Unsichtbare Ausbeutung
Menschenhandel wird oft mit Zwangsprostitution assoziiert. Doch er passiert auch in privaten Haushalten, wo Angestellte jeglicher Rechte beraubt werden. Eine neue EU-Initiative setzt auf „digital aufsuchende Arbeit“. Von Anika Haider
Wie viele Frauen von den Philippinen sucht auch Carla (Name geändert) nach einer Arbeitsstelle im Ausland. Sie findet sie in Dubai, wo sie für eine Diplomatin arbeiten soll. Eine Stellenbeschreibung gibt es nicht, nur eine vage Jobbezeichnung, die auf Haushaltstätigkeiten schließen lässt. Schon bei der Ankunft nimmt ihr ihre zukünftige Arbeitgeberin die Dokumente ab, „zur sicheren Verwahrung“, heißt es. Zunächst muss Carla typische Aufgaben im Haushalt erledigen, nach und nach kommen jedoch immer mehr Bereiche hinzu, von der Kinderbetreuung bis zur Gästebewirtung – alles ohne geregelte Arbeitszeiten und zum Hungerlohn von 150 Euro im Monat. Als die Diplomatin nach Wien versetzt wird und Carla sie begleitet, verschärft sich die Situation zunehmend. Von Carlas mickrigem Monatslohn zieht ihre Arbeitgeberin inzwischen sechzig bis siebzig Prozent wieder ab, weil sie ihn für zu hoch befindet. Carla kann sich nicht einmal mehr Lebensmittel leisten, die Familie verpflegt sie aber auch nicht ausreichend. Es bleiben ihr nur die Essensreste im Haushalt, mit denen sie sich notdürftig ernährt. Schließlich wird Carla durch eine Facebook-Gruppe auf die Initiative „Hidden at Work“ aufmerksam. Sie beschließt, sich Hilfe zu holen. Mittlerweile ist Carla bei der österreichischen Interventionsstelle gegen Frauenhandel (IBF) in Betreuung und ein Strafverfahren gegen ihre Täterin läuft.
Carla ist kein Einzelfall. 334 Betroffene betreuten Sangeetha Manavalan und ihre Kolleginnen bei der IBF im vergangenen Jahr. Rund zehn Prozent davon waren Angestellte in privaten Haushalten. Bedienstete (beispielsweise in Diplomat*innenhaushalten), 24-Stunden-Betreuerinnen, Au-pairs. Expert*innen gehen jedoch von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus, denn Kontrolle und das Aufspüren von Betroffenen sind gerade im privaten Bereich besonders schwierig. Manavalan ist Koordinatorin des 2021 etablierten EU-Projekts „Hidden at Work“, an der auch die IBF teilnimmt. Ziel der Initiative ist es, Betroffene von Frauenhandel ausfindig zu machen, die in privaten Haushalten beschäftigt sind. „Private Haushalte sind Orte, an denen Arbeitsausbeutung unter besonders prekären Umständen passiert“, erklärt Manavalan. Die Opfer sind weitgehend isoliert, Straftaten finden im Verborgenen statt.
Hilfe auf Facebook. Im Zuge des neu etablierten Projekts werden Betroffene durch „digital aufsuchende Arbeit“ ausfindig gemacht. Manalavan und ihre Kolleg*innen sind in Facebook Gruppen aktiv, in denen sich spezifische Berufsgruppen treffen oder in Communitys, denen die Betroffenen typischerweise angehören. „Normalerweise arbeiten Organisationen, die sich mit Betroffenen von Menschenhandel befassen, mit direkt aufsuchender Arbeit. Sie gehen also an potenzielle Arbeitsstätten von Betroffen, zum Beispiel in Bordelle. Das ist aber nicht möglich, wenn es sich um Ausgebeutete in privaten Haushalten handelt“, erzählt Manalavan. Rund sieben Prozent ihrer Klient*innen kamen im letzten Jahr auf diesem Weg zur IBF.
In die entsprechenden Gruppen postet das Team von „Hidden at Work“ Infos, die den Betroffenen helfen sollen, sich als solche zu identifizieren. „Hier geht es darum, zu zeigen, was Ausbeutung überhaupt ist und darum, den Frauen ihre Rechte klar zu machen.” Denn die fehlende Information macht Betroffene noch vulnerabler. „Die Frauen wissen meist nicht viel über ihre eigenen Rechte. Zudem sprechen sie oft kein Deutsch und haben keine sozialen Kontakte in Österreich.“ All das erschwert es, der Ausbeutungssituation zu entkommen, erklärt Manalavan.
Vielschichtige Abhängigkeiten. Auch die starke Abhängigkeit von ihren Arbeitgeber*innen, in der sich Angestellte privater Haushalte befinden, macht ihre Situation so besonders prekär. „Sie sind von dem Einkommen abhängig, oft ist zudem auch die Unterkunft mit der Arbeit verknüpft. Vor allem aber hängt oft die Aufenthaltsbewilligung der Frauen von ihrem Arbeitsplatz ab.“ Dieser Umstand ist vor allem bei Drittstaatsangehörigen relevant, die ca. siebzig Prozent von Manavalans Klientinnen ausmachen. Auch Sprachbarrieren sind ein relevanter Faktor: So kommt es oft vor, dass die Betroffene zum Beispiel kein Deutsch spricht, aber genötigt wird, einen Arbeitsvertrag auf Deutsch zu unterschreiben. Teilweise wird Betroffenen auch nicht erklärt, was ihre Arbeit beinhalten soll, oder es wird später etwas ganz anderes verlangt als zuvor besprochen.
Täuschungen wie diese sind einer der Indikatoren für Menschenhandel, wie sie im sogenannten Palermo-Protokoll der Vereinten Nationen, der rechtsverbindlichen Definition von Menschenhandel, festgehalten wurden. Meistens, so erklärt Manavalan, werden Opfer von Menschenhandel mit falschen Versprechen in ein anderes Land und dort in eine Zwangslange gebracht. Die Betroffenen werden dort zu Dienstleistung gezwungen, mit physischer oder psychischer Gewalt unter Druck gesetzt und ihrer Würde sowie ihrer – oft auch sexuellen – Integrität beraubt. Auch wenn der Anteil an sexuell Ausgebeuteten mit 65 Prozent am höchsten ist, sind viele Klientinnen des IBF auch von anderen ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse betroffen. „Für eine Klassifizierung als Menschenhandel ist es außerdem egal, ob der Ausbeutung zugestimmt wird oder nicht”, erklärt Manalavan.
Scheinverhältnisse. Eine andere Klientin, die Manavalan Hana nennt, wurde auf Facebook als Au-pair angeheuert. Die Arbeitgeberin verspricht Hana, sie „wie ein Familienmitglied“ zu behandeln. Stattdessen wird Hana von ihrer vermeintlichen „Gastmutter“ in diverse Einrichtungen geschickt, um Reinigungsaufgaben zu übernehmen – oft für über fünfzig Stunden wöchentlich. Ursprünglich wird ihr dafür Entlohnung zugesichert, diese erhält sie allerdings nie. Stattdessen setzt die Täterin Hana mit Kenntnissen über ihre marokkanische Herkunfts- und Familiengeschichte unter Druck. Als Hana schließlich über einen marokkanischen Frauenverein an die IBF vermittelt werden kann, wird ein Verfahren eingeleitet. Dabei stellt sich heraus, dass die Angeklagte bereits weitere junge Frauen mit der gleichen Taktik ausgebeutet hat.
Betroffene, mit denen der IBF Kontakt herstellen kann, erhalten sowohl psychosoziale als auch juristische Beratung. „Es ist wichtig, den Frauen zu erklären, wie sie ihre Tätigkeit oder etwaige Übergriffe am besten dokumentieren”, erzählt Manalavan. „Denn wenn die Betroffenen ihre Täter*innen anklagen wollen, braucht es Beweise. Und diese sind nicht immer einfach zu sammeln.“ Die wichtigste Basis für die Arbeit der IBF bildet allerdings das Asylrecht, wie Manavalan erzählt. Die Priorität vieler Klientinnen sei es, eine Aufenthaltsgenehmigung in Österreich zu bekommen. Wenn Betroffene als Opfer von Menschenhandel anerkannt werden, können sie ein einjähriges Aufenthaltsrecht in Österreich unter „besonderem Schutz“ erhalten. Voraussetzung dafür ist allerdings ein laufendes Straf- oder Zivilverfahren, bei dem die Betroffene Zeugin ist, also mit der Polizei in einem Verfahren gegen ihre*n Täter*in kooperieren muss.
Die Rechtslage für Betroffene von Menschenhandel beurteilt Manalavan kritisch. Sie fordert, einen sogenannten Überprüfungsauftrag zu etablieren. Qualifizierte Organe wie die Finanzpolizei oder das Arbeitsinspektorat sollten proaktiv die Arbeitsstätten von Hausangestellten überprüfen, potenzielle Opfer erkennen und diese an Organisationen wie die IBF weitervermitteln.
Die IBF kämpft zudem gegen die Scheinselbständigkeit der Betroffenen: Diese arbeiten abhängig wie Angestellte, erhalten jedoch keinerlei Rechte wie bezahlten Urlaub, Krankenversicherung oder eine gewerkschaftliche Vertretung. „Aber auch die Annerkennung der Bediensteten in diesen Berufen muss sich ändern“, sagt Manavalan. Sie wird fast immer von Frauen mit Migrationsgeschichte verrichtet, so tragen sowohl sexistische und rassistische Diskriminierungsmechanismen zur Stigmatisierung bei. „Diese Arbeit wird unsichtbar gemacht und weder angemessen geschätzt noch entlohnt.“