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Historischer AK-Beschluss: Staatsbürgerschaft nach fünf Jahren

Pro Jahr schaffen es nur 3.000 in Österreich geborene Menschen, sich in einem mühsamen, hürdenreichen und kostspieligen Prozess einbürgern zu lassen. Die AK fordert in einem überraschenden Beschluss künftig eine neue Staatsbürgerschaftsregelung.


Bei der Vollversammlung der AK Wien am Mittwoch kam es zu einem historischen Beschluss, der in Zukunft die politische Linie der gesamten Institution prägen wird. Erstmals gab es eine Mehrheit für einen Leitantrag, der einen politisch bis dato heiklen Punkt enthält: nämlich die Staatsbürgerschaft. Und damit die Frage, wer sie wie schnell und wie leicht oder schwer bekommen kann.

So sollen – ginge es nach der AK – im Inland geborene Kinder und auch Kinder, die zumindest die Hälfte ihrer Schulpflicht in Österreich absolviert haben, die Staatsbürgerschaft nach fünf Jahren erhalten können, wenn sich zumindest ein Elternteil rechtmäßig im Inland aufhält. Auch das Verfahren selbst soll für alle Antragsteller beschleunigt werden und die Kosten und Verwaltungsabgaben für Übersetzungen, Beglaubigungen, Deutschkurse, Prüfungen, etc. sollen gesenkt werden, so der neue Beschluss der Interessensvertretung.

1,5 Millionen in Österreich ohne Wahlrecht

Denn die Gruppe derer, die in Österreich nicht selbst mitbestimmen dürfen, ist immens. Im Jahr 2022 besitzen laut aktueller Zahlen der Statistik Austria über 1,5 Millionen Menschen – das entspricht knapp 18 Prozent der Bevölkerung – keine österreichische Staatsbürgerschaft. Und sind damit weder auf Bundes- noch auf Landesebene wahlberechtigt. Noch gravierender sind die Zahlen, blickt man auf einzelne Altersgruppen. In der Altersgruppe der 27- bis 44-Jährigen beispielsweise sind satte 40 Prozent nicht wahlberechtigt. Das ist fast jede zweite Person.

Ein Drittel der Wiener nicht wahlberechtigt

Auch auf regionaler Ebene ergeben sich starke Kluften: Bei der letzten Wiener Landtagswahl 2020 durften in einigen Bezirken überhaupt nur die Hälfte der Bewohner und Bewohnerinnen zur Wahlurne gehen. Insgesamt war ein Drittel der Wiener Bevölkerung über 16 Jahren nicht wahlberechtigt.

Bereits 2021 preschte die SPÖ mit dem Vorschlag, den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern vor und forderte eine Rechtsanspruch nach sechs Jahren rechtmäßigen Aufenthalts – und traf auf harten Widerstand. Der Aufschrei arbeitete sich dabei besonders am Aspekt eines bedingten ius soli ab: Laut SPÖ sollten in Österreich geborene Kinder automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten. Insbesondere die ÖVP – ganz vorne dabei Karl Nehammer, damals noch Innenminister, und Immer-noch-Familienministerin Susanne Raab – reagierte auf diese Pläne mit strikter Ablehnung.

Unrühmliche Rolle des Beinschab-Tools

Ganz anders die öffentliche Meinung: Laut des im Oktober 2021 veröffentlichten Integrationsbarometers spricht sich die Mehrheit (48 Prozent dafür, 44 Prozent dagegen) der österreichischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen für den SPÖ-Vorschlag aus, hier geborenen Kindern automatisch die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn ihre Eltern bereits jahrelang legal hier leben.

Und genau an dieser Stelle dürften sich die Meinungen der ÖVP-Riege, die der Gesamtbevölkerung und die diverser von der ÖVP in Auftrag gegebener Studien unterscheiden – und letztere künstlich eingegriffen haben. Augenscheinlich wurde das im Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und medialen Aufdeckungen rund um die Festnahmen der Research-Affairs-Meinungsforscherinnen Sophie Karmasin und Sabine Beinschab.

Mit „hohem Gut“ manipuliert

Gemäß einer im Juni 2021 – also just zur Zeit des SPÖ-Vorschlags – veröffentlichten Studie, in der mutmaßlich (es gilt die Unschuldsvermutung) auch das sogenannte Beinschab-Tool angewendet wurde, lehnten 63 Prozent der Befragten die Reformpläne ab. Allein die Fragestellung inklusive des Begriffs-Framings „hohes Gut“ wurden von Opposition und Menschenrechtsorganisationen später als „irreführend“, „massiv verzerrt“ und „manipulativ“ bezeichnet.

Nicht wählen dürfen gefährdet Demokratie

In diese Kerbe schlug am heutigen Mittwoch auch Martina Zandonella vom renommierten SORA-Institut: „Mitbestimmung wird immer mehr als Privileg der Alteingesessenen und Bessergestellten gesehen“, so die Expertin bei ihrer Wortmeldung zu Beginn der AK-Vollversammlung. Hier müsse dringend gegengesteuert werden – „um ein Erdbeben zu verhindern“. Wenn 60 Prozent der Wiener Arbeiterinnen und Arbeiter nicht wählen dürfen und im untersten Einkommensdrittel überhaupt nur ein Drittel noch der Meinung ist, dass Beteiligung ein Gewicht hat, sei die Demokratie gefährdet.

Der Leitantrag der FSG (Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen) mit dem Titel „Jugend verdient Respekt“, der auch die genannte Staatsbürgerschaftspassage enthält, argumentiert vor allem mit der integrativen Wirkung einer neuen Regelung. Denn die hohen Hürden für die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft – insbesondere die hohe Einkommensgrenze, gewaltige Bürokratie und geforderte Aufenthaltsdauer – betrifft besonders die Jugend: also Menschen, die hier geboren, aufgewachsen und ausgebildet wurden. Um diese Gruppe zu beziffern: Das betrifft über 88.000 Minderjährige, davon 22.300 Jugendliche im wahlfähigen Alter.

„Politik nur noch für reiche Säcke“

Durch das vorherrschende, vergleichsweise restriktive Recht würden, so die FSG, junge Menschen und solche mit geringen Einkommen von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen. Dass sich dieses Argument durch das ganze Programm zog, ließ sich auch den Worten des Gewerkschaftsjugendvorsitzenden, Richard Tiefenbacher, entnehmen: „Es wird nur Politik für die reichen Säcke gemacht, ich kann gar nicht so viel Fressen wie ich Kotzen könnte“, donnerte er vom Podium.

Skandal- und Party-Behörde MA35

Es gibt noch weitere Hindernisse, die für etliche die Staatsbürgerschaft platzen lässt: die immens hohen Kosten zum einen, teils schikanöse Verwaltungsstrukturen zum anderen. Eingebürgert wird nur, wer genug verdient. Bereits abzüglich aller regelmäßigen und laufenden Aufwendungen wie Miete, Kreditraten, Unterhaltsansprüche müssen monatlich für einen Erwachsenen mindestens 1.000 Euro nachgewiesen werden.

Aber auch bei der Antragsbearbeitung selbst wird seit Jahren über Missständen berichtet. Als eine der rekordmäßig mit Beschwerden überzogenen Behörden gilt die berühmte MA35 in Wien, zuständig für Einwanderung. Die publik gewordenen Skandale reichten von wahnwitzig langen Wartezeiten, Büro-Saufgelagen bis hin zu Vorwürfen der Diskriminierung.

Bringt keine Stimmen

Was die Debatte um die Staatsbürgerschaft grundsätzlich so heikel macht: Rechten und Konservativen wären die Stimmen potenzieller Neubürger und -bürgerinnen nicht wirklich von Nutzen. Alternativwahlen ohne offiziellen Charakter, wie beispielsweise die regelmäßige Pass-Egal-Wahl von SOS Mitmensch, zeigen immer wieder ein theoretisches, aber deutliches Stimmenübergewicht für linke Parteien. Was der AK-Beschluss tatsächlich ausrichten wird, bleibt vorerst abzuwarten.

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