1 Abo und 6 Abonnenten
Artikel

Das Leben im Jetzt

Beziehungen im Ausnahmezustand

Sieben Menschen erzählen vom Daten, Kinderbekommen und Trennen in Zeiten der Quarantäne.


Allmählich lockern sich deutschlandweit die Ausgangssperren- und beschränkungen, die uns lange im Griff hielten und ein gewisser Alltag scheint zurückzukehren. Doch die vergangenen Wochen haben das Leben von vielen Menschen - und natürlich auch ihre Beziehung zueinander - gehörig durcheinander gewirbelt. Manche fanden sich (mit ihren PartnerInnen) in Situationen wieder, die sie sich so nicht gewünscht hatten und die herausfordernd waren, andere schätzten diese besondere Zeit als wertvoll - und hätten sie sogar gerne ausgedehnt.

Wie sieben Menschen ihre Beziehung in Zeiten der Quarantäne erlebten, lesen Sie hier. Dislcaimer: Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Stefanie & Christoph - wie es ist, mitten in Coronazeiten ein Baby zu bekommen

"Wenn alles so gelaufen wäre, wie ich es mir vorher gewünscht hatte, wäre es so gewesen: Mein Mann kommt von der ersten Wehe an mit ins Krankenhaus, ist bei der Geburt dabei und bleibt bis zur Entlassung an meiner Seite im Familienzimmer. Tatsächlich gewesen ist es aber so: Wir fuhren normal zur Entbindung, aber nach der Geburt durfte der Vater nur noch zwei bis drei Stunden bleiben. Das ergab für mich wenig Sinn, er war ja eh schon im Gebäude und hatte es zwischendurch nicht verlassen. Er durfte auch danach nicht bei den Untersuchungen dabei sein und pro Tag nur eine Stunde zu uns kommen, wobei das niemand so streng kontrollierte, weshalb er meistens länger blieb. Vieles fühlte sich nach Ausnahmesituation an: Als wir ins Krankenhaus kamen, mussten wir sofort einen Mundschutz aufsetzen und uns wurde Fieber gemessen. Auch während der Geburt trugen alle - inklusive mir - eine Maske, was ich gewöhnungsbedürftig fand, weil es eigentlich eine Situation ist, die Vertrauen braucht und in der man sich als Schwangere ja auch sehr entblößt. Aber alles, was man sieht, sind die Augen der Menschen um einen herum. Ich arbeite selbst im medizinischen Bereich, also ist der Anblick für mich nicht komplett neu, ansonsten hätte ich ihn noch gruseliger gefunden. Das Schwierige an der Situation war aber, dass einem Vater in meinen Augen durch die Regelungen einiges genommen wird.

Früher war es ganz normal, dass Frauen alleine entbinden, meine Mutter hat mit gar nichts anderem gerechnet. Aber in meiner Generation war es als Frau schon selbstverständlich, den Partner in dieser Situation dabei haben zu dürfen. Plötzlich wurde einem diese Selbstverständlichkeit genommen. Ich habe mir Sorgen darüber gemacht, "alleine" durch die Wehen zu müssen. Und ich hätte mir gewünscht, dass mein Mann mehr miterleben darf: die Nabelschnur durchschneiden, die ersten Tage komplett mit uns verbringen... Das Band, das in diesen Stunden zwischen Mutter und Kind entsteht, soll ja auch zwischen Vater und Kind stattfinden. Trotzdem will ich mich gegen diese Regelungen nicht auflehnen, denn sie sind ja zum Besten von uns allen. Und es gibt auch gute Seiten: Eigentlich war geplant, dass mein Mann nach der Geburt vier Wochen Urlaub hat, durch die Quarantäne war er ohnehin im Zwangsurlaub und konnte sie sich "aufsparen". Das gibt uns mehr Zeit zusammen. Weil uns aktuell auch niemand besuchen darf, fühlen wir uns noch mehr wie ein kleines Dreierteam. Im Rückblick betrachtet werden wir, glaube ich, diese Zeit wie einen Segen und Fluch zugleich sehen."

Antonia & Andreas - wie es als Paar ist, zusammen Home Office in einer 1-Zimmer-Wohnung zu machen

"Wir haben schon vorher vier Jahre zusammengelebt, aber so richtig sah man sich ja nur am Wochenende oder am Abend. Oft kommt man todesmüde nach Hause und schläft zu Netflix ein, oder trifft FreundInnen. Da passiert es häufig, dass man ins Bett geht und sich nicht wirklich ausgetauscht hat. Ich wusste aus Urlauben, dass es funktioniert, wenn wir 24/7 zusammen sind, aber die Anfangszeit in der Quarantäne war dann trotzdem hart. Wir leben auf 40 Quadratmetern, es gibt nur einen großen Raum mit einer Trennwand zum Bett. Wenn man eine Tür hinter sich zu machen will, muss man schon ins Badezimmer gehen. Er hat immer mehr von zu Hause gearbeitet als ich, aber als ich ins Home Office ging, saßen wir dann den ganzen Tag zusammen, wobei unsere Internetverbindung zu schwach für zwei Leute war, die ständig Zoom-Meetings machen wollten, und immer mal wieder musste jemand aus der Wohnung raus, wenn wichtige Gespräche anstanden. Mein Glück war, dass eine Freundin die Quarantäne bei ihrer Familie verbrachte und mir den Schlüssel zu ihrem Apartment ganz in der Nähe dagelassen hatte. Also schlug ich an manchen Tagen dort mein Büro auf. Ich fing in dieser Zeit wieder an, aktiv nach einer neuen Wohnung zu suchen - mit einem Zimmer mehr. Aber in München ist das super teuer und Besichtigungen finden momentan kaum statt.

Mein Freund und ich verstehen uns super, aber natürlich gibt man in einer 1-Zimmer-Wohnung ein Stück des privaten Selbst auf, ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet ich mit einer solchen Situation einverstanden sein würde. Was ich gerade besonders an ihm schätze? Dass wir so gut miteinander Pläne machen können. Dass man sich auf ihn verlassen kann. Kurz vor der Quarantäne haben wir geheiratet und irgendwie sind wir immer noch in einer Honeymoon-Phase. Extrem-Honeymoon. Aber wir können zusammen träumen. Können uns überlegen, wohin wir reisen werden, wenn das wieder möglich ist, wen wir besuchen werden... Die Angst um die Zukunft und um den Job machen uns aktuell mehr zu schaffen als Spannungen zwischen uns beiden. Man ist dazu verdammt, zu warten, welche Karten einem das Schicksal ausspielt. An andere Paare in einer ähnlichen Situation kann ich nur einen super boring Ratschlag geben - sich gut abzusprechen, und zu sagen, was man braucht. Nicht angegriffen zu sein, wenn sich der Partner zurückziehen will. Dafür muss man sich aber selbst darüber klar sein, was man will, sonst fühlt man sich schnell überrannt. Man braucht eine Struktur. Wir machen zum Bespiel immer morgens gemeinsam Joga mit Youtube-Videos. Das ist ein guter Tag in den Start."

Mareike & Elias - wie es ist, sich in der Quarantäne kennenzulernen und zu daten

"Wir haben uns kennengelernt, als ich ihm etwas auf Ebay abgekauft habe und zu seiner Wohnung musste, um es abzuholen. Ich blieb im Flur stehen und wir haben mit Abstand ein bisschen miteinander gequatscht, was sich gut angefühlt hat. Danach haben wir miteinander geschrieben und irgendwann kam die Frage auf, ob wir mal einen Kaffee trinken gehen wollen. Damals fingen die Ausgangsbeschränkungen gerade erst an und man hatte noch die Hoffnung, dass bald alles wieder 'normal' laufen könnte. Als klar wurde, dass das nicht so sein würde, haben wir uns zum Spazierengehen verabredet - wir haben uns aus zwei Metern Entfernung begrüßt und sind dann nebeneinander hergegangen. Irgendwann haben wir einen Laden gefunden, bei dem man sich ein Bier holen konnte, und haben uns ein Stück voneinander entfernt in die Sonne gesetzt. Ohne uns anzufassen und während wir ständig alles um uns herum desinfiziert haben. Das hat sich bei einem ersten Treffen schon komisch angefühlt, aber danach war klar, dass wir uns wiedersehen wollten. Wir gehen beide gerne ins Theater oder Museum, also haben wir uns für ein virtuelles Date verabredet, bei dem wir beide parallel ein Stück online angeschaut und währenddessen gefacetimt haben. An einem anderen Tag sind wir an einen See gefahren, mit einer extra großen Decke, lagen in der Sonne und haben Sekt getrunken.

Irgendwann sind wir uns dann doch körperlich nahe gekommen, als klar war, dass wir es miteinander versuchen wollen. Ab einem gewissen Punkt ist das eine Entscheidung, die man treffen muss. Was anders als bei einem üblichen Kennenlernen ist? Man muss schon sehr Lust auf die ganze Sache haben, weil es nicht selbstverständlich ist, gleich am Anfang solche Herausforderungen auf sich zu nehmen und weil oft der direkte Austausch fehlt, also die Mimik und die Körpersprache genau zu sehen oder sich zu berühren. Andererseits ist es auch aufregend. Dadurch, dass die Situation so außergewöhnlich war, habe ich Dinge über ihn erfahren, die ich sonst vielleicht erst später bemerkt hätte. Zum Beispiel, dass er sich an Regeln, die zu unser aller Besten aufgestellt wurden, ganz ohne Murren hält. Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber leider nicht, vor allem wenn man jemanden neu kennenlernt. Das zeigt schon ein bisschen, wie der Mensch tickt und zeugt auch von einer gewissen Reife. Dass wir beide zu diesem Commitment bereit waren, hat irgendwie ein besonderes Gefühl entstehen lassen. Ich kann mir vorstellen, dass wir tatsächlich einmal ins Theater gehen werden, aber über andere Pläne für die Zeit nach Corona haben wir noch nicht gesprochen, dafür daten wir noch viel zu kurz."

Christine & Erik - wie es sich als Business-Paar anfühlt, in der Quarantäne einen Gang zurückzuschalten

"Ich lebe seit vielen Jahren in zwei Haushalten - in Hamburg spielt sich mein Privatleben ab, wo ich auch im Home Office bin, aber in Süddeutschland ist meine Arbeit. Bis die Quarantäne anfing, habe ich noch niemals so viel Zeit am Stück mit meinem Partner verbracht. Mein Mann hatte zwar vor einem Jahr entschieden, ein wenig zurückzutreten und nur noch ungefähr zwei Tage die Woche zu arbeiten, aber als man noch fliegen konnte, war er beinahe so viel unterwegs wie ich. Seit wir uns kennen, habe ich immer versucht, mir zumindest die Wochenenden freizuhalten. Hat das gut funktioniert? Nicht immer. Ich konnte oft wenig planen, aber er ist mir entgegengekommen. Wenn er zum Beispiel einen Termin in Chicago hatte und ich in New York war, ist er zu mir geflogen, selbst wenn wir nur kurz Zeit für uns hatten. Ich wusste immer, dass das nicht das normale Leben ist. Viele Jahre führten wir ein richtiges Vagabunden-Leben und mussten sehr flexibel sein. Seit ich 19 Jahre alt bin, arbeite ich non stop. Gleichzeitig war da immer eine große Sehnsucht nach "Normalität", wie auch immer man das auslegt.

Ich mag Rituale wie gemeinsames Essen, zumindest einmal am Tag, oder Feiertage wie Weihnachten. So bin ich aufgewachsen. Als ich jetzt viel mehr Zeit zu Hause verbrachte, merkte ich, dass ich meinen Tagen eine Struktur geben muss, damit ich mich auch mal fallen lassen kann. Momentan gehe ich gerne auf den Markt und kaufe ein, um danach gemeinsam mit meinem Mann zu kochen, einfach auch, weil wir das lange nicht hatten. Das ruhigere Leben tut mir gut, obwohl die Situation natürlich aufwühlt, weil wir keine Idee haben, wie die Zukunft aussehen wird. Will ich, dass wir das Virus in den Griff bekommen? Natürlich! Ich habe alte Eltern und ich will das sie ihr Leben wieder so genießen können wie zuvor. Aber ich habe in den vergangenen Wochen vieles kennengelernt, was ich jetzt umso mehr schätze. Man fasst viele gute Vorsätze, aber wir wissen, wie schnell sie vergessen sind, sobald der Alltag wieder begonnen hat... Was mir die Situation aber doch gezeigt hat, ist, dass ich nicht bei jedem Meeting körperlich anwesend sein und auch nicht jede Reise antreten muss. Was ich und wir aus dieser Erkenntnis machen, liegt ganz bei uns."

Elisabeth & Timur - wenn man plötzlich in die Rolle der Quasi-Mutter für die kleine Tochter des Freundes rutscht

"Wir führten vorher eine klassische Fernbeziehung, mit 584 Kilometern zwischen uns. Mit Hängen und Würgen schafften wir es, uns alle ein bis zwei Wochen für maximal drei Tage zu sehen. Das bedeutete Stress: Fahre ich schon am Donnerstag, auch wenn ich erst mitten in der Nacht ankomme? Nehme ich den maximal frühesten Zug am nächsten Morgen, damit wir noch die Nacht zusammen haben? Weil wir die Zeit immer möglichst ausnutzen wollten, haben wir nie ganz einfache Dinge getan wie zusammen eine Serie zu schauen, sondern waren ständig unter Strom und wollten irgendwelche "Highlights" erleben. Durch die Quarantäne hat sich das verändert. Als ich die Mail bekam, dass ich ins Home Office geschickt werde, war ich bei ihm und fühlte mich überrumpelt: Wir hatten zuvor nichts abgesprochen und ich hatte nur einen Pullover im Gepäck. Ich dachte darüber nach, wie es laufen würde, wenn wir zum ersten Mal so lange am Stück zusammen wären, und sah das sofort als Bewährungsprobe. Aber er freute sich total und meinte: 'Ist doch super, wenn wir das jetzt für die Zukunft mal ausprobieren können.' Das hat mir klar gemacht, wie ernst er es mit uns meinte. Also blieb ich und klaute irgendwann einfach Sachen aus seinem Schrank.

Plötzlich hatten wir einen Alltag, auch wenn er weiterhin jeden Tag für die Arbeit aus dem Haus ging. Die größte Umstellung war, dass er eine kleine Tochter hat, die abwechselnd bei ihm und seiner Ex-Freundin wohnt. Zu dieser Zeit war sie bei ihm und ich habe mich tagsüber um sie gekümmert. Wir verstehen uns total gut, aber dass ich Verantwortung für jemanden trage und nicht nach meinem eigenen Tempo lebe, war total neu für mich. Von einem Tag auf den anderen fühlte ich mich als Quasi-Mama, die Frühstück zubereitet, das Kind anzieht und es für die nächsten Stunden beschäftigen muss, obwohl ich gleichzeitig ständig online sein und Anrufe beantworten sollte. Ich stellte mir in dieser Zeit viele Fragen: Wie weit geht überhaupt meine Erziehungsberechtigung? Was ist meine Rolle in diesem Gefüge? Darf ich etwas verbieten, was Mama erlaubt? Und kann ich im Falle von Meinungsverschiedenheiten überhaupt gewinnen? Aber all das hat uns als Paar zusammengeschweißt und hat ihm bewiesen, dass ich dazu bereit bin, diesen Einsatz zu bringen.

Inzwischen hat es sich ganz gut eingependelt. Meine Prioritäten haben sich verändert, ich bin nicht mehr so extrem auf die Arbeit fokussiert wie früher, als ich jeden zusätzlichen Stress sofort von mir geschoben und mir deshalb auch nie Kinder gewünscht hätte. Die vergangenen Wochen haben mir viel gegeben, auch weil ich so ein Familienleben lange nicht mehr hatte. Ich habe gar nicht bemerkt, dass es mir gefehlt hat. Die Beziehung zwischen mir und meinem Freund hat sich durch die Quarantäne sozusagen beschleunigt, ich sehe uns jetzt an einem anderen Punkt als vorher. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mir das Ende dieser Zeit zumindest für mein eigenes Leben nicht herbeigesehnt. Wir waren eingesperrt, aber fühlten uns wie befreit."

Anna & Ben - wie es sich anfühlt, als Paar in einer Fernbeziehung plötzlich non stop zusammen zu sein

"Wir kamen zusammen, kurz bevor ich für meinen Job umziehen musste, die Fernbeziehung war also der einzige Zustand, den wir bisher kannten. Seitdem haben wir uns längstens drei Wochen nicht gesehen, aber meistens nur für das Wochenende. Jetzt sitzen wir seit mehreren Wochen 24 Stunden für sieben Tage die Woche aufeinander und die einzigen Menschen, die wir in dieser Zeit gesehen haben, waren die VerkäuferInnen im Supermarkt. Ich hatte mir gewünscht, dass wir in einer Stadt zusammenwohnen würden, aber natürlich nicht exakt in dieser Situation. Am Anfang hatte ich ein bisschen Panik, oder besser gesagt Respekt davor, weil ich ein Mensch bin, der gerne alleine ist und er auch. Aber ich genieße es, auch weil ich mich von anderen Menschen total zurückgezogen habe und mit meinem Freundeskreis gerade ziemlich wenig Kontakt habe. Das heißt nicht, dass ich keine Lust mehr auf meine FreundInnen hätte, aber wir alle haben nur begrenzte Kommunikations-Kapazitäten, wenn man ohnehin den ganzen Tag in Zoom-Meetings sitzt.

Mein Freund und ich haben inzwischen einen Rhythmus gefunden - und so manche Marotten aneinander bemerkt. Zum Beispiel, dass ich unglaublich schlecht mit Haushaltsdingen bin. Ich halte schon Ordnung, aber bei ihm ist es next level. Er faltet Sachen ganz akkurat und räumt den Geschirrspüler total sorgfältig ein. So etwas wäre uns vielleicht viel früher aufgefallen, aber wenn man eine Fernbeziehung führt, ist das ja immer wie ein kleiner Urlaub von der Realität. Da achtet man nicht darauf, ob das Wohnzimmer aufgeräumt ist. Natürlich nervt manches, aber das sind Kleinigkeiten, die mir gezeigt haben: Wenn wir irgendwann zusammenleben, wird das gut funktionieren. Früher dachte ich manchmal: 'Der ist so nett, weil wir uns so selten sehen.' Aber nein, er ist einfach so. Seit wir beide im Home Office arbeiten, holen wir uns immer morgens vor dem ersten Meeting gemeinsam Kaffee, das ist ein kleiner Spaziergang um den Block. Dann sitzen wir den ganzen Tag in verschiedenen Zimmern, aber wir essen gemeinsam und am Abend schauen wir Filme, spielen Karten, oder versuchen Sport zu machen. Neulich war ich zum ersten Mal Joggen, weil er mich mitgezerrt hat.

Was mir am meisten bedeutet, sind aber die kleinen Momente zwischendurch: Ich hatte oft viel Stress, aber sich jederzeit mit jemandem austauschen zu können, bedeutet viel, und reißt einen aus dem eigenen Gedanken-Karussell. Es gab mal einen Moment, in dem ich daran gedacht habe, dass alles so wird wie vorher und ehrlich gesagt war ich traurig. Diesen Alltag wieder aufzugeben, wird mir schwerfallen. Würde es sich genauso anfühlen, wenn es nicht diese Extremsituation gäbe? Wer weiß. Man darf den aktuellen Moment nicht mit der sonstigen Realität vergleichen. Gerade bin ich auch einfach sehr glücklich, nicht allein zu sein. Aber ich fühle mit den Menschen, die schon vorher Beziehungsprobleme hatten und jetzt trotzdem in dieser Situation gelandet sind."

Tobias & Alexander - wie man sich als Paar, das auf zwei Kontinenten lebt, gerade jetzt näher kommt - und sich vielleicht trotzdem trennen wird

"Wir haben von Anfang an eine Fernbeziehung geführt, auch als wir beide noch in Europa gelebt haben. Aber wir haben uns zumindest alle drei Wochen getroffen und sind viel miteinander vereist. Dann ist mein Freund nach New York gezogen, während ich in momentan London lebe, und plötzlich lag der ganze Atlantik zwischen uns. Das allein hat schon vieles verändert, aber als die Quarantäne kam, hat uns das zusätzlich eine Art Ausrede verschafft, uns nicht mehr so oft zu sehen, auch wenn das total komisch klingt. Ich würde sogar sagen, es hat die Beziehung verbessert, weil es Druck von uns genommen hat. Plötzlich geht es nicht mehr nur um die Frage, wann man sich wieder trifft, weil es ohnehin nicht möglich ist. Es existiert keine Erwartungshaltung mehr, die Quarantäne hat alles gleichgeschaltet. Wir haben seitdem feste Zeiten festgelegt, zu denen wir miteinander reden, gemeinsam Filme schauen oder per Video kochen. Das alles hätten wir auch vorher machen können, aber erst jetzt sind wir so richtig in der Stimmung dafür. Wobei ich es übrigens für Unsinn halte, dass die Libido steigt, wenn man nur lange genug voneinander getrennt ist - wir hatten jedenfalls bisher keinen Sextalk über Zoom.

Die vergangenen Wochen haben uns auf gewisse Weise näher gebracht, trotzdem würde ich nicht sagen, dass die Beziehung gut läuft - das hat aber, zumindest meiner Meinung nach, nichts mit der Quarantäne zu tun. Um ehrlich zu sein, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass wir uns bei unserem ersten Treffen nach dieser Zeit trennen werden. Allerdings hat mir die Quarantäne gezeigt, was ich anders machen würde, wenn ich wieder in einer Fernbeziehung wäre. Ich würde von Anfang an gewisse Rituale festlegen, anstatt darauf zu hoffen, dass sich alles von selbst ergibt und die Liebe alles regelt. Man kann ja zum Beispiel ausmachen, dass man dasselbe Buch bis zu einem bestimmten Datum liest und dann darüber spricht. Das ist nicht jedermanns Sache und viele Menschen würden das wahrscheinlich eher als mehr Druck empfinden, aber mir gibt so etwas Sicherheit."

Zum Original