Jessica Teschke: Es war eine spontane Reise. Aber ich hatte schon länger vor, mich vor Ort zu engagieren. Ich saß zu Hause und habe im Internet gesehen, dass es eine Mitfahrgelegenheit von Salzburg nach Idomeni gibt. Zwei Tage später bin ich dann schon losgefahren und war nach 14 Stunden dort.
Teschke: Man kommt im Camp an und wird direkt instruiert, wo es an Unterstützern mangelt. So gut organisiert sind andere Lager sicher nicht, das macht es leichter.
Teschke: Allerdings. Idomeni ist mit Sicherheit eine Ausnahme unter den ganzen Flüchtlingcamps. Die Freiwilligen haben eine sehr gute In-frastruktur aufgebaut.
Vergangenen Sonntag stürmten mehrere hundert Flüchtlinge und Migranten die Grenze zu Mazedonien. Droht die prekäre Lage nun im Camp zu eskalieren?
Teschke: Einen Tag zuvor wurden Flugblätter verteilt, auf denen "Das ist unsere letzte Chance. Die Grenzen öffnen sich morgen" auf Arabisch stand. Das ist schön öfters passiert. Die Anspannung und Frustration wächst von Tag zu Tag. Jedes Mal machen sich die Leute mit Sack und Pack auf den Weg, sitzen auf den Gleisen und denken, dass sie endlich weiterdürfen.
Teschke: Die Polizei hat sehr unverhältnismäßig reagiert. Wir Helfer standen vorne an der Grenze, als die ersten Tränengaspatronen geflogen kamen. Da waren so viele Frauen und Kinder, die durch Gummigeschosse und Tränengas verletzt wurden. Irgendwann hat die mazedonische Polizei wahllos in die Menge geschossen. Teilweise bis ins Lager hinein, wo unbeteiligte Menschen saßen.
Teschke: Noch während der Proteste ging das Gerücht um, dass ein Säugling an den Folgen des Tränengases gestorben wäre. Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet.
Die mehreren Hundert Helfer versuchen es den Flüchtlingen im Lager erträglicher zu gestalten, nun sollen einige unter ihnen Aktivisten sein. Drei Deutsche wurden bereits festgenommen.
Teschke: Natürlich gibt es überall Menschen, die andere für ihre eigenen "politischen" Ziele missbrauchen. Dennoch ist es völlig haltlos, den Freiwilligen, die jeden Tag so eine bewundernswerte Arbeit leisten, die Schuld an den Eskalationen vom Sonntag in die Schuhe zu schieben. Man weiß bisher nicht, wer das Flugblatt verfasst hat, und daher finde ich es sehr traurig, dass die Freiwilligen im Lager auf einmal in so einem schlechten Licht dastehen. Ohne sie würde es den Menschen wesentlich schlechter gehen.
Teschke: Mein Tag gestaltet sich ziemlich abwechslungsreich, wobei ich die letzten Wochen sehr viel in einem Chai-Zelt mitgeholfen habe, das 24 Stunden am Tag Tee ausgibt und bis zu sechs Suppen pro Tag kocht. Das Ziel der Helfer sind 2000 Portionen am Tag zu schaffen. Zusätzlich bin ich aber auch oft dabei, Kleidung oder Hygieneartikel auszuteilen und mit den Kindern zu spielen, die trotz der prekären Situation sehr anhänglich sind.
Teschke: Die meisten Freiwilligen im Camp sind Privatpersonen, die mit Spenden, die sie in ihrem Umfeld gesammelt haben, ihren Teil zur Verbesserung der Situation beitragen.
Welche Bilder werden Sie so schnell nicht vergessen?
Teschke: Als wir ankamen, hatten sich Menschen aus Protest angezündet. Aber keiner von ihnen ist dabei gestorben. Die Situation hier ist unerträglich. 12 000 Menschen stecken hier fest, man kann in keinster Weise von menschenwürdigen Bedingungen sprechen. Die meisten schlafen in einfachen Zelten, oftmals ohne Überzelt, auf Kartons, Wind und Wetter ausgesetzt. Diejenigen, die "Glück" haben, schlafen in ausrangierten Eisenbahnwaggons. Obwohl viele wenig zu essen haben, teilen sie gerne. Mir wurde letztens ein Fladenbrot angeboten, das aussah, als ob es auf einer Motorhaube gebacken wurde (lacht).
Teschke: Klar!
Teschke: Die Gerüche werden von Tag zu Tag intensiver. Und um ehrlich zu sein: Ich hab noch keine Dusche gesehen, obwohl es welche geben soll. Toiletten gibt es nur in Form von Dixi-Klos, und das Camp wird langsam, aber sicher zu einer Kloake. Manchmal gibt es auch gar kein Wasser, sodass viele Menschen weder Dusch-, Koch-, geschweige denn Trinkwasser haben.
Teschke: Nach meinen Informationen soll das Camp zum ersten Mai geräumt werden. Die griechische Polizei will den Umzug in offizielle Lager ohne Gewalt durchführen, aber die Geflüchteten wollen nicht weg. Die Zustände in diesem Lager sind furchtbar, aber für die Menschen ist es die einzige Möglichkeit, um einen Schritt nach Deutschland, Österreich oder wohin sie wollen zu setzen.
Teschke: Viele fragen natürlich, ob die Grenzen bald wieder geöffnet werden. Und ob das bedeutet, dass sie erst einmal hierbleiben müssen, dass Idomeni sozusagen ihr neues "Zuhause" ist. Ich mache den Menschen keine Hoffnungen. Und sage ihnen ganz klar: Die Grenze wird nicht mehr geöffnet. Gerade wurde auch eine neue Schule eingerichtet, in einem großen Zelt, in der die Kinder Unterricht erhalten.
Teschke: Es gibt tatsächlich viele Schätzungen, die sagen, dass dieses Camp jahrelang bestehen wird, wenn die Regierung es nicht mit Gewalt auflöst. Ich kann mir gut vorstellen, dass es sich sehr lange hinzieht. Sie können ja weder zurück in ihre Heimat noch vorwärts.
Teschke: Europa lässt diese mehr als 10 000 Menschen einfach so dahinvegetieren. Es handelt sich ja um Menschen, die ein neues Leben für sich und ihre Familie suchen, weil ihr altes durch Krieg und Terror zerstört wurde. Dieser Beschluss ist für mich unbegreiflich, denn an die vielen Menschen denkt anscheinend kaum jemand. Sie werden einfach vergessen. Außerdem bin ich schockiert, dass Europa es zulässt, dass Polizisten auf Kinder mit Gummigeschossen und Tränengas schießen.
Teschke: Mein Semester geht am Montag wieder los, wäre das nicht der Fall, würde ich sogar länger bleiben. Aber ich will auch wieder zu Kräften kommen. Meine Gefühlslage schwankt. Manchmal fühle ich mich gut, denn ich konnte für einige die Situation ein wenig verbessern. An anderen Tagen denke ich, wie unfair es ist: Ich kann nach Hause gehen, aber wer hier strandet - bleibt heimatlos.
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