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"Exxpress"-Chef Schmitt verunglimpft Deutsche in Österreich als Nazis

"Exxpress"-Chefredakteur Richard Schmitt setzte am Montagmorgen einen Tweet ab, der für wildes Kopfschütteln und Empörung sorgte. Darin unterstellte er allen in Österreich lebenden Deutschen, quasi wie Nazis zu wählen.

Wien, 3. Oktober 2022 | Falls Sie sich jemals in einem sehr seltenen Moment gefragt haben, wie die österreichische Bundespräsidentenwahl einen derart reizen kann, die größte Ausländergruppe im Land pauschal ins Nazi-Eck zu stellen - hier folgt nun der Abriss eines Dialogs, der am frühen, noch schlaftrunkenen Montagmorgen einige Twitter-User aus dem Bett gerissen haben dürfte.

Alles begann damit, dass die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch am Sonntag ein Posting mit zwei prominenten Köpfen via Twitter publizierte. Darauf zu sehen: der amtierende Bundespräsident Alexander Van der Bellen sowie TV-Comedian Dirk Stermann ("Willkommen Österreich"). Die NGO kampagnisiert seit Wochen für ein breiteres Wahlrecht. Am Dienstag, 4. Oktober findet österreichweit der Abschluss der von SOS Mitmensch traditionell abgehaltenen " Pass Egal Wahl " statt. An dieser symbolischen Wahl können Menschen unabhängig von ihrer Staatsbürgschaft teilnehmen.

Dirk Stermann hat uns dieses Bild mit der Frage „Warum nicht mal einen Deutschen wählen lassen?" geschickt. Wir finden, er hat Recht! Wer hier lebt, sollte auch hier wählen können. Nicht nur bei der #PassEgalWahl bis 4. Okt! https://t.co/1wVA8z167r pic.twitter.com/EPzhNcEbGT

- SOS Mitmensch (@sosmitmensch) October 2, 2022

ORF-Star Stermann ist Deutscher und seit Jahrzehnten in Österreich ansässig. Er fungiert als beliebtes Werbegesicht sowie starke Stimme für SOS Mitmensch. Der NGO-Sprecher, Alexander Pollak, sichtlich stolz auf die prominente Unterstützung, retweetete den SOS-Mitmensch-Tweet kurz darauf mit Beifall-säumenden Worten, in denen er noch einmal dafür plädierte, dass Menschen wie Stermann wahlberechtigt sein sollten: "Finde (...), dass nicht nur der links im Bild ( Van der Bellen, Anm.) ein Wahlrecht haben sollte, sondern auch der Herr rechts im Bild, der seit vielen, vielen Jahren hier lebt, hier arbeitet, hier Teil der Gesellschaft ist."

Stermann habe, erklärt Pollak in einem Kommentar darunter, nämlich nicht einmal mehr in seinem Heimatland Deutschland das Wahlrecht, weil er schon zu lange im Ausland gemeldet sei.

Wie aus Gezwitscher hetzendes Gezeter wurde

Doch dann passierte es. Montagfrüh, 6:48 Uhr, zu einer gottlosen Zeit, als viele womöglich noch nicht einmal ihren ersten Kaffee intus hatten, griff Richard Schmitt, Chefredakteur der rechtslastigen Online-Plattform "Exxpress" sowie einstiger Strache-Fan, motiviert in die Tasten - mit folgendem Resultat: "Der sehr schlichte Mensch im Posting unten ( gemeint ist SOS-Mitmensch-Sprecher Pollak, Anm.) weiß offenbar nicht, was dies für Österreich bedeutet hat, dass schon einmal die Deutschen jemanden wählten, der dann von 1938 bis 1945 auch bei uns regierte..." Die pauschale Hitler-Unterstellung würzte er außerdem mit dem in diesem Kontext besonders bemerkenswerten Hashtag "#bildunghilft".

Der sehr schlichte Mensch im Posting unten weiß offenbar nicht, was dies für Österreich bedeutet hat, dass schon einmal die Deutschen jemanden wählten, der dann von 1938 bis 1945 auch bei uns regierte ...#bildunghilft https://t.co/6oUgaNhiHk

- Richard Schmitt (@Schmitt_News) October 3, 2022

Die Antwort "auf diesen haarsträubenden und geschichtsvergessenen Unsinn" ließ nicht lange auf sich warten. Pollak setzte wenige Minuten nach acht Uhr früh zu einer kurzen Geschichtseinheit an: "Nein, die in Österreich lebenden Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft sind keine Nazikolonie. Nein, Hitler ist hierzulande nicht aufgrund eines Wahlrechts von in Österreich lebenden Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft an die Macht gekommen. Hitler wurde in Deutschland von einem Drittel gewählt und mit Hilfe von National-Konservativen mit absoluter Macht ausgestattet. Er marschierte in diverse Gebiete ein, auch in Österreich, wo er von vielen, nicht von allen, Menschen jubelnd empfangen wurde. Mit einer freien und demokratischen Wahl in Österreich (gab es zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr) und einem Wahlrecht für hier lebende Menschen ohne österreichischen Pass hatte das nichts zu tun."

Soll ich auf diesen haarsträubenden & geschichtsvergessenen Unsinn reagieren oder mich lieber der #PassEgalWahl widmen? Nur soviel: Nein, die in Ö lebenden Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft sind keine Nazikolonnie. Nein, Hitler ist hierzulande nicht aufgrund eines... https://t.co/XZreUmILkO

- Alexander Pollak (@pollak_politics) October 3, 2022

Desillusioniert fügte Pollak abschließende Grußworte an: "Ich hoffe, Sie lernen irgendwann Geschichte, Herr Schmitt. Und ich hoffe, Sie hören irgendwann mit dem plumpen Bedienen von Ressentiments auf, wahrscheinlich aber nicht."

Auch "ZiB2"-Moderator Armin Wolf brachte in einem Tweet, gesendet immerhin erst wenige Minuten nach zehn Uhr, seine blanke Verwunderung zum Ausdruck und attestierte dem "Chefredakteur einer Plattform 'für Selberdenker'" mangelndes "selber denken".

Ich lerne heute vom Chefredakteur einer Plattform „für Selberdenker", dass Hitler wiederkäme, wenn Dirk Stermann, der seit Jahrzehnten in Ö. lebt, hier auch wahlberechtigt wäre. Und ich lerne, dass „selber denken" nicht bei jedem eine gute Idee ist.

- Armin Wolf (@ArminWolf) October 3, 2022

Einige User erinnerten zudem an einen Vorfall, der erst ein paar Monate zurückliegt und sich ebenfalls auf Twitter abspielte: Richard Schmitt teilte damals seiner Redakteurin Anna Dobler öffentlich ihre Kündigung mit, nachdem diese in einem Tweet "Nationalsozialisten" als "nicht nur Mörder, sondern auch Sozialisten" bezeichnet hatte. "Wir wollen auch nicht, dass Redakteure mit dieser Meinung bei uns weiter ihren Dienst versehen", hieß es damals. Was das für die aktuellen Auslassungen des Chefs persönlich bedeutet, bleibt abzuwarten.

1,4 Millionen Menschen ohne Wahlrecht

Bei der Präsidentschaftswahl 2022, die am kommenden Sonntag stattfindet, sind knapp 1,4 Millionen Menschen, die das nötige Alter längst erreicht hätten, nicht wahlberechtigt. Aktuell leben etwa 217.000 Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft in Österreich, sie stellen damit die größte Ausländergruppierung dar. Das hiesige Staatsbürgerschaftsrecht gilt als eines der restriktivsten. Kritiker, das parteipolitisch linke Spektrum sowie NGOs fordern seit Jahren eine dringende Reform.

Titelbild: Screenshot Youtube
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