"Stell dir vor, was Medizin sein kann", wird der Besucher der Website des Spieleunternehmens Akili aufgefordert. Die Firmenphilosophie: Medizin kann Spaß machen, kann fesseln - kann ein Spiel sein. Akili gehört zu den ersten Unternehmen, die deshalb spezielle Spiele entwickeln. So wie zum Beispiel "Project: EVO", das für Kinder mit ADHS gedacht ist.
In "Project: EVO" navigieren die Spieler durch fremde Welten, müssen beispielsweise kleine rote Monster einfangen und dabei Gefahren und Hindernissen ausweichen. Ein Algorithmus passt die Aufgaben an den jeweiligen Spieler an.
Klinische Studien hätten gezeigt, dass das Spielen von "Project: EVO" bei Kindern mit ADHS unter anderem zur Verbesserung bei der Aufmerksamkeit, Impulsivität und dem Arbeitsgedächtnis führe, behauptet das Unternehmen. Und ADHS ist nur der Anfang: Auch Autismus oder Depression sollen zum Beispiel mit der Technologie hinter "Project: EVO" behandelt werden können.
Wie Akili arbeitet auch die Firma Amblyotech an sogenannten therapeutischen Spielen. Amblyotech hat sich zur Therapie der Augenkrankheit Amblyopie mit der großen Firma Ubisoft zusammengetan, dem Publisher von Spielen wie der "Assassin's Creed"-Reihe. Die Profis von Ubisoft wissen, wie man Spieler bei der Stange hält. Das senke das Risiko, dass die Therapie unterbrochen werde, erzählt Amblyotech-CEO Joseph Koziak.
Können Games auf Rezept wirklich helfen?
Bei Amblyopie sieht ein schielendes Auge schlechter als das andere, da das Gehirn die Informationen des abweichenden Auges unterdrückt. Bei der herkömmlichen Therapie wird dem Kind das gesunde, fixierende Auge abgeklebt (bei Erwachsenen zeigt das keine Wirkung mehr). So zwingt man das Gehirn, das amblyope Auge zu benutzen.
Die Spiele von Amblyotech sollen dieses Ziel ebenfalls erreichen: Um beispielsweise "Dig Rush" zu spielen, setzt man eine Rot-Blau-Brille auf. Dann bauen die Spieler in einer Mine Gold ab, das sie an Hindernissen vorbei zu einem Karren bringen müssen. Das rechte und das linke Auge sehen dabei unterschiedliche Details. Um die Aufgaben bewältigen zu können, muss das Gehirn also beide Augen nutzen.
Handfeste Beweise für Wirksamkeit fehlen
Doch können Spiele auf Rezept wirklich helfen? Im Fall von Akili begegnet den Entwicklern einiges an Skepsis von Forschern. Bislang fehlen Studien, die sich konkret mit den therapeutischen Spielen auseinandersetzen und ihre Wirksamkeit wissenschaftlich valide belegen - oder widerlegen.
Weiter ist die Forschung schon bei einer anderen Kategorie von Spielen, den sogenannten "Brain Games". Das sind Spiele, die behaupten, die kognitiven Fähigkeiten ihrer Spieler zu verbessern. Sie haben mittlerweile nicht den besten Ruf.
"Es gibt keine zwingenden Beweise, dass diese Spiele wirklich einen echten Effekt auf die generellen Fähigkeiten des Spielers haben", sagt Daniel Simons von der University of Illinois. Er hat zusammen mit einem Team von internationalen Wissenschaftlern hunderte Studien untersucht, auf die sich Brain-Game-Unternehmen berufen. Oft hätten diese Studien schwere Fehler im Design und bei der Analyse.
Ähnlich sieht das auch ADHS-Forscher Marcel Romanos: "Es gibt keine Beweise, dass das Training von kognitiven Funktionen durch ein Videospiel dafür sorgt, dass die Kinder diese im Alltag besser einsetzen können." Heißt: Die Kinder werden einfach nur besser darin, das jeweilige Spiel zu spielen, ohne darüber hinaus etwas mitzunehmen für ihr Leben.
Zwar sind von wissenschaftlichen Untersuchungen zu "Brain Games" keine direkten Schlüsse auf therapeutische Spiele möglich. Dennoch hält Forscher Simons die Versprechungen der neuen therapeutischen Spiele für unrealistisch: "Jetzt zu behaupten, man könne damit ADHS oder Alzheimer therapieren, erscheint mir ein großer Sprung."
"Nicht als Alternative, sondern höchstens als Ergänzung"
Solche Vorwürfe sind auch Spielehersteller Akili bekannt. Eine Zulassung der eigenen Videospiele durch die US-Arzneimittelbehörde FDA soll nun die Zweifel zerstreuen, plant das Unternehmen. Gerade warte man auf die Ergebnisse einer Phase-III-Studie, heißt es. In solch einer Studie werden in der Pharmaforschung die für die Zulassung entscheidenden Daten zum Wirksamkeitsnachweis ermittelt. Wenn die Ergebnisse überzeugend sind, wird der FDA-Antrag gestellt. Dann könnte es "Project: EVO" bald auf Rezept geben.
Forscher Simons von der Universität Illinois befürchtet dagegen: Die Unternehmen könnten die Zulassung durch die FDA vor allem als Marketinginstrument nutzen.
Auch Deutschland ist als Markt interessant für die Hersteller: Amblyotech, dessen Spiel eine Augenkrankheit therapieren will, strebt für seine Technologie eine Zulassung in den USA, der EU und Kanada an. Ein ähnlicher Therapie-Ansatz der deutschen Firma Caterna wird von einigen Krankenkassen bereits erstattet.
Doch auch hier sind nicht alle von dem Ansatz überzeugt. Denn bei Amblyopie-Spielen stellt sich die Frage: "Hat das einen Nutzen gegenüber der sehr einfachen und - billigen - Therapie, die es schon gibt?", sagt Joachim Esser von der Uni Duisburg-Essen. Er glaubt, dass das in vielen Fällen nicht so sei und sieht die neuen Spiele "nicht als Alternative, sondern höchstens als Ergänzung". Im Fall der Augenkrankheit Amblyopie könne das etwa der Fall sein, wenn andere Mittel wie das klassische Abkleben des Auges mit einem Pflaster nicht die gewünschten Erfolge bringen.
Wissenschaftler wie beispielsweise Simone Kühn vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wollen den Spielen nicht generell jedes therapeutische Potenzial absprechen. Sinnvoll könnte ihr Einsatz zum Beispiel bei der Behandlung von traumatisierten Menschen sein, die unter Flashbacks leiden, glaubt Kühn. Belastbare Studien müssten die Hersteller von therapeutischen Spielen aber auch in diesem Bereich erst noch liefern.