Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, ist mehrfache Weltmeisterin im Biathlon - und blind von Geburt an. In Sachen Inklusion muss sie dicke Bretter bohren und Kompromisse eingehen. Das mache oft unzufrieden und wütend, gibt sie zu.
Es ist ein Heimspiel für Verena Bentele an diesem Abend in Berlin. Bayerische SPD-Abgeordnete haben in die Landesvertretung geladen, ihr Motto lautet kämpferisch: Inklusion muss gelingen!
Moderatorin: "Jetzt darf ich überleiten zu Verena Bentele. Liebe Verena, ich darf Dir das Wort übergeben...."
Bentele - Süddeutsch, Genossin, Behindertenbeauftragte - läuft von ihrem Sitzplatz in der ersten Reihe aufs Podium zu, eingehakt bei ihrer persönlichen Assistentin. Die Blicke des Publikums folgen ihr. Sie geht zügig, ohne Zögern. Verena Bentele ist die erste Behindertenbeauftragte in der 34-jährigen Geschichte des Amts, die aus eigenem Erleben weiß, wovon sie spricht -sie ist von Geburt an blind. Ihre Kernbotschaft:
Ruhig steht die 33-Jährige am Rednerpult, den Kopf fest geradeaus gerichtet, als würde sie einen Punkt hinten im Zuschauerraum fixieren. Sie spricht schnell, frei, geübt - und Klartext:
Auf dem Podium sitzen politische Mitstreiter, im Publikum überwiegend Selbst-Betroffene, Angehörige, Engagierte. Sie wollen sich von der Seele reden, für was sie sonst selten Gehör finden: Den eigenen Leidensweg, politische Forderungen. Zweieinhalb Stunden lang hört Verena Bentele geduldig zu, wird angeguckt, ohne zurückgucken zu können. Das stört sie nicht, erzählt sie später:
Wieder am Arm ihrer Assistentin, die wie ein guter Geist ausschließlich bei Bedarf, dann aber sofort zur Stelle ist, bahnt sie sich den Weg durch den Zuschauerraum, kommt aber kaum vom Fleck: ein Mann fragt nach einem Beratungstermin, eine Rollstuhlfahrerin nutzt die Gelegenheit, für ihre Selbsthilfegruppe zu werben. Bentele geht in die Hocke, redet auf Augenhöhe weiter. Wenn sie lacht, öffnen sich ihre sonst halb geschlossenen Lider, leuchten die hellblauen Augen auf.
Eine junge Frau, dynamisch, humorvoll, mit dem coolen Nimbus der Biathletin und Olympiasiegerin - und glaubwürdig. Das wird sich auch Sozialministerin Andrea Nahles gedacht haben, als sie Bentele vor gut einem Jahr das Amt übertrug.
Als Handlungsreisende in Sachen Inklusion muss sie dicke Bretter bohren. Kürzlich sollte sie vor den Vereinten Nationen berichten, wie gut Deutschland die UN-Konvention für die Rechte von Behinderten mittlerweile umgesetzt hat. Und musste zu Protokoll geben, aller ersten Fortschritte zum Trotz: Die Mehrheit behinderter Kinder wird noch immer in Sonderschulen unterrichtet, nur ein Prozent der Beschäftigten in Werkstätten schaffen den Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt.
Ihr wichtigstes Projekt heißt "Bundesteilhabegesetz". Es geht um viel Geld und die Chance für behinderte Menschen, selbstbestimmt leben, wohnen und arbeiten zu können. Verena Bentele hat das, unterstützt von ihren Eltern, von klein auf praktiziert - ihre Blindheit sollte kein Hindernis sein. Hürden nehmen musste sie freilich trotzdem. Zum Beispiel, als sie in München studierte, Literaturwissenschaften, ausgerechnet.
Inklusion wird zu Unrecht als Nischenthema behandelt, betont sie. Jeder 10. Deutsche lebt mit einer anerkannten Schwerbehinderung und nur die wenigsten, wie Verena Bentele, von Geburt an.