Im Jahr 2015 suchten über 45 000 Menschen in der Hansestadt Hamburg Schutz vor Gewalt, Terror und Krieg in ihrer Heimat. 26 von ihnen haben in diesem Sommer ein neues Leben begonnen: als Gasthörer an der HAW Hamburg.
An den großen Holztischen im Seminarraum am Berliner Tor sitzen Ayaz H., Masoud T., Alim N. mit fünf weiteren jungen Männern. Es sind Ingenieure, Wirtschaftswissenschaftler und Journalisten aus Afghanistan, Iran oder Sudan. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den Flüchtlingen, die als Gaststudierende an dem Pilotprojekt "Sharing knowledge and experiences" teilgenommen haben. Als Karam K. für sein Studium an die Hochschule kam, erhoffte er sich vor allem eines: Anschluss zu finden. Es sollte ein Neuanfang in ein neues Leben werden, mit allem, was dazu gehört. Freundschaften, Sicherheit, neue Pläne und Träume. Die Träume sind geblieben. Alles andere muss sich wohl erst noch ergeben. Vor allem der Umstand, keine neuen Freundschaften gefunden zu haben, beschäftigt den 29-jährigen Syrer: "Die Studierenden haben sehr viel Arbeit. Sie kommen zu den Kursen, aber danach gehen sie schnell wieder." Zeit für Gespräche gibt es im Anschluss kaum. Karam nimmt das nicht persönlich. Er kann verstehen, dass seine Kommilitonen ihr eigenes Leben führen und daher wenig Zeit bleibt, um neue Freundschaften aufzubauen. Vor allem möchte Karam niemandem zur Last fallen. "Ich habe oft das Gefühl, dass wir euch die Zeit rauben - sei es nun die der Professoren oder der Studierenden", sorgt er sich. Auch Alim N. hätte sich mehr Offenheit gewünscht. "Ich habe von manchen gehört, dass sich die Buddys einfach nicht mehr gemeldet hätten", erzählt der ausgebildete Journalist aus Afghanistan. "Das ist schade, denn ich hätte gerne mehr gemeinsam unternommen", fügt er hinzu. Damit das Kennenlernen im nächsten Anlauf besser funktioniert schlägt Alim daher vor, mehr Gruppenarbeit innerhalb der Kurse anzubieten.
Das Projekt hatte sehr vielversprechend begonnen. Es wurde an vielen Stellen als eine Form der "Willkommenskultur" einer sich global öffnenden Hochschule verstanden. Da gab es Gruppen auf Facebook, Whatsapp oder anderen sozialen Medien und viele Pläne für gemeinsame Unternehmungen. "Die Ideen waren da, aber nicht alle Studentinnen und Studenten konnten sie in die Tat umsetzen", erzählt Tine, HAW-Studentin und selbst in dem Pilotprojekt als Buddy tätig. Zeitdruck, außerstudentische Verpflichtungen, vielleicht aber auch einfach der ganz normale Alltagstrott, dürften dazu geführt haben. Es wäre wohl zu einfach, den Studierenden mangelndes Interesse vorzuwerfen, wo sie doch ihre Patenschaften freiwillig eingegangen sind. Die Bereitschaft war da, der anfängliche Enthusiasmus groß, aber dann holen einen andere Verpflichtungen ein. Dies gilt bei Geflüchteten genauso wie bei neuen Nachbarn, denen man zum Einzug immer noch keinen "Willkommenskuchen" vorbeigebracht hat. Und wo genau liegt da überhaupt der Unterschied? Wenn man einen Gast in sein Haus lädt, dann aber versäumt mit ihm ein Gespräch zu führen, kann dann immer noch von Gastfreundschaft die Rede sein? Vielleicht. Und zwar dann, wenn man ihm immerhin ein Stück vom großen Kuchen anbietet. "Positiv war, dass man uns die Möglichkeit gegeben hat, die Hochschule zu betreten und an Kursen teilzunehmen", sagt Ayaz. Es ist ein kleiner Schritt in Richtung Zukunft, ein Teil des Ankommens - und Bleibens.
"Ich war beeindruckt von den internen Strukturen hier", erzählt auch Karam und erinnert sich gleichzeitig an seine Studentenzeit im syrischen Aleppo: "In Syrien herrscht eine sehr große Distanz zwischen Professoren und Studierenden. Das ist hier ganz anders." Er schwärmt von den hochwertigen Materialien und der technischen Ausstattung der HAW - und vom deutschen Bildungssystem. In seiner Heimat fehle es an allen Stellen an Ressourcen, der richtigen Organisation und somit an Stabilität. Deswegen träumt Karam davon, weiter an der HAW studieren zu können. In Syrien machte er zwar bereits seinen Bachelor in Umweltingenieurwissenschaften, anschließend seinen Master in Umwelt- und Industrierisikomanagement. Damit er sich allerdings am deutschen Arbeitsmarkt positionieren kann, fehlt es ihm noch an gleichwertigen Qualifikationen. Ein Studium und vor allem ausreichende Deutschkenntnisse werden dafür unerlässlich sein. Eines ist ihm daher sehr bewusst: "Ohne die Sprache geht es für mich nicht voran in diesem Land." Weder beruflich, noch privat.
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