Auf dem Internetportal finden sich Interviews und Unterrichtsmaterial zu Themen wie Homosexualität in der DDR und zur Geschichte der Empfängnisverhütung sowie ein Glossar zum Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Außerdem werden Audio-Stadtrundgänge angeboten, die beispielsweise vom homosexuellen Leben in Berlin-Schöneberg während der 1920er-Jahre erzählen. Im Laufe von mittlerweile zehn Semestern haben Lehramtstudierende im Fach Geschichte und Absolvierende des Masterstudiengangs Public History das Lernmaterial zusammengetragen. Es sei ihm wichtig, sagt Martin Lücke, dass die Arbeit der Studierenden entlohnt werde, deshalb sind die meisten Materialien auf der Seite das Ergebnis regulärer Studienleistungen.
Der Anwendungsbezug seiner Seminare komme an. Vor seinem ersten Seminar über die Geschichte der Homosexualität habe er sich noch gefragt, ob das Thema überhaupt auf Interesse stoßen würde, sagt Lücke. Am Ende sei der Raum mit 60 Studierenden vollbesetzt gewesen. „Der Arbeitsschwerpunkt Queer History an der Freien Universität konnte sich nur etablieren, weil wir die Studierenden eingebunden haben."
Geschützter Raum gegen HomophobieMit Seminaren zu queerer Geschichte könne man nicht nur dem Thema zu mehr Sichtbarkeit verhelfen, sondern auch einen geschützten Raum gegen Homophobie bieten. „Viele LGBTI-Studierende (lesbische, schwule, bi-, trans- oder intersexuelle Studierende, Anm. d. R.) kommen in diese Seminare, weil sie dort in einem herrschaftsfreieren Raum über queere Thematiken reden können. Dabei können auch schon mal die Fetzen fliegen." Gerade die Gruppe der Lehramtsstudierenden sei sehr heterogen, im Gegensatz zu anderen Studiengängen gebe es dort mehr Studierende aus Nicht-Akademiker-Haushalten und aus migrantischen Familien - und deswegen sehr unterschiedliche Positionen. In einem Seminar zur Ehe hätten einige etwa die Ehe für ein schützenswertes Konzept gehalten, während sie für andere Ausdruck des Patriarchats gewesen sei.
Fortbildungsveranstaltungen an SchulenDrei- bis viermal im Semester bietet Lücke gemeinsam mit Studierenden Fortbildungsveranstaltungen an Schulen an. Er bekomme gute Rückmeldungen. „Lehrerinnen und Lehrer sind nicht verklemmt, aber über die Geschichte der Homosexualität lässt sich leichter mit Externen sprechen." Insbesondere mit engagierten Lehramtsstudierenden, ergänzt Lücke.
Aber es gebe auch Gegenwind: „Für die klassische Geschichtslehrerfraktion ist queere Geschichte eine Provokation, weil sie einen thematischen und keinen chronologischen Zugang zu dem Fach hat." Abgesehen davon empfänden einige Lehrerinnen und Lehrer einen Zugang zu dem Fach über die Perspektive der Geschlechter- und Sexualitätsgeschichte sicherlich generell als heikel.
Für Schülerinnen und Schüler dagegen seien solche Projektseminare eine willkommene Abwechslung: Sie würden rege mitarbeiten und erstaunlich gut reagieren, weder kichernd noch peinlich berührt, wie man vielleicht erwarten könnte, sagt Martin Lücke: „Mit uns Externen können sie in Ruhe über Themen der Sexualität reden. Dass es um die Geschichte der Sexualität geht, hilft, weil sie dafür den eigenen Schamhorizont nicht verlassen müssen." Indem sie über Sexualität in einer anderen Epoche sprechen, sind sie nicht unmittelbar in ihrer Gegenwart davon betroffen. Eine Schulstunde mit einem Gespräch in entspannter Atmosphäre über Homophobie in der Geschichte sei deshalb ein wertvoller Beitrag für mehr Akzeptanz von homosexuellen Menschen auch in der Gegenwart, konstatiert Martin Lücke.
Freie Universität Berlin ist Mitglied im Bündnis gegen HomophobieDas Bewusstsein für geschlechtliche Vielfalt in der Gesellschaft verändere sich nur durch den Einsatz vereinter Kräfte. Seit vergangenem Oktober ist die Freie Universität Mitglied im Bündnis gegen Homophobie. Damit setzt sie ein deutliches Zeichen für Vielfalt und Offenheit und positioniert das Thema prominent. In Zukunft werde es dadurch beispielsweise für mögliche Kooperationspartner leichter, mit konkreten Vorschlägen wie Tagungen zu dem Thema an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heranzutreten. „Die Mitgliedschaft in dem Bündnis zeigt, dass wir Homophobie im Hochschulraum ernst nehmen: Wir müssen uns als Universität selbst kritisch hinterfragen und anerkennen, dass auch Universitäten Orte sind, an denen Homophobie vorkommt."