Das neueste Projekt des Fotografen Cathal McNaughton stellt Asylsuchende in Schweden in den Mittelpunkt. Bei den Aufnahmen geht es dem preisgekrönten Fotojournalisten nicht um die Abbildung der Gesichter, sondern um die Geschichten der Flüchtlinge dahinter. Für die Aufnahmen traf er sie in einem Asylzentrum, das ruhig und abgeschieden auf dem Land liegt, und ließ sie vor Blumen- und Pflanzenkulissen posieren. Doch die malerische Atmosphäre trügt.
Zum Schutze ihrer Identität verdecken die Porträtierten ihr Gesicht. Viele haben Familienangehörige in ihren Heimatländern, die sich noch immer in Gefahr befinden. McNaughtons Ziel ist es, die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Flüchtlinge zu lenken, und von den Anstrengungen zu erzählen, die sie auf sich nehmen mussten, um einen besseren Ort zu finden. Der Einzelne soll nicht auf eine Fotografie reduziert werden: Erst Bild und Wort gemeinsam vermitteln dem Betrachter einen Eindruck von den Schatten und Lichtblicken der Asylsuchenden, erzählt der Fotograf.
Oamayma A. (42) kommt aus Syrien, wo sie als Französischlehrerin arbeitete. Neun Monate dauerte es, bis sie über die Türkei und Griechenland nach Schweden kam. Man betrog sie auf der Flucht um 7.000 Euro, schließlich bekam sie für 2.000 Euro einen falschen französischen Pass, mit dem ihr die Einreise nach Schweden gelang. "Zuhause habe ich keine Sicherheit. Ich möchte vor allem meine Tochter zu mir holen, weil ich Angst habe, sie könnte in Syrien vergewaltigt werden."
Davlat ist 19 Jahre alt und aus Tadschikistan. Auf dem Foto steht er an einer Straße mitten in Stockholm. Er wurde vor vier Jahren nach Russland geschmuggelt. Von dort reiste er auf einem Schiff nach Schweden. Seine Familie hatte befürchtet, er könnte Sklave eines örtlichen Geldverleihers werden, der damit drohte, ihn in Gefangenschaft zu nehmen. Seine Eltern hätten ihn nicht freikaufen können. Seit seiner Flucht hat er sie nicht mehr gesehen. Er hat Angst, dass sie getötet wurden. Davlat arbeitet illegal in einem Hotel nahe Stockholm und auf Baustellen, um Geld zu verdienen. "Für mich ist nichts mehr übrig. Meine Familie ist tot. Ein Zuhause habe ich nicht mehr."
Collins (23) wurde von einem Priester aus Nigeria geschmuggelt, weil er aufgrund seiner Homosexualität von der Polizei gequält wurde. "Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich nicht schwul", sagt er. "Ich bin Waise und habe niemanden. Mit einer Frau könnte ich eine Familie haben."
Monther B. ist ein 47-jähriger Rechtsanwalt aus Syrien, der sein Land, seine Frau und seine Kinder verließ, nachdem er den Oppositionellen vorgeworfen hatte, einen seiner Freunde ermordet zu haben. Er zahlte umgerechnet über 6.000 Euro an Schmuggler, um ihn über Ägypten und die Türkei nach Griechenland zu schleusen, von wo aus er unter falscher Identität einen Flug nach Schweden nahm. "Zuhause habe ich keine Zukunft", sagt Monther. "Ich will meine Familie nachholen, sie sind in einer gefährlichen Lage. Meine Kinder sollen eine gute Ausbildung bekommen."
Ahmed M. ist 47 Jahre alt. Der Syrer ist Ingenieur und zahlte 8.500 Euro an Schlepper, um ihn über Jordanien und die Türkei nach Griechenland zu bringen. Auch er flog von dort aus mit falschen Papieren in die schwedische Hauptstadt. Ahmed musste Syrien verlassen, weil er dreimal vom militärischen Geheimdienst festgenommen wurde - ihm wurde vorgeworfen, als Spion zu arbeiten. Er wurde so stark gequält, dass sie seine Füße brachen. "Ich habe fünf Kinder zuhause", sagt er. "Sie haben keine Zukunft in Syrien - und ich habe keine Zukunft ohne sie."
Lutfullah (27) ist Afghane und gelangte über den Iran, die Türkei, Griechenland und Italien nach Schweden. Dafür zahlte er fast 9.000 Euro an Schlepper. Die letzte Etappe seiner Flucht verbrachte er sechs Tage lang festgeschnallt unter einem Laster. Lutfullah ist Journalist. Den Taliban passte nicht, was er schrieb. In Schweden kann er drei Monate bleiben. Er ist an einer Depression erkrankt und verlässt nur selten seine Unterkunft. "Sobald ich zurückgehe, werde ich umgebracht. Hier lebe ich auch nicht, ich existiere nur."
Assaf ist 44 Jahre alt und aus Syrien. Dort war er Sicherheitschef des Regierungsministers. Um nach Schweden zu gelangen, zahlte er Schmugglern 8.000 Euro. Über die Berge kam er in die Türkei, von dort schlug er sich zusammen mit vielen anderen auf einem Boot nach Griechenland durch. Auf einem Laster fuhr er nach Schweden weiter. Auf die Frage nach seiner Zukunft sagt er: "Welche Zukunft? Ich lebe in einem fremden Land, während meine Familie tausende von Kilometern weit weg ist. Solange sie nicht bei mir ist, gibt es keine Zukunft für mich."
Ghassan M. K. zahlte 7.000 Euro an Schlepper, um ihn über den Libanon nach Schweden zu bringen. Der 39-Jährige aus Damaskus sagt: "Ich habe genug gesehen. In Syrien gibt es keine Gesetzesanwendung mehr." Er sei nach Schweden gekommen, um seine Frau und seine Kinder nachzuholen. "Auch wenn sie mir anböten, Premierminister zu werden - ohne meine Familie bin ich nichts."
Mebrahtu ist ein 37-jähriger Soldat aus Eritrea. Er wollte das Militär verlassen, doch man drohte, ihn beim Versuch zu töten. Nächtelang schlug er sich nach Äthiopien durch, wo er sich falsche Papiere beschaffte. Damit flog er nach Schweden. Über seine Zukunft sagt er: "Ich hätte gerne eine Ausbildung. Als das Flugzeug landete, brach ich in Tränen aus." (Reuters/melz, derStandard.at, 3.7.2014)