßgeschneidert und individuell ist als die sündhaft teuren, modernen Antikörperwirkstoffe, die in der Onkologie Furore machen: Die für Therapien ausgewählten Phagen sind hochspezifisch. D.h. sie richten sich gezielt nur gegen eine Bakterienart. Die nützliche Mikroflora im Darm der Patienten bleibt anders als beim Antibiotikaeinsatz verschont. Phagen sind ein intelligentes Therapeutikum: Sie dosieren sich am Wirkort quasi von selbst. Treffen Phagen auf ihre Wirtsbakterien vermehren sie sich in ihnen – töten diese – und befallen dann weitere Wirtsbakterien. Sind alle Bakterien beseitigt, verlieren sie damit auch deren Reproduktionsmaschinerie - und werden schließlich vom Körper abgebaut.

Nebenwirkungen? Fehlanzeige!

Sicher scheint die Therapie auch zu sein: „Die Phagentherapie ist fast hundert Jahre alt. Dabei geht erfahrungsgemäß nichts schief. Es kann höchstens sein, dass die Phagen mal nicht helfen“, sagt die Mikrobiologin Dr. Christine Rohde, die am „Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen“ in Braunschweig ausschließlich für Forschungszwecke die größte Phagensammlung in Deutschland betreut. Dass Phagen Schaden anrichten, sei ausgeschlossen, wenn die verwendeten Phagenlösungen qualitätskontrolliert hergestellt werden und es sich tatsächlich um lytische Phagen handelt (siehe: HINTERGRUND). „Zum Glück sind Phagengenome sehr klein, so dass man durch eine Sequenzanalyse, leicht ausschließen kann, dass temperente Phagen, deren Gene sich ins Bakteriengenom integrieren können, verwendet werden.“ Auch die Gefahr, dass sich Resistenzen bilden, ist der Expertin zufolge bei der Phagentherapie zu vernachlässigen – vor allem dann nicht, wenn - wie oft üblich – Cocktails mit mehreren Phagen zum Einsatz kommen: „Mathematisch ist es aufgrund der natürlichen Mutationsrate unmöglich, dass Bakterien gegen fünf Phagen gleichzeitig resistent werden.“ Auf ein Entweder-Oder – das Ersetzen von Antibiotika durch therapeutische Phagen – wird ein Comeback der Phagentherapie auf lange Sicht auch wohl nicht hinauslaufen: der größte therapeutische Nutzen ist wohl zu erwarten, wenn Antibiotika und Phagen je nach Fall intelligent kombiniert werden können.

Problematische Rechtslage – kein Interesse der Industrie

Bevor es soweit ist, müssen allerdings noch verschiedene Hürden überwunden werden: „Es fehlt ein regulatorischer Rahmen für die Phagentherapie. Die entsprechende EU-Direktive 2001/83/EG lässt offen, ob Phagen medizinische Produkte sind oder anders benannt werden müssen“, sagt Christine Rohde. Zusammen mit Ärzten und anderen Forschern engagiert sie sich daher in der Initiative P.H.A.G.E. – Phages für Human Applications Group Europe. „Wir versuchen auf EU-Ebene eine Regelung vorzuschlagen, damit Ärzte, die Phagentherapie auch einsetzen und abrechnen können – und nicht mit einem Bein im Gefängnis stehen, wenn sie Patienten helfen wollen.“ Sollte der Rechts- und Gebührenrahmen irgendwann tatsächlich stehen, sind auch praktische Hürden zu nehmen: Zur Zeit müssen Ärzte, die als „Individuelle Heilversuche“ Patienten mit Phagen behandeln wollen, diese in Georgien – dem weltweit führenden Land in der Phagenforschung – bestellen. Ob sich das in absehbarer Zeit ändert, ist ungewiss. Für die Industrie scheint jedenfalls die Herstellung von Phagenpräparaten aufgrund der Rechtslage – und mangelndem Patentschutz – noch nicht interessant zu sein. Unerlässlich wird es nach Ansicht von Christine Rohde sein, dass auch in Deutschland eine Sammlung mit kontrollierten, therapeutischen Phagen zur Verfügung steht. Bis dahin fragt nicht nur sie sich: „Wo ist eigentlich das Problem? Alle – Patienten, Ärzte, Wissenschaftler -, die Erfahrungen mit der Phagentherapie gemacht haben, wollen sie.“ Dass die Zeit reif ist für die „Bakterienfresser“ sollte eigentlich seit dem WHO-Report jedem klar sein.


HINTERGRUND:

Bakterienviren“: Phagen

Bakteriophagen – kurz: Phagen - sind wie Viren ohne einen Wirtsorganismus nicht in der Lage, sich zu reproduzieren. Sie bestehen lediglich aus einer Proteinhülle, welche die Erbsubstanz (DNA, RNA) schützt. Um sich zu vermehren, muss ein Phage seine Erbsubstanz ein Bakterium injizieren. Dort werden die Phagengene entweder sofort aktiviert und neue Phagen produziert(lytischer Zyklus) oder in das Bakteriengenom integriert und später aktiviert (lysogener Zyklus). Phagen, die ihr Erbgut in das Bakteriengenom einbauen, werden als temperente Phagen bezeichnet, das eingebaute Phagengenom als Prophage. Für die Therapie eignen sich ausschließlich lytische Phagen.

geschrieben für: änd Ärztenachrichtendienst, Juli 2014