„Müll wegbringen!", steht auf dem Post-it, der am Kühlschrank einer Freundin pappt. „Du bist schön!", klebt am Spiegel eines Szene-Clubs. Und am Computerbildschirm haftet die Kontonummer, die man sich einfach nicht merken kann. Ob Nachrichten, Termine, Uhrzeiten oder irgendwelche Nummern – auf den kleinen Klebezetteln notieren wir die Dinge, an die wir unbedingt denken müssen. Gedankenstützen, die uns oder andere an Wichtiges erinnern sollen ... Was ist dir wichtig? Haushalt, Aussehen, Geld, Termine – das kann doch nicht alles sein, woran wir denken sollten, findet Susan, und rief deshalb vor einem Jahr die Erinnerungsguerilla ins Leben, ein soziales Kunstprojekt, vielleicht sogar eine Bewegung. Denn wenn es nach Susan geht, erinnern sich immer mehr Menschen daran, worum es in ihrem Leben geht und wie sie es führen wollen – bewusst und reflektiert in Eigenverantwortung. Dazu verklebt die Erinnerungsguerilla handtellergroße Post-its auf denen Fragen stehen: „Tut es gut, was du machst?", kriegen Passanten an einer Fußgängerampel zu lesen. Etwas weiter, auf dem Fahrplan einer Bahnhaltestelle, klebt der nächste Erinnerungszettel: „Wofür lebst du?" Gute Frage! Und dann macht man sich plötzlich Gedanken über sich, sein Leben, das Glück, was gerade so ist und was bleibt, wenn man geht ... – bis der Zug kommt. Oder ist er vielleicht schon abgefahren?
„Der Gedanke, dass nur Krisen Kurskorrekturen mit sich bringen, machte mich nachdenklich", erzählt Susan, und sie fing an, sich Fragen auszudenken, nicht irgendwelche, sondern solche, die kleine Krisen im Kopf hervorrufen. „Tut es gut, was du machst?" hat Krisenpotenzial. „Eine katastrophenfreie Veränderung kommt nur von innen", ist Susan überzeugt, „und braucht oft nur einen kleinen Funken!" Wie und in welchem Tempo man auf die Konfrontation mit den Fragen reagiert, ist ganz unterschiedlich, weiß Susan, die immer Fragen bei sich hat, um sie mal heimlich, mal offensiv, zu verkleben. Manche Menschen werden ganz still, wenn sie eine der Fragen lesen, andere total hektisch, und einige fangen an, über mögliche Antworten und deren soziologische und psychologische Hintergründe zu diskutieren.
Fragen über Fragen Über 25.000 Fragen in 30 Städten wurden im letzten Jahr schätzungsweise schon verklebt – von Hamburg über München bis nach Bern. Sogar in Paris sind Erinnerungszettel aufgetaucht. Dafür sorgen die rund 250 ErGuerillera und ErGuerillero, die sich an dem sozialen Projekt beteiligen. Und es werden mehr. In Köln ist man besonders aktiv, auch die Berliner verkleben fleißig Fragen, die man auf der Homepage kostenlos bestellen kann. Eine Spende ist erwünscht und sinnvoll, da sich das Projekt darüber finanziert. Manche verkleben nicht (nur), sondern steuern Fragen bei und reichen diese ein. Dann wird darüber abgestimmt, welche es auf die nächsten Erinnerungszettel schafft. Welche eingereichte Frage Susan zum Nachdenken brachte? „Warum so eilig?", sagt sie nach einer kurzen Überlegungspause. Die Frage hat sie daran erinnert, langsamer zu machen, besonders, wenn es auf der Arbeit mal wieder hektisch zugeht. Was sie beruflich macht? Geheim. Wer sie ist? Spielt keine Rolle. Anonym und neutral will sie sein, wie die Aufkleber der Erinnerungsguerilla.
„Tut es gut, was du machst?", wollen wir noch von ihr wissen. „Jaaaaa, und wie", sagt sie begeistert. „Ich bin kein revolutionärer Straßenaktivist, aber sinnvoll aktiv zu sein, ohne Schaden anzurichten, das ist Ziel der Erinnerungsguerilla!" Ein Kunstprojekt, das in Erinnerung bleibt. Auch ohne Post-it.
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