In der realen Welt wird die Bedeutung von Männlichkeit und Weiblichkeit gerade neu verhandelt - mit Folgen für den digitalen Raum. Denn im Internet spielen physische Grenzen keine Rolle. Über Chancen und Gefahren dieser Entwicklung.
Würde Eleanor Roosevelt (1884-1962) heute ihren eigenen Namen googeln, wäre sie vermutlich sauer. Die Suchmaschine verweist nicht zuerst auf ihre Leistungen als Diplomatin und erste Präsidentin der UN-Menschenrechtskommission, sondern auf ihre Rolle als Ehefrau: „Ehemalige US-amerikanische First Lady" steht in dem Infokasten, den Google auf Basis eines Algorithmus erstellt und bei der Personensuche an oberster Stelle anzeigt. Roosevelts eigene Karriere - und ihr lebenslanger Kampf für die Rechte von Frauen - wird von der Künstlichen Intelligenz (KI) in den Hintergrund gerückt.
Ähnlich erging es US-Demokratin Hillary Clinton, die von Google auch dann noch als „Ehemalige First Lady" aufgeführt wurde, als sie das Amt der US-Außenministerin innehatte und als Präsidentschaftskandidatin gegen Donald Trump ins Rennen ging. Und auch Özlem Türeci, die 2020 gemeinsam mit ihrem Mann den ersten wirksamen Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickelte, fand sich Ende des Jahres nicht als Medizinerin im Netz wieder, sondern als „Ehefrau von Uğur Şahin".
Nach einer Reihe von Medienberichten über Türecis „Herabwürdigung zur Ehefrau" (Der Spiegel) und einem Shitstorm vonseiten der feministischen Netzgemeinde entschuldigte sich Google per Twitter für die „Ungenauigkeit" in der Personenbeschreibung. Die automatischen Systeme, die Fakten für den Infokasten der Suchmaschine - das sogenannte Knowledge Panel - sammeln, seien „nicht immer perfekt", erklärte eine Sprecherin. Wieso der Algorithmus die Frauen über ihre Ehemänner definiere und nicht andersherum, ließ der Konzern unkommentiert.
„IT ist ein Stück weit immer auch Spiegel unserer Gesellschaft", betont die Informatikerin Lisa Hanstein in der Dokureihe „Naked", die ARTE im November zeigt. Einer der Hauptgründe für die sogenannte Algorithmic Bias, also die Voreingenommenheit algorithmischer Systeme, bestehe in der oft unbewussten Übertragung menschlicher (...)