Osnabrück. Über Jahre gesammelte Tiernachrichten haben Eva Menasse zu ihrem Erzählband „Tiere für Fortgeschrittene" inspiriert. Die Umwandlung der tierischen in menschlichen Lebensräume ist vollauf gelungen.
Wenn es in Literatur und Kunst um Tiere geht, dann ist eigentlich immer der Mensch der gemeint. So ist das auch in Eva Menasses Erzählband „Tiere für Fortgeschrittene". Jahrelang hat sie Nachrichten über Tiere aus Zeitungen ausgeschnitten und gesammelt. Ihr einziges Kriterium: Die Geschichten mussten etwas haben, was Menasse als zutiefst menschlich empfand. Aus den Berichten über Raupen, Schlangen, Enten, Schmetterlingen und Krokodilen hat die aus Österreich stammende Autorin über Ehepaare, verlassene Partner, Vorurteile und andere Menschengeschichten gemacht. Hier weiterlesen: „Gott, hilf dem Kind" - Toni Morrisons Roman über Rassismus.
Auf schmalem GratDie Erzählungen sind nach den Tieren benannt, die sie inspiriert haben. „Raupen" heißt etwa die über einen alten Mann, der allein seine demente Ehefrau pflegt. Mit aller Kraft versucht er das Unmögliche, nämlich ihr ehemaliges Leben aufrechtzuerhalten. Denn er spürt, dass mit den schwindenden Erinnerungen seiner Frau ihr gemeinsames Leben in Vergessenheit gerät. Die Töchter, die sich einmischen wollen, schmeißt er aus dem Haus und schickt stattdessen als eine Art fragwürdige Therapie seine kranke Frau zum Fensterputzen auf eine Leiter.
Diese gefährliche Situation, die die alten Gewohnheiten erhalten soll, zeigt, auf was für einem schmalen Grat das Paar sich bewegt - so wie die titelgebenden Tabakschwärmer-Raupen, deren Verdauungssekrete die Tabakpflanze Duftstoffe freisetzen lässt, die wiederum Fressfeinde der Raupe anlocken. Was lebenserhaltend sein soll, wird zur Lebensgefahr. Hier weiterlesen: Auf der Flucht - Dave Eggers´ Roman „Bis an die Grenze".
Erforschung menschlicher Verhaltensweisen„Raupen" ist einer der berührendsten Erzählungen mit dem größten Nachhaltigkeitswert in Menasse Buch. Dabei glänzt sie bei ihrer Erforschung menschlicher Verhaltensweisen ohnehin mit durchgehend starken Geschichten. In „Haie" etwa zeigt sie, dass auch die Mittelschicht keineswegs frei von Vorurteilen sind. Dort gewinnen die Vorbehalte gegen eine libanesische Familie eine unaufhaltsame Eigendynamik. Eva Menasse geht ganz nah an ihren Protagonisten ran. Der Leser fühlt sich, als stünde er mitten im Leben dieser Mittelstandsfiguren. Das würde auch funktionieren, ohne dass Eva Menasse die Tiernachrichten vorangestellt hätte. So aber ermöglichen die Tiergeschichten noch mal einen anderen Blick auf die menschlichen Beweggründe. Und zeigen, wie der Mensch von seinen Gefühlen und Instinkten getrieben wird. Hier weiterlesen: Brillante Satire - Jonas Lüschers „Kraft".
Eva Menasse: „Tiere für Fortgeschrittene". Verlag Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 20 Euro.