Die Schläge auf die Schultern peitschen durch die Stille des Raums. Paul Kohtes hat ausgeholt und mit einem Bambusstab zweimal kurz auf den Rücken eines Schülers geschlagen. Das lockert die Verspannungen. Frische Blüten schwimmen in einer Schale, auf einem Altar brennt ein Räucherstäbchen. Durch die große Fensterfront würden die zwölf Teilnehmer jetzt in den Garten blicken - wenn sie dürften. Aber sie dürfen nicht. Die Meditation erfordert vollständige Konzentration - auf das "Nichts", das sich offenbar irgendwo in der weißen Wand versteckt.
Alle blicken schweigend und regungslos dagegen. Auch Paul Kohtes, der "Lehrer" bei diesem Seminar. In seiner 20-jährigen Meditationserfahrung hat er unzählige Wände angeschwiegen. Täglich. Morgens und abends. Zu Hause und auf Reisen. Mit 28 Jahren gründete er die heute erfolgreichste deutsche PR-Agentur Kohtes & Klewes, entwickelte Kommunikationsstrategien für Mercedes, die Weltausstellung Expo 2000 oder die Deutsche Bundesbahn. Mittlerweile beschäftigt sich der 58-Jährige hauptsächlich mit "Heilmeditation" oder dem "Tanz der vier Himmelsrichtungen", leitet Zen-Meditationswochen und coacht Vorstandsmitglieder von Bertelsmann, der Telekom oder Repräsentanten des Fürstentums Liechtenstein. Seine "Transformation" nennt er das.
"Man braucht meistens eine gute Krise für eine Veränderung", diagnostiziert Kohtes seine Entwicklung vom erfolgreichen Ego- zum Esomanen. Seine war die Tuberkulose, an der er mit 32 Jahren erkrankte. Wochenlang lag der sonst so agile Manager im Bett, konnte nichts tun - und musste zusehen, wie seine Firma ohne ihn erstaunlich gut zurechtkam. "Ich war geschockt, wie verletzlich ich trotz meines beruflichen Erfolges bin", erinnert er sich an das Gefühl, das wie ein Parasit an seinem Selbstbewusstsein nagte. Kohtes war klar, dass er "etwas" ändern musste. Wo genau er ansetzen sollte, wusste er nicht, aber er wollte seine Wertschätzung nie mehr so unmittelbar und bedingungslos an den beruflichen Erfolg knüpfen. Ein Freund empfahl ihm, erst einmal ein wenig Ruhe in der Meditation zu suchen.
Erster Eindruck: "Grauenhaft! Es war anstrengend, schmerzhaft, und die Strenge war beklemmend." Sich einer Gruppe unterzuordnen fiel Kohtes besonders schwer. Er war es gewohnt, dass sich die Welt um ihn drehte. Das 24-stündige Seminar ließ dem Macher keinerlei Freiheiten, der Tag unterlag strengen Ritualen. Bewegungen, Blicke, selbst Atemzüge waren bis ins Detail geregelt. "Ich machte eine Erfahrung, die dem westlichen Individualismus genau entgegengerichtet ist, der sagt: "Du bestimmst alles!" Beim Zen erfuhr ich das genaue Gegenteil: "Du bestimmst nichts!"" Kohtes ertrug das Ganze mit innerem Protest, fuhr nach Hause und dachte sich "nie wieder". Drei Monate später meldete er sich zum nächsten Seminar an.
Kohtes, der in seiner schwarzen Robe wie ein ausgemergelter Magier aussieht, schlägt mit seinem Holzstab auf eine Metall-Schale, zwei helle Glockenschläge ertönen, für seine Schüler das Zeichen, behutsam aufzustehen und sich zu verbeugen. Die Füße und Beine sind taub. So genanntes Kinhin, ein kurzes Gehen im Kreis, hilft dabei, die eingeschlafenen Glieder für die nächste, gleich anschließende Sitzung fit zu machen. Sechs weitere werden folgen.
Die Nachwirkungen seines ersten Meditationsmarathons hatten Kohtes überzeugt: "Das war so was wie ein psychoanalytischer Schnelldurchgang", beschreibt er die Zeit danach. Seitdem verschlängelt der Ex-Manager täglich die Unterschenkel ineinander, blickt eine halbe Stunde gegen die Wand und denkt an besagtes "Nichts". Den "Affenzirkus", der im Kopf tanzt, während man an alles andere außer an nichts denkt, zügelt er durch unlösbare und etwas skurril anmutende Fragestellungen. Beispiel: "Hat ein Hund eine Buddha-Natur?" Antwort: "Mu", was so viel wie ja und nein gleichzeitig heißt.
Nach seiner tiefen Krise setzte Kohtes beruflich zum weichen Befreiungsschlag an. Sukzessive verkaufte er seine Firmenanteile und gab damit seinen Einfluss auf die Firmenpolitik auf. Trotz aller Erleuchtung war der Rückzug kein leichter Schritt: "Je mehr ich mich herausnahm, desto besser lief die Firma. Da tauchen auf einmal Selbstzweifel auf." Kohtes musste lernen, von der Macht abzulassen und Verantwortung zu übergeben. Eine Philosophie, die er heute seinen Kunden weitergibt: "Der zentrale Faktor für den Erfolg eines Unternehmens sind die Menschen und nicht die Unternehmensgrundsätze", erklärt Kohtes. "Corporate Identity ist nur Papier, wenn die Grundsätze nicht vorbildhaft gelebt werden. Eine Führungspersönlichkeit, die bewusst und reflexiv handelt, bringt das Unternehmen langfristig zum Erfolg." Auch heute steht der Unternehmensberater Kollegen und Kunden seiner ehemaligen Firma, der ECC Group, als "Chairman" mit professionellem Rat zur Seite.
Sein spirituelles Know-how lernte Kohtes als Schüler bei seinem Zen-Meister, dem Religionswissenschaftler von Brück, und durch Aufenthalte in japanischen Zen-Klöstern. Ein befreundeter Unternehmer, der dort viele Jahre lebte und arbeitete, führte den Rheinländer in den Zen-Zirkel ein. Ein eher schwieriges Unterfangen, weil sich die Klöster Fremden gegenüber eher abschotten. Kohtes erzählt die Legende eines Schülers, der sich für die Aufnahme in ein Kloster die Hand abhackte, um zu beweisen, wie ernst es ihm war. "Das ist natürlich nur eine Legende, die veranschaulichen soll, wie hoch die Hürden gesetzt sind, damit man so ein Zen-Seminar nicht aus reiner Sensationslust macht."
Eines der Klöster, in dem Kohtes ohne extreme Aufnahmebedingungen leben und meditieren konnte, lag in völliger Abgeschiedenheit inmitten eines Waldes in den Bergen hinter dem Fudschijama. Die Bedingungen waren asketisch: kein Strom, kein Wasser. Gewaschen wurde sich draußen im klirrend kalten Bach. Die Teilnehmer schliefen dort, wo sie auch meditierten - in einer großen Halle, die, nur von einer schläfrigen Petroleumlampe beleuchtet, stets im Halbdunkel lag. Die erste Meditation begann um 5.30 Uhr, hin und wieder gab es Pausen, in denen man aß oder draußen spazieren ging. Abends wartete das "Ofuru"-Bad, eine überm Feuer erhitzte Wanne, auf die unterkühlten und verspannten Zen-Schüler. "Zen ist in Japan noch sehr mit der Mentalität des Samurai verknüpft", sagt Kohtes. "Hart sein, um weich zu werden." Kohtes hingegen praktiziert eine Zen-Welt im eher westlichen Stil. Er lehrt "weiche Rigorosität": "Durch Druck wird eine Erleuchtungserfahrung erzwungen, nicht aber ein natürlicher Lernprozess angestoßen", hat er erkannt.
Trotz aller Erleuchtung und Konzentration auf das Wesentliche wagte Kohtes den Schritt ins Unternehmertum vor drei Jahren noch einmal - und scheiterte. Er kaufte einen esoterischen Buchverlag. "Mit dem Verlag wollte ich meine beruflichen und spirituellen Erfahrungen zusammenbringen", sagt Kohtes. "Aber ich habe mich von der Oberfläche blenden lassen und die Leichen, die schon lange im Keller lagen, nicht gesehen." Resultat: Insolvenz - die er heute positiv betrachtet. Reales Scheitern ist eine unmittelbare Erfahrung, die das Gedankenspiel eines "kôan" nicht ersetzen kann.
"Vielleicht", sinnt Kohtes, "war es auch meine Gier, die mich versagen ließ." Machtstreben und mangelnde Selbstdistanz seien jene Faktoren, die ein Unternehmen untergehen lassen - normalerweise wirft er das anderen Top-Managern vor. "Solche Menschen denken, Geld, Einfluss und Macht bedeute Freiheit", sagt Kohtes. "Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn mein Handeln nicht mehr opportunistischen Motiven unterliegt, bin ich frei in meinen Entscheidungen. Und es ist der Job des Menschen, frei zu werden."