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Streit zwischen Angeklagtem und Richterin: Ich wollte in Europa bleiben und sitze nun vor Gericht

Ist es jetzt endlich raus? Der Syrer Saleh A., 25 Jahre alt, angeklagt, weil er sich selbst bezichtigt hat, einen schweren Anschlag in der Düsseldorfer Altstadt im Auftrag seines Schwagers beim Islamischen Staat in Rakka geplant zu haben, stritt sich gestern, nach fünf langen Tagen des Verhörs, in denen er ruhig die Fragen des Senats beantwortet hatte, mit Richterin Barbara Havlitza. Prozessbeobachter berichten mir, dass es hoch her gegangen sei, dass A., die Richterin angeschrien habe. Die Sicherheitsbeamten seien eingeschritten. Dazu muß man sagen, dass es seit einigen Jahren ständig Polizei im Gerichtssaal gibt. Die hatte bisher aber meist die Aufgabe, Zuschauer, die nicht schnell genug den Saal verlassen, rauszuscheuchen.

Richterin Havlitza habe dazu gesagt, jetzt komme seine Macho-Seite hervor. Saleh A. soll gerufen haben, dass er das alles nur gesagt habe um in Europa bleiben zu können. „Ich kenne doch nur Krieg, Gefängnis und Zerstörung," hatte er es einmal in den vergangenen Tagen ausgedrückt. Er habe das deutsche Volk vor dem IS warnen wollen Er wolle keine unschuldigen Menschen töten. 

Jetzt verlor er seine Beherrschung. Er habe die Richterin angeschrien, "ich bin besser als Sie und als Ihr Volk". Und  jetzt angesichts des Gerichtsverfahrens sei der IS ihm um dreißig Prozent näher gerückt. Die Mittagspause wurde vorgezogen. So weit der Flurfunk.


Boom von Selbstbezichtigungen wegen angeblicher Attentatspläne oder schwerer Straftaten

Gestern, am Mittwoch nachmittag, saß Saleh wieder ruhig hinter der Glaswand, in dem Raum für die Angeklagten und hat beschlossen, nichts mehr zu sagen.

Die französische Polizei glaubte dem Mann, der Pariser Ermittlungsrichter vernahm ihn. Schließlich wurde er an die deutschen Behörden überstellt. Die Bundesanwaltschaft mußte, nach den schrecklichen Anschlägen in Frankreich und Brüssel, dem Mann ebenfalls erst mal glauben - und Ermittlungen aufnehmen. Das ist vom Gesetz vorgeschrieben. Er belastete auch seine beiden Mitangeklagten schwer. Einer von ihnen, Mahood B., dem Saleh A. beim gemeinsamen Kiffen eröffnet haben will, dass Mahood die Ehre habe, ein Selbstmordttentäter zu werden, ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß, weil Saleh vor zwei Wochen vor Gericht seine Aussage über ihn wieder zurückgezogen hatte. Es besteht also kein Tatverdacht gegen Mahood B. , der eine Untersuchungshaft, insbesondere eine U-Haft unter den erschwerten Bedingungen des Paragrafen 129 a /b rechtfertigen würde. Diese Tatsache ist meines Erachtens ein Zeichen dafür, dass die Beweislage gegen Mahood B. ziemlich dünn ist. Obwohl er sich selbst den Tarnnamen „Krieger" gegeben hatte. Es bleibt bei ihm der Anklagepunkt der Erpressung. Saleh und Mahood sollen geplant haben, zur Geldbeschaffung den Vatikan mit dem Video eines vom IS entführten katholischen Priesters zu erpressen.

Bedenkt man, dass mittlerweile etliche Fälle von Terror- Selbstbezichtigungen durch Flüchtlinge registriert worden sind, dann kommt einem der Prozess ziemlich makaber vor. Solche Selbstbezichtigungen hat es schon immer gegeben, mir selbst sind von vor 20 Jahren ein paar Fälle zu Ohren gekommen. Aber seit einigen Monaten scheint es einen regelrechten Boom zu geben, wie eine rasche Suche mit Google zeigt.

Die Behörden sind jedoch weiterhin überzeugt: Saleh A. hatte tatsächlich ein Attentat vor und einen Auftrag dazu und bekam dann kalte Füße.


Retrowelle in Algerien: Haremsmode im Mittelalterstil der „dernier cri"

Gestern nachmittag war Saleh also nicht mehr zum Reden bereit. Die Lücke im Programm füllte der von Saleh als Mittäter bezichtigte Hamza C, der ausfühlich zu seiner Person und seinem Werdegang befragt wurde.

Hamza , etwa 25 Jahre alt, gab an, er sei in einer Stadt im Osten Algeriens aufgewachsen. Er habe nach der Schule keine Ausbildung durchlaufen und sei, wie viele andere junge Männer, zum Militär gegangen. „Die Armee ist die einzige Institution, die offene Türen für alle hat", erklärte er. Bei den anderen staatlichen Institutionen brauche man Beziehungen, einen Onkel etwa, der einen dort hineinbringen könnte. Bei der Armee durchlief Hamza einen Ausbildung zum Fahrer und eine zum Scharfschützen. Er habe sich immer wieder für ein Spezialkommando gemeldet, bis er schließlich in eine Anti-Terror-Einheit aufgenommen worden sei. Seine Truppe habe die Terroristen, die sich der Al Qaida angeschlossen und sich dann Al Qaida im islamischen Maghreb (AQiM) genannt habe, bekämpft, Er nannte verschiedene Orte, an denen die Einheit stationiert gewesen sei. Aufgrund eines Unfalls und einer Asthmaerkrankung sei er 2014 aus der Armee entlassen worden. Mit em Geld aus seiner Veteranenrente sei er als Partner in ds Damen modegeschäft eines Freundes eingestiegen. Die beiden wollten in Istanbul einkaufen. Frauenmode im Stil der in Algerien sehr beliebten Fernsehserie „Harim el Soltan„ (der Harem des Sultan)  sei der „letzte Schrei" in Algerien, die Frauen seien ganz wild danach. Die Retro-Welle ist also auch in Algerien angekommen.

Sein Freund und er hätten in Istanbuler Viertel Bazeri Kleidung eingekauft,

Richterin Havlitza wunderte sich: „Das geht doch nur für Endverbraucher". „Nein, auch für Großeinkäufer. Dort gibt es auch Großhändler", war die Antwort. Aber aufgrund von Problemen mit dem Präfekten seiner Heimatprovovinz wegen eines Streits über  Grundbesitz  habe er nicht wieder zurückkehren können. Er habe sich daher entschieden, nach Europa zu gehen, sein Ziel sei Italien gewesen. Dort habe ein Bekannter von ihm 15 Jahre lang gelebt und gearbeitet. „Italien liegt den Algeriern nahe, „erklärte er. In seinem Istanbuler Hotel seien allein siebenunddreißig Landleute gewesen, die alle nach Europa wollten.

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