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Beinahe zweite Tragödie

Eisenstadt. Es war fünf Uhr Früh, als am 26. August 71 Flüchtlinge an der serbisch-ungarischen Grenze mit dem Ziel Deutschland in den Schlepper-Lkw stiegen, in dem sie sterben sollten. Nur eine, vielleicht eineinhalb Stunden waren sie noch am Leben, dann erstickten sie. Der Laster fuhr weiter, bis zu einer Pannenbucht auf der Ostautobahn nahe Parndorf, wo die Toten entdeckt wurden, Sie starben noch in Ungarn.

Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Menschen in dem fast völlig luftdichten Fahrzeug aufgrund des Sauerstoffmangels sehr schnell immer schwächer wurden - "und ihre Körper dann einfach zusammenfielen", sagt Peter Doskozil, Chef der burgenländischen Landespolizei, am Freitag.

Zwar ist die Obduktion der 71 Leichen inzwischen abgeschlossen, endgültige Gutachten gibt es aber noch nicht. Bisher konnte auch noch keiner der Flüchtlinge identifiziert werden. Die 71 Toten dürften aus den Ländern Syrien, Irak und Afghanistan stammen. Mindestens eine Familie befindet sich unter den Opfern. Noch bruchstückhaft setzen sich die Ermittlungen zusammen. Sie werden von Österreich, Ungarn und Bulgarien geführt. Bei der Pressekonferenz in Eisenstadt spricht Doskozil ruhig und gefasst, manchmal seufzt er. Er kann den Journalisten nicht die endgültigen Fakten liefern, die diese hören wollen.

Doch einen Ermittlungserfolg gibt es: So dürfte nur einen Tag nach der Tragödie in Parndorf, am 27. August, ein zweiter, fast baugleicher Lkw, besetzt mit 81 Flüchtlingen, eine ähnliche Route nach Österreich genommen haben. Sechs dieser Flüchtlinge berichten übereinstimmend von lebensbedrohlichen, sauerstoffarmen Zuständen im Wageninneren. Es sei ihnen aber gelungen, mit einem Brecheisen bei laufender Fahrt zweimal Luft ins Fahrzeug zu lassen. In der Nähe von Gols habe der Schlepper sie dann ausgesetzt.

Identifizierung als Puzzlearbeit 

 Im Zuge der Veröffentlichung der Fotos der mutmaßlichen Schlepper der 71 toten Flüchtlinge in den Medien erkannten sechs dieser Flüchtlinge von Gols auch ihre Schlepper. "Es handelt sich dabei offenbar um dieselbe Tätergruppe", sagt Doskozil. Auch diese zweite Fahrt sei eindeutig einem in Ungarn Inhaftierten zuzuordnen. Beide Lkw seien am Tag vor der Fahrt des ersten in Ungarn erworben worden. Beim Fahrzeughalter handelt es sich um einen 50-jährigen Bulgaren mit libanesischen Wurzeln.

Bisher sitzen insgesamt sechs Verdächtige in Ungarn und Bulgarien in Untersuchungshaft, darunter auch der mutmaßliche Lenker. Er konnte aufgrund eines Handrückenabdrucks, weiterer DNA-Spuren und drei belastender Zeugenaussagen als Fahrer "mit hoher Wahrscheinlichkeit" identifiziert werden, so Doskozil. Wie lange es bis zur Anklage dauern wird, ist noch unklar. "Es gibt keine Referenzwerte für derartige Verfahren", sagt Chefstaatsanwalt Johann Fuchs. "Wir haben es hier mit einem beispiellosen Verbrechen in der jüngeren Geschichte Österreichs zu tun."

Die Identifizierung der Toten stellt die Beamten vor eine große Herausforderung, die noch Wochen in Anspruch nehmen wird. In akribischer Arbeit werden Daten gesammelt und abgeglichen. Bisher gibt es nur vage Hinweise. So scheinen einige der mitgeführten Dokumente echt zu sein, und auch mittels Fotos und Beschreibungen können "wohl zwei bis drei der Toten" mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits zugeordnet werden. Außerdem reiste ein Mann aus Deutschland an, um DNA-Proben abzugeben. Er ist selbst geflüchtet und höchstwahrscheinlich ein Angehöriger eines der Opfer. Man sei weiterhin auf die Informationen von möglichen Angehörigen und Fluchtgefährten dringend angewiesen, sagt Polizeichef Doskozil. Bisher sind zirka 300 Hinweise und Fotos eingegangen.

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