Wer das vergangene Jahr in Sachen Gaming nicht komplett verschlafen hat, dem wird sich der Name „Witcher 3" schon ins Hirn gebrannt haben. Mit Screenshots, Videos, Trailer, Artwork und vielen Events zum dritten Teil der beliebten RPG-Serie warf Entwickler CD Projekt Red noch einmal ordentlich die Werbetrommel an. Zu Recht. Schon 2013 auf der E3 sahnte der Titel ganze 49 Awards ab. Vor genau einer Woche war es dann so weit: Sämtliche Spieler verabschiedeten sich von Freunden und Familie. Vielleicht ist das auch MEIN letzter Artikel, den ich jemals schreiben werde...
In der vergangenen Woche wurde schon so einiges über das Spiel und seine reichlichen Vorzüge gesagt, aus diesem Grund möchte ich auch nicht so genau auf alle Spielemechaniken und die Geschichte eingehen. Wer eine Xbox One, PlayStation 4 oder einen guten Gaming-PC besitzt, der sollte das alles am besten selbst herausfinden.
Die Witcher-Serie war schon immer blutig, brutal und generell sehr erwachsen. Vergewaltigung, Rassismus und Selbstmord stehen meist im Mittelpunkt der düsteren, jedoch schönen Welt. Ein Spiel mit so starken Themen trägt aber meiner Meinung nach auch eine gewisse Verantwortung. Als „Most Anticipated Game 2015" hatte der Hexer einen ehrwürdigen Ruf zu verteidigen. Rollenspielfans wie ich starrten schon 2013 sabbernd auf den Bildschirm in der Hoffnung, den Titel eines Tages spielen zu können. Aber wie immer ist zu viel Hype pures Gift für ein Spiel. Ein ausgereifter und gut entwickelter Titel gelangt leider sehr schnell in die Hände von Internet-Trollen und Fans der Empörung, die sich über Texturen und so ziemlich alles, was sich sonst noch finden lässt, die Münder zerreißen. Und siehe da: Genau so kam es.
In der Vergangenheit wurde man quasi überhäuft mit Artikeln über den aktuellen Teil der Witcher-Serie. Die ach so aussagekräftigen Vergleiche zwischen Konsole und PC, die einmal mehr die Lieblingsdiskussion der Gamer-Kultur entfachte, oder die mit Brüsten vollgepackten Thumbnails der Video-Reviews. Die Fakten zur Hexerwelt sprechen für sich. Eine riesiges Open-World-Setting mit über 200 Stunden Spielzeit, wunderschöne Licht- und Wettereffekte, eine tolle Story und und und. Wenn man mit seinem Pferd durch die Weiten der riesigen Welt reist, streift man durch vereiste Gebirge, düstere Sumpfgebiete und ist sogar mit einem Segelschiff auf dem brutalen Meer unterwegs. Insgesamt 36 verschiedene Endings soll es geben, je nachdem, welche Entscheidungen man auf seinem Weg trifft und welche nicht. So kann der Hexer Geralt von Riva (unser Protagonist) als das größte Arschloch der Welt auftreten und so seinen Ruf verteidigen oder ein selbstloser Helfer in der Not werden. Deine Entscheidung.
Allein die Hauptquestreihe (die sogar wirklich interessant ist) ist mit gut 50 Stunden Spielzeit dabei. Es sei jedoch gesagt, dass man den dritten Teil ohne Probleme als seinen persönlichen ersten Teil spielen kann. Das Wissen aus Witcher 1 und Witcher 2 ist nicht unbedingt erforderlich, obwohl es Spaß macht, alten Freunden Geralts zu begegnen und ein wenig mehr Einblick in das Leben des mysteriösen Hexers zu bekommen. Das meiste Wissen aus den beiden Vorgängern wird gut durch Zwischensequenzen und das immer abrufbare „Glossar" vermittelt.
Und wo liegt nun das Problem? Das frage ich mich ehrlich gesagt auch. Auslöser für das Entfachen der Diskussion in Sachen Grafik-Downgrade war der bereits 2013 veröffentlichte Spieletrailer. Dieser zeigte schon fast unnormal schön gestaltete Gegenden, extreme Lichtpartikel-Effekte und noch schärfere Texturen. Was? Ein Spielehersteller, der sein Spiel hervorhebt, indem er in einem Ausschnitt eine eigentlich nicht realisierbare Grafik zeigt? Das habe ich ja noch nie gehört! Es gehört einfach dazu und jeder macht es, wieso also dieser Aufstand?
Nach Ansicht einiger Redakteure und Fans sei die nicht vorhandene Erklärung seitens CD Projekt Red der Ausschlaggeber für den Unmut. Pünktlich zu diesen Diskussionen veröffentlichten die Spieleentwickler eine kleine Erklärung - oder eher eine Rechtfertigung. Der 2013 publizierte Trailer lief in der Tat auf dem PC. Das bedeutet, dass diese atemberaubende Grafik tatsächlich möglich gewesen wäre und das auch die Konsolen die „Schuld" am Downgrade tragen würden. Hätte man jedoch lediglich eine PC-Version veröffentlicht, hätte das Studio die Entwicklungskosten gar nicht tragen können. Ob man es mag oder nicht, die Konsolen spielen heute eine extrem wichtige Rolle in der Branche. Im Laufe der Zeit stellte man fest, dass diese Supergrafik kaum ein Computer, geschweige denn eine Konsole hätte verarbeiten können. Also schraubte man die Grafik ein wenig runter. Eine Kommunikation zwischen Fan und den Entwicklern gab es dazu nicht, da man kein Problem darin sah. Verfolgt man die Beiträge in den Foren und sozialen Netzwerken, dann heißt es ständig, die Story und das Feeling eines Spiels wäre relevant, die Grafik sei zweitrangig.
So bald ein Spiel jedoch Angriffsfläche für solch eine Diskussion bietet, stürzen sich sämtliche Leute vor dem PC wie Aasgeier auf den vermeintlichen Fehler. Vergleichbar mit dem Statement „Ich achte nur auf den Charakter!", nur um sich dann eine/n Mann/Frau zu schnappen, der/die Ausstrahlung einer Kartoffel hat (arme Kartoffel.)
Ja, das Spiel hat hier und da Fehler, manche Texturen laden nicht sofort nach und auch ich hatte auf der PS4-Version einige Probleme mit Framedrops. Aber macht das wirklich schon das ganze Spiel aus? Als Beispiel mein Lieblingstitel, das 2011 veröffentlichte Skyrim. Die Grafik veraltet, die Texturen matschig und Bugs, so weit das Auge reicht. Und trotzdem das mit Abstand meist gespielte Spiel in meiner Steam-Bibliothek mit knapp 500 Stunden, hoppla.
Wie bereits erwähnt, spielte die Witcher-Serie schon immer in einer sehr düsteren Realität, in der man stets mit dem Horror des realen Lebens konfrontiert wurde. Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Drogen und Alkoholmissbrauch. The Witcher 3 bekam mittlerweile schon den Titel „Game of Thrones der Spielewelt". Natürlich werden auch in anderen RPGs wie die Dragon Age-Reihe Themen wie Rassismus im Ansatz behandelt, jedoch nicht in einem so starkem Ausmaß wie bei der Spieleserie von CD Projekt Red. Während viele Rollenspiele eher das Fantastische, das Einhorn im Mondschein, ansteuern, hackt CD Projekt Red diesen den Kopf ab. Willkommen in der Realität. So kam auch die Diskussion um Frauenfeindlichkeit und Rassismus im neuen Teil auf. Wir befinden uns hier in einer mittelalterlichen Welt mit ihren eigenen Regeln. Frauen spielen keine Rolle, sind nur für Sex (freiwillig oder unfreiwillig) da und um neue Kinder in die Welt zu setzen.
Kommt es zu Überfallen in Dörfern oder Städten, werden Frauen kaltblütig vergewaltigt und ermordet oder sogar als Sexsklavin gehalten. Es herrschen düstere Zeiten, so düster, dass ich Gänsehaut bekomme, wenn sich zwei NPCs im Dorf darüber austauschen, welche Frau sie sich als Nächstes vornehmen. Harter Tobak, vor allem für die weiblichen Spieler. So werfen die amerikanischen Spieleseiten wie Kotaku und Polygon den Entwicklern vor, sie hätten eine frauenfeindliche Welt erschaffen. Hier gehen die Meinungen auseinander.
Auch ich bin hier zwiespältig und kann mich nicht für eine Seite entscheiden. Ich habe definitiv ein Problem damit, dass bei jedem zweiten weiblichen Charakter die halbe Brust raushängt, vor allem bei so mächtigen und starken Charakteren wie Geralts langjähriger Freundin Yennefer oder seiner Ziehtochter Ciri. Warum muss man bei einer Tochterfigur die Bluse so weit aufknüpfen, dass ihr kompletter BH zu sehen ist? Für mich gibt es da keinen triftigen Grund. So eine Darstellung ist unpassend und würdigt damit (meiner Meinung nach) die Charaktere herab. Um jetzt nicht den Hardcore-Social-Justice-Warrior raushängen zu lassen, muss man sich vor Augen führen, in welcher Zeit die Reihe spielt. In dem mittelalterlichen-Setting werden die Frauen im Witcher-Universum ohne Frage den Männern untergeordnet, wie man diese Information nun aufnimmt, sei jedem selbst überlassen. Einige finden es der ansprechenden Zeit angemessen, andere fühlen sich erniedrigt. Als Spieleentwickler hat man stets die Möglichkeit, sein Spiel nach seinen eigenen Vorlieben zu erschaffen, egal ob zeitlich angemessen oder nicht. Es freut mich, dass solch ein Thema mittlerweile gezielt in Videospielen angesprochen wird. Man hätte hier jedoch definitiv einen Mittelweg finden können zwischen Sozialkritik und aggressiver Frauenfeindlichkeit.
Auch der Rassismus spielt eine große Rolle in CD Projekt Reds Spiel. So stellen die Elfen und Zwerge die ultimative Minderheit dar, ständig gedemütigt und von allen missachtet. Aber was ist mit den Menschen? In meiner bisherigen Spielzeit ist mir kein einziger schwarzer oder gar einer anderen Kultur angehörigen NPC über den Weg gelaufen. Auch hier schalteten sich die Warnlichter der amerikanischen Presse an. Kulturelle Darstellung in Spielen ist sehr wichtig, das zeigte auch das Spiel Rust in der Vergangenheit. Zu dem Zeitpunkt, als den Spielern nur ein einziger weißer Charakter zur Verfügung stand, interessierte es niemanden. Als es dann jedoch hieß, man könne sich seine Hautfarbe nicht mehr aussuchen, war das Geschrei riesig. Und trotzdem muss man hier einen Punkt setzen. Rollenspiele wie Skyrim, Dragon Age oder eben Witcher behandeln das Thema Rassismus auf seine eigene Art und Weise. So dienen andere Völker wie Elfen als Minderheit, das Gebiet Rassismus wird also nicht unter den Teppich gekehrt, sondern schlichtweg anderes behandelt. Die amerikanischen Redakteure haben also definitiv einen Treffer. Den Entwicklern vorzuwerfen, sie seien Sexisten oder Rassisten, ist jedoch definitiv zu dick aufgetragen.
Ein Spiel kann auch durchaus „politisch und menschlich unangebracht" sein, so lange sich jeder darüber im Klaren ist, das dies nicht der Standard ist. Wenn man sich also über die unpassenden Anmerkungen der besoffenen Männer in The Witcher aufregt und einem die Darstellungsform der Charaktere missfällt, ist alles in Ordnung. Man könnte natürlich noch an der Umsetzung der Themen ändern, aber dann hätte man weniger Spaß beim Aufregen und ich hätte weniger zu schreiben.
Wie bereits anfangs erwähnt, habe ich all die fanatischen Fakten über The Witcher 3: Wilde Jagd ausgelassen. Schon vor einem Jahr war für mich klar, dass dieses Spiel ein ultimativer Erfolg wird. Warum also nochmal genau darüber berichten, was andere bereits mehrmals durchgekaut haben? The Witcher 3 bietet eine unfassbar schöne und riesige Spielwelt, eine immense Spielzeit von über 200 Stunden und strotzt grade so vor Liebe in jeder Ecke. Auch wenn Geralt manchmal die Brüste grade so ins Gesicht springen, verfügt das Spiel über toughe Charaktere, sowohl männliche als auch weibliche. Wer als RPG-Fan also keine Lust mehr auf glitzernde Einhörner hat, dem kann ich den dritten Teil der Witcher-Serie empfehlen. Und nun entschuldigt mich, ich muss Monster-Nester hochjagen, Dörfer von Geistern befreien und Karten spielen.