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Reportage

Gerichtsreportage: Hieb, check, Hieb, Mord?

Weil sein Mitbewohner nach Alkohol stank, griff Gerald M. zur Axt. Heute wird in Wien verhandelt. Die Anklage: Mord.

Miroslav E. kam und ging nicht mehr weg. Er soff, er stank nach Alkohol, und er schnarchte zu laut. Er bediente sich aus freien Stücken in der Wohnung und verpestete sie. Am 27. Oktober 2014 nahm Gerald M. seine Axt und hieb sie dem schlafenden Eindringling in den Kopf. Zweimal, dann war Miroslav E. tot. Die Axt ließ M. im Kopf stecken und legte sich zurück ins Bett. Er sollte fast drei Monate nicht mehr aufstehen.

Heute muss sich der 52-jährige gebürtige Deutsche im Wiener Straflandesgericht verantworten. Anklage: Mord. Der Prozessbeginn verzögert sich, denn Gerald M. macht einen verwirrten Eindruck. Mit Handschellen, in Pantoffeln, Jogginghose und Krankenhauskittel wird er in den Saal geführt. Es herrscht starker Andrang, TV-Kameras verfolgen ihn auf Schritt und Tritt. Die Luft hier drin sei zu chemisch, sagt dieser, er habe starke Kopfschmerzen, fühle sich überfordert. Er bekommt Krämpfe im Bein, kauert neben dem Stuhl am Boden. Fast zwei Stunden beraten Richter und Psychiater über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, dann kommen sie zu dem Ergebnis, dass sie weitermachen wollen – mit offenen Fenstern und Unterbrechungen.

In einer „Messiewohnung“ soll Gerald M. gelebt haben, sagt die Staatsanwältin Karina Fehringer. Seit Mitte der Neunziger Jahre hatte er immer wieder Obdachlose, Ex-Inhaftierte und andere Gestrauchelte bei sich aufgenommen – wie auch Miroslav E. im vergangenen Jahr. Als kurzfristiger Unterschlupf sei es gedacht gewesen, doch Miroslav E., Slowake und angeblich Ex-Söldner, sah das anders. Regelrecht vereinnahmt soll er die Wohnung in Wien-Meidling haben, berichten Angeklagter und Zeugen: Er schlief in M.s Bett, benutzte dessen Zahnbürste, verschenkte dessen Besitz. Das spätere Opfer soll den Quartiergeber außerdem auch bedroht haben. „Bis aufs Blut“ habe dieser ihn gequält, sagt M. Immer wieder forderte M. den Obdachlosen auf zu gehen. Auch die Polizei habe er zweimal gerufen, dort habe sich niemand zuständig gefühlt.

Am 26. Oktober geriet der Angeklagte an seine Grenzen. Beim Abendessen soll er dem unliebsamen Invasor gesagt haben, dass „ein Unglück geschehen werde“, wenn dieser nicht endlich das Weite suchte. Die folgenschwere Ankündigung wurde von E. nicht ernstgenommen. In der Nacht roch M. erneut Alkoholdämpfe und nahm sich daraufhin die Axt. Nach dem ersten Hieb seien noch Atemgeräusche zu hören gewesen, der zweite in die linke Schädelhälfte führte rasch zum Tod, quittiert der Gerichtsmediziner. Gerald M. sagt aus, er sei in dieser Nacht nicht denkfähig gewesen. Seine „Geruchs-Allergien“ seien zu stark, er habe sich nicht mehr anders zu helfen gewusst: „Ich muss ausgerastet sein.“

In den darauffolgenden Wochen versuchte er sich mehrmals mit Opiaten und anderen Mitteln selbst zu vergiften, verwahrloste, erlitt durch die Medikamente Lähmungserscheinungen. Die Leiche ließ er im Wohnzimmer liegen, bis sie mumifizierte. M. lebte daneben. Wie er das angesichts seiner Sensibilität ausgehalten habe, fragt ihn die Staatsanwältin. Es sei lange ein „sehr milder Geruch“ gewesen, antwortet der Beschuldigte. Erst im Dezember zog er aufgrund des Verwesungsgestanks zu einem Freund, dem er sich im Jänner anvertraute und der daraufhin die Polizei einschaltete.

M. ist geständig, bezeichnet die Tat als „Untat“. Vor Gericht drückt sich der Angeklagte auffallend intellektuell aus. Der Prozess bietet einen weiteren nicht unerheblichen Nebenschauplatz: Die Nacht, in der die Bluttat geschah, war eine besondere für Gerald M. Es jährte sich die Gründung der Bio-Linie „Ja, natürlich“ zum 20. Mal – deren Erfinder Gerald M. zu sein behauptet. Die Idee sei plagiiert und er betrogen worden, klagt der Deutsche an. Dies habe ihn jahrzehntelang belastet. Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter attestiert in ihrem Gutachten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung. So weise M. narzisstische, schizoide sowie paranoide Züge auf – für eine Einweisung in eine Anstalt für „geistig-abnorme Rechtsbrecher“ reiche das nicht aus. Er leide unter Größenideen, die auch die als Zeugen geladenen Freunde als „Spinnereien“ bezeichnen, dennoch werde man zivilrechtliche Schritte gegen „Ja, natürlich“ erheben, kündigt Anwältin Irene Pfeifer an.

Die Geschworenen müssen nicht nur über das Strafmaß beraten, sondern auch über die Frage: Vorsatz oder nicht? Mord oder Totschlag? Die Verteidigerin appelliert an die Laienrichter, es handele sich um eine Verzweiflungstat aus Hilflosigkeit. Dabei beruft sie sich auch auf die Psychiaterin. Aufgrund seiner diagnostizierten eingeschränkten Dispositionsfähigkeit habe der Angeklagte nicht wahrnehmen können, was er tat. Die Staatsanwältin dagegen rückt das Opfer ins Zentrum: „Miroslav E. musste sterben, weil sich der Angeklagte durch Alkoholgeruch belästigt fühlte – er kann sich hier heute nicht mehr äußern“, so Fehringer. Daher wisse man auch nicht, wie bedrohlich dieser wirklich war. Es hätte außerdem andere Alternativen gegeben – Schloss auswechseln, Freunde um Hilfe bitten – als „jemandem die Hacke in den Schädel zu hauen“.

Am Ende sehen das auch die Geschworenen so. Die Unbescholtenheit, die verminderte Zurechnungsfähigkeit am Tattag sowie das Geständnis werden mildernd gewertet. Gerald M. wird wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt. Rund 9.900 Euro Trauerschaden und Beerdigungskosten muss er an die Tochter des Verstorbenen zahlen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Gerald M. würde lieber in ein Spital, um wieder zu Kräften zu gelangen – „am liebsten im Wienerwald, da ist die Luft besser“, sagt er.