Anna Wengel

Journalistin, Redakteurin, Texterin, Berlin

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Deshalb ist Goa der Ballermann Indiens.

Viele, die zum ersten Mal nach Indien reisen, wählen Goa als Anlaufpunkt. Und Arambol Beach ist einer der beliebtesten Treffpunkte der Partytouristen – ein indischer Ballermann sozusagen. TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel war dort und erklärt den Ort voller Widersprüche.


Der Geruch von Alkohol macht sich in meiner Nase breit. Ausdünstungen von Moder, Schweiß und lange nicht gewaschenen Haaren mischen sich hinzu. Perplex drehe ich mich zur Seite. Ein Mann wankt ins Café und lässt sich neben mich auf die Sitzkissen-Reihe plumpsen. Zu nah. Mein ohnehin schon in Habachtstellung verweilender Magen knurrt zum Angriff. Ich rücke ein Stück weg und versuche mich auf den Laptop vor mir zu konzentrieren und den Gestank zu ignorieren.Der volltrunkene Mensch neben mir ignoriert meine Ignoranz und fängt an zu reden: „Hey schöne Frau", lallt es mir in gebrochenem Englisch mit starkem russischen Akzent entgegen, „weißt du, was ich habe? Was Heiliges, das kannst du anfassen". „Hm, will ich echt nicht wissen", grummele ich zurück, mich innerlich schüttelnd. „Echt Mädchen, ich habe einen großen, heiligen Schw***. Solltest du dir echt mal angucken."


Diese wunderbare Begegnung mache ich morgens um 10 Uhr in Arambol, einem Fischerdorf im indischen Bundesstaat Goa. Bei dem kläglichen Versuch, ein bisschen Ruhe zum Arbeiten zu finden. Sie ist nicht die einzige Erfahrung dieser Art. Viele Touristen kommen zum Mega-Besäufnis nach Goa. Die guten Manieren bleiben in der Regel zu Hause. Na gut, nicht alle kommen zum Saufen nach Goa. Die betrunkenen Russen, die in Goa so präsent sind wie sonnenverbrannte Deutsche auf Mallorca, mischen sich in Arambol mit zahlreichen Hippies und Yogis zu einer heterogenen Masse. Viele von ihnen auf Sinnsuche, manche auch nach dem ultimativen psychedelischen Trip. Den zu finden ist nicht schwer. Theoretisch illegal floriert das Geschäft mit Drogen in Goa ähnlich offen wie in Berlin.


Chakra-Reinigung im Kristall-Geschäft

Das mit der Sinnsuche wird angesichts der feiernden Masse in Arambol Beach schon etwas schwerer. Wer sich aber auf unerwartete, vielleicht sogar ungewöhnliche Erfahrungen einlässt, kann in der von Livemusik geprägten Party-Hochburg tatsächlich Neues erleben. Zwei meiner Mitreisenden bekommen zum Beispiel von einem Kristallverkäufer das Angebot, sich von ihm die Chakren reinigen zu lassen. Das finden sie gut. Mit geschlossenen Augen liegen sie auf dem Boden des Geschäfts. Der Verkäufer verschließt die Tür, platziert Stein für Stein auf den Körpern meiner Freundinnen und murmelt leise irgendwelche unverständlichen Wortfetzen vor sich hin. Und plötzlich sind sie starr. Können sich nicht mehr bewegen. Der Mann murmelt weiter und beiden ist klar: Er hat die Macht.


Schweißüberströmt und mit einem irgendwie irren Blick stürmen beide nach ihrer Heilungs-Session zurück in unser Zwei-Zimmer-Appartment, das wir uns zu dem Zeitpunkt mit acht Freunden teilen. „Ich war komplett unfähig, mich zu bewegen. Der hätte alles mit uns machen können", erzählt meine Freundin zitternd. Hat er nicht. Nach einer guten Stunde blanker Angst und Panik auslösender Regungslosigkeit war der Zauber vorbei. „Ich bin müde. Aber ich fühle mich auch so leicht. Irgendwie unbeschwert", erzählt sie mir. Nicht nur meine Freundinnen scheint der Kristallmann erschöpft zu haben. Neugierig geworden laufe ich mit ein paar anderen mehrfach zu dem Geschäft. Die Tür immer verschlossen.


Ruheparadies versus Party-Hochburg

Sinnsuche scheint in Arambol vor allem früh am Morgen zu passieren. Lange bevor die Strandbars lautstarken Techno aus knarrenden Boxen dröhnen lassen, die Klischee-Touristen sich mit lallender Draußen-Stimme Gehör verschaffen und das Bild von sich Shot für Shot weicher zeichnen. Lange bevor sich die Strände mit weißen Körpern in bunten Bikinis und Badehosen füllen und Frauen mit heller Hautfarbe zur vielfach fotografierten Sehenswürdigkeit avancieren. Früh am Morgen, bevor das Ballermann-Goa erwacht, gehört Arambol Beach den Ruhesuchenden. Yogis, die ihre Sonnengrüße mit geschlossenen Augen und nackten Füßen im Sand ausführen. Meditierenden, die sich in ihrem Lotussitz nicht einmal von umherlaufenden Kühen stören lassen. Joggern, die im nassen Sand versuchen, nicht in den Müll zu treten oder gegen einen an Land gespülten toten Delfin zu rennen, während sie die Augen aufs Meer gerichtet lassen, wo sehr lebendige Delfine in Schwärmen aus dem Wasser springen.

In Agonda ist Goa so, wie man es sich vorstellt 

Dieses Goa ist dann tatsächlich fast traumhaft. Und anders als in Arambol existiert es in anderen Teilen des Bundesstaates nicht nur am frühen Morgen. In Agonda zum Beispiel. „Genau so habe ich mir Goa immer vorgestellt", sagt einer meiner Reisegefährten zu mir, als wir nach etwa vierstündiger Motorbike-Tour in dem kleinen Fischerdörfchen ankommen. Ich mir auch. Weiße Sandstrände mit mehr oder weniger dezenten Bars säumen den Strand hier ebenso wie Palmen und kleine Beach Huts, in denen man noch beim Einschlafen das Meer rauschen hört.


Es fehlen die Massen an Menschen, der Überfluss an Geschäften, die mit ihren riesigen bunten Tüchern, Ledertaschen, Kristallen und Modeschmuckstücken touristische Schnäppchenjägerherzen höher schlagen lassen. Das kleine Fischerdörfchen scheint wie der kleine Ruhepol im quirligen Goa. Und gefühlt ist das der einzige Ort in ganz Indien, in dem Müll nicht dominiert. Aber gut, Goa ist nicht Indien.

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