In der Online-Kolumne des Münchner Feuilletons beschreiben in unregelmäßigen Abständen junge Münchner ihren Weg in das kulturelle Spielfeld dieser Stadt: Noch nicht Alteingesessen, aber auch schon lange keine Anfänger mehr schreiben sie über ihre Hoffnungen, Frustrationen, Visionen und Illusionen – von ihrem eigenen Blickwinkel aus. In der ersten Ausgabe schreibt die 1990 in München geborene Anja Schauberger über ihren Weg vom Germanistik-Studium an der LMU entlang der Maria-Theresia-Straße hin zu eigener Autorenschaft und Journalismus: 2012 erschien ihr autobiografischer Debüt-Roman “Und wieder Winter“, in dem sie aus dem Leben mit ihrer krebskranken Mutter zählt. Als freie Autorin arbeitet sie für ZEITjUNG.de und schreibt für Medien wie Nido, NEON und jetzt.de.
Es war der Tag, an dem ich Milena ein Kompliment über ihre Jacke machte. In einer meiner ersten Uniwochen an der LMU. Ich setze mich neben sie, wir verabredeten uns und irgendwann lud sie mich zur nächsten Themensitzung von ZEITjUNG ein, einem Onlinemagazin, für das sie vor einiger Zeit einmal geschrieben hatte. Ich war sehr unsicher, mein einziger journalistischer Text bisher war eine Reportage über Papierverwertung, die in der Mitarbeiterzeitschrift des Abfallwirtschaftsbetriebes München erschienen war. Ich schrieb hin und wieder kleine Prosatexte unter meinem Usernamen_plastikherz_ auf jetzt.de – mehr war da nicht.
Obwohl ich nicht genau wusste, was ich bei dieser Themensitzung eigentlich sagen sollte, überredete mich Milena mitzukommen. (Ich wäre auch viel zu neugierig gewesen nicht hinzugehen.) Wir trafen uns am Max-Weber-Platz und liefen die Maria-Theresia-Straße herunter. Wie oft ich diese Straße im nächsten Jahr herunterlief, werde ich nie vergessen. Ich kannte irgendwann jedes Haus, saß manchmal vor der Themensitzung noch am Friedensengel oder auf einer Bank nebenan im englischen Garten. In manchen Semesterferien kam es vor, dass die Sitzung mein einzig fester Termin in der Woche war und ich erinnere mich an warme Sommerabende, an denen ich es kaum erwarten konnte, anzukommen.
Viele fremde Köpfe und noch mehr fremde Augenpaare, die mich anstarrten. Ich musste mich in der großen Runde vorstellen und wäre dabei am liebsten im Erdboden versunken. Tobias Tzschaschel, damals wie heute Chefredakteur von ZEITjUNG, verschaffte mir gleich meinen ersten Artikel – eine Fotostrecke über die Münchner Uni-Toiletten. Als mein erster Text online ging, aktualisierte ich die Seite im dreißig-Sekunden-Takt. Ich war selten in meinem Leben so stolz.
Es folgten mehrere Artikel und bald schon meine Kolumne „Plastikherz“, in der mein 19-jähriges Ich Sätze in die Tastatur hackte, die ich heute nicht mehr so unterschreiben würde. Aber es war gut für mich – vor allem der abendliche Meinungsaustausch mit den anderen ZEITjUNG-Autoren im Johanniscafé zwischen Bier Nummer X und irgendeinem Lied aus der Juke Box, das Robert einmal mehr ausgesucht hatte. Diese Leute wurden zu meinen Freunden und auch, wenn es wahnsinnig abgedroschen klingt, aber diese wöchentlichen Abende im Johanniscafé nach den Themensitzungen – die waren magisch.
Ich bewarb mich für ein Praktikum bei jetzt.de. Jahrelang dort Usertexte veröffentlicht, war die Seite schon fast zu meiner Religion geworden. Ich verbrachte mehr Zeit auf jetzt.de als in der Uni. Und tatsächlich: Ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen, trug einen kratzigen Pullover, obwohl es Juni war und als ich das Gebäude der Süddeutschen Zeitung betrat, fühlte ich mich unbeschreiblich gut und klein zugleich. Ich bekam das Praktikum und mein „Thema des Sommers“ gefiel dem Chef sogar so gut, dass ich es sofort, noch vor Beginn des Praktikums, schreiben durfte – ich war wunschlos glücklich. Ich saß zuhause vor meinem Laptop und aktualisierte die Seite im zehn-Sekunden-Takt. Das konnte einfach nicht wahr sein. Mein erster eigener Text mit rotem Mitarbeiter- statt blauem Userprofil auf der Startseite. In diesen Wochen im Juni 2010 konnte mir niemand etwas anhaben. Ich stolzierte über den Gärtnerplatz und war so zufrieden wie noch nie.
Ein dreiviertel Jahr später begann mein Praktikum und damit meine erste Pause bei ZEITjUNG. Das SZ-Haus war nur ein paar Busstationen von meinem Zuhause entfernt, jeden Morgen überkam mich beim Betreten der Eingangshalle wieder dieses „Gut und klein“-Gefühl. Bei jetzt.de haben Praktikanten die Chance wirklich viel zu schreiben. Mittags freute ich mich über das tolle Kantinenessen, abends manchmal über einen Text von mir, der online ging. Nach dem Praktikum schrieb ich als freie Autorin für jetzt.de, einmal auch einen Text über das Gefühl, wenn man bei seinem Partner alleine zu Hause ist und irgendwie nicht richtig entspannen kann. Zudem hatte ich ein kleines Blog mit meinem Freund, dessen Mail-Postfach ich so gut wie nie kontrollierte.
Eines schönen Juninachmittags loggte ich mich doch einmal ein und fand eine E-Mail von einer Jennifer vom Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag in Berlin. Dass Sie meinen Text bei jetzt.de gelesen hätte. Ob ich ein Buch schreiben würde und wenn nein, warum eigentlich nicht. Ich saß in meiner Küche in Berg am Laim, ein paar Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und ich lachte und lachte. Rief bei diesem Verlag an und war mir bis ich auflegte nicht sicher, ob mir diese Jennifer etwas verkaufen wollte oder ob ich wirklich ein Buch schreiben sollte. Danach rief ich meine Mutter an. Danach weinte ich und danach weiß ich nicht mehr viel, außer dass ich dachte, ich träume.
Im Sommer bewarb ich mich bei der NEON für ein Praktikum und bekam eine Absage. Im Winter des selben Jahres bekam ich eine CvD-Stelle bei ZEITjUNG angeboten. Über ein halbes Jahr fuhr ich einen Tag in der Woche in die Redaktion, in der genau genommen nur Tobi und ich waren, schrieb meine Erwachsen-werden-Kolumne und aß Pasta bei Da Baffo.
In der Uni hielt ich derweil mein erstes gutes Referat und war so stolz, dass ich mich danach selbst zum Essen einlud und voller guter Dinge mit der Straßenbahn nach Hause fuhr. Mir war natürlich nicht entgangen, dass die NEON nur eine Straße von meiner Wohnung entfernt war und manchmal, wenn ich Leute an der Straßenbahnhaltestelle stehen sah, die nicht so aussahen, als würden sie in Berg am Laim wohnen, überlegte ich, ob das nun jemand von der NEON sein könnte.
Doch an diesem Nachmittag im Februar war ich mir sicher: Das war ein NEON-Redakteur, direkt neben mir in der Tram – ich erkannte ihn von seinem Autorenfoto. Von meinem Referat ermutigt, sprach ich ihn an und erzählte ihm, dass ich mich auch einmal beworben hatte, aber leider abgelehnt wurde. Er drückte mir eine NEON in die Hand und addete mich auf Facebook. Er las ein paar meiner Texte und sie gefielen ihm. Er meinte, ich sollte ihm die Bewerbung schicken – er würde sie dem Chef geben. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Kurz darauf kam die zweite Absage von der NEON – alles ausgebucht, erst in zwei Jahren wieder. In der selben E-Mail bekam ich ein Praktikum für den Sommer bei der Nido angeboten. Ich wusste zwar im ersten Moment nicht so recht, wie ich mich bei einem Familienmagazin machen würde – Ahnung von Kindern hatte ich schließlich noch keine, aber einen Versuch war es auf jeden Fall wert.
An meinem ersten Praktikumstag ging ich zu Fuß im Sommerkleid in die Weihenstephaner Straße. Am Nachmittag war das Sommerfest und alle fuhren mit dem Rad zum Flaucher. Ich konnte mir von dem mir 50 vorgestellten Leuten vielleicht zwei Namen merken. Es gab Würstchen, Bier und erste Unterhaltungen.
Zu meiner Überraschung bekam ich schon in der ersten Konferenz ein Thema durch. Es wurde immer besser, vor allem weil ich im Oktober einen kurzfristig freigewordene Praktikumsplatz bei der NEON angeboten bekam. Eigentlich sollte ich im November und Dezember meine Bachelorarbeit schreiben, aber ich konnte natürlich nicht nein sagen. Das war, was ich wollte und mein Studium musste einmal mehr hinten anstehen.
Im November erschien mein Buch. Plötzlich saß ich in der Tram 19 Richtung Theatinerstraß, eine Bildzeitung auf dem Schoss mit meinem Gesicht drin. Für ein Interview mit der SZ-Jugendseite traf ich mich um die Weihnachtszeit mit Carolina Heberling im Hoover & Floyd, die mich ein halbes Jahr zuvor dort auch angesprochen hatte.
Manchmal denke ich mir, dass es niemals so weit gekommen wäre, wenn ich Milena an diesem Dezembertag vor über drei Jahren nicht gesagt hätte, wie schön ich ihre Jacke finde. Dann überlege ich mir, ob ich es auch ohne ZEITjUNG zu jetzt.de, ohne jetzt.de zu meinem Buch und ohne Mut zu Nido und NEON geschafft hätte. Sicherlich: Es waren einige glückliche Zufälle und manchmal ein paar Versuche notwendig – trotzdem finde ich es schön, mir vorzustellen, was ein einziges Kompliment manchmal in Gang setzen kann.
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