1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Nicht so neue Männlichkeit

Männlichkeit diversifiziert sich – auch auf Social Media. Die großen Namen verdienen jedoch meist mit traditionellen Geschlechterbildern ihr Geld. Von Anika Haider

 

Als Harry Styles im November 2020 als erster Mann für das Cover der US-Vogue in einem Spitzenkleid posierte, wurde eine Ära „neuer Männlichkeit“ ausgerufen – nicht zum ersten Mal. 62 Millionen Einträge findet Google unter diesem Stichwort. Darunter zahlreiche Artikel, Videos und Bücher, die überzeugt sind, dass sich das Männlichkeitsbild im 21. Jahrhundert grundlegend geändert habe. 

 

Nagellack und Perlenketten etwa sind auch an männlichen Nicht-Promis keine Seltenheit mehr.  Und die Generation Z (zwischen 1995 und 2010 Geborene) steht mehr denn je zu ihrer Queerness. Runde zwanzig Prozent der GenZ identifizieren sich einer Studie des Gallup-Instituts zufolge als queer.

 

Das schlägt sich auch in den sozialen Medien nieder, wo die LGBTIQ+-Community endlich stärker repräsentiert ist. Einige der erfolgreichsten Content-Produzent*innen sind offen queer und subvertieren mit ihren Inszenierungen klassische Geschlechterrollen. So zum Beispiel der Beauty-Youtuber und Influencer James Charles, der mit 24 Millionen Abonennt*innen schon einige Essays über neue Männlichkeit inspiriert hat. 

 

Auch in meinem Instagram-Feed tragen männlich gelesene Menschen cute Outfits, können einen perfekten Lidstrich ziehen und machen sich über toxische Männlichkeit lustig. Doch natürlich machen sie das, sonst wären sie nicht in meinem Instagram-Feed. Ich bewege mich online, so wie alle anderen auch, in einer Filterblase – meine ist eben queerfeministisch.

Und das verzerrt die realen Verhälnisse gewaltig. Denn Influencer wie beispielsweise Lionel Koller alias „wurstaufschnitt“ (26.400 Follower) oder Martin (der seinen Nachnamen nicht öffentlich macht) alias „polyriker“(53.000 Follower), die sich explizit gegen toxische Männlichkeit aussprechen sind zwar wichtige Stimmen, doch ihre Reichweite beschränkt sich auf einige zehntausende Accounts.

 

Zum Vergleich: Auf Instagram hat Fußballer Christiano Ronaldo 616 Millionen Follower. Er soll der bestbezahlte „Influencer“ sein und laut „The Sun“ über zwei Millionen Euro pro gesponsertem Posting abkassieren. Diese produziert er unter anderem für die Krytobörse „Binance“, mit der er auch eine eigene NFT-Kollektion vertreibt. 

 

Auf YouTube führt James Donaldson alias „Mr.Beast“ das Ranking an. Den Kanal des 25-Jährigen haben über 230 [LS3] [AH4] Millionen Abonnent*innen abonniert. Donaldson macht Videos darüber, dass er Lamborghinis und manchmal auch eine private Insel verschenkt oder Menschen in „Real Life Squid Game“-Duellen gegeneinander kämpfen lässt.  „Forbes“ kürte ihn 2022 zum bestbezahlten YouTuber, sein Vermögen wurde zuletzt auf 500 Millionen US-Dollar geschätzt. Er könnte der erste YouTuber sein, der zum Milliardär wird. Der Gender-Pay-Gap wurde übrigens auch unter Influencer*innen nachgewiesen. 

 

Ein Genre, das besonders viele bei einem jugendlichen Publikum beliebte Youtuber hervorgebracht hat, ist das sogenannte „Let’s Play“. Der Inhalt: Jemand spielt ein Videospiel und kommentiert das. Auch Felix Kjellberg aka „PewDiePie“, der vor „Mr. Beast“ die Youtube Charts angeführt hat, ist mit diesem simplen Konzept berühmt geworden. Kjellberg hat auch unter Rechten eine beachtliche Fangemeinde.  Ein Jahr, nachdem er mit antisemitischen Witzen und dem N-Wort für Aufsehen sorgte, erreichte er als erster YouTuber 100 Millionen Follower. 

 

Auch im deutschsprachigen Raum sind „Let’s Play“-Youtube-Kanäle sehr erfolgreich: „Paluten“, „Gronkh“ und „Laser Lukas“ haben alle um die fünf Millionen Abonnent*innen. Angeführt werden die deutschsprachigen YouTube-Charts übrigens von dem Erklärvideo-Kanal „Kurzgesagt“, dicht gefolgt von „Härtetest“, einem Kanal, der Autos über Dinge fahren lässt.

 

Queerness wird gegenwärtig sichtbarer und Männlichkeit in mehr Facetten akzeptiert als noch vor einigen Jahren, doch die „neue Männlichkeit“ ist immer noch ein Nischenphänomen. Tatsächlich dominieren auf Social Media traditionelle Rollenbilder und ihre Algorithmen verstärken binäre Geschlechterordnungen sogar.

Laut einer Studie der „MaLisa Stiftung“ aus dem Jahr 2019 vermitteln soziale Medien zum Großteil Geschlechterideale, die denen der 1950er-Jahre ähneln. Vor allem die erfolgreichsten Youtuber*innen repräsentieren dabei besonders starre Geschlechterbilder.

 

Beliebte Youtuberinnen widmen sich vorwiegend klassisch weiblich codierten Themenfelder wie dem eigenen Erscheinungsbild (Beauty und Mode) und bleiben dabei im häuslichen Umfeld (Kochen, Interior, „DIY“). Auch die Themen Gesundheit und Wellness sind stark vertreten. YouTuber hingegen bespielen ein deutlich größeres Themenfeld, besonders beliebt bei den reichweitenstarken Kanälen sind die Themen Sport und Videospiele, aber auch die Bereiche Comedy, Musik, Finanzen und Politik. Eine ähnliche Themenverteilungen zeigt sich auch auf Instagram. 

 

Die Gründe für diese dramatische Geschlechterdiskrepanz wurden für einen Gleichstellungsbericht in Deutschland 2022 erforscht. Besonders ausschlaggebend sei, dass sich die Möglichkeit zur Monetarisierung an Genderstereotypen orientiere. Weibliche Influencer, die von Werbefinanzierung abhängig sind, arbeiten mit Kosmetik- und Modeunternehmen zusammen, auch weil sie in anderen Bereichen weniger Angebote haben, um Geld zu verdienen. Männerdominierte Produktionskulturen, wie sie bei traditionellen Medien vorherrschen, finden sich außerdem auch in sozialen Medien. Außerdem sind die Empfehlungen durch Algorithmen diskriminierend, sie reproduzieren sexistische und rassistische Einstellungen. Und zu guter Letzt erfahren Menschen, die nicht den traditionellen, heterosexuellen und binären Geschlechtsbildern entsprechen, z. B. weil sie feministisch, homosexuell oder trans sind, auch online Gewalt und werden verdrängt.

 

Eine Studie der NGO Plan International kam sogar zu dem erschreckenden Ergebnis: Je intensiver die Befragten soziale Medien nutzen, desto konventioneller und stereotyper sind ihre Ansichten über Geschlechterrollen. So gaben beispielsweise rund zwei Drittel aller Studienteilnehmer*innen, die täglich Instagram, Youtube und Co nutzen, an, es in Ordnung zu finden, wenn Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienen als Männer. Wer kein „heavy user“ war, war hingegen eher geneigt, den Pay-Gap ungerecht zu finden. 

Social-Media-Ökonomie verstärkt traditionelle Geschlechterbilder also sogar. Auch wenn das Netz ganz neue Möglichkeiten bietet, Identitäten zu performen: Im feministischen Kampf – gemeinsam mit profeministischen Männern – können wir uns nicht auf Instagram und Co verlassen.