Der kalifornische O'Reilly-Verlag ist vieler Computerfreaks Lieblingskind. Nicht nur, weil die Bücher gut sind, sondern auch, weil die Verleger ein Gespür für das gewisse Etwas haben: Ausgerechnet Tiere zieren die Titel dermeisten der rund 500 lieferbaren Computerfachbücher. Doch wer den Zusammenhang zwischen Tier und Thema entschlüsseln will, muss über Wissen und Phantasie verfügen.
Spinnen und Webmaster sind Seelenverwandte: sie verbindet, dass sie Netze in Ordnung halten. Aber warum ist der Koala auf dem "HTML"-Umschlag, oder was macht das Wiesel auf dem Buch "Webdesign"? Auch wenn die Gemeinsamkeit nicht immer offensichtlich ist: "Es gibt sie!", versichert Chefgrafikerin Edie Freedmann, die die ungewöhnliche Idee entwickelte, Tiere als Sinnbild zu verwenden.
"Sie sind so hässlich!"
Ihren Platz auf den Buchtiteln fanden die exotischen Kreaturen dennoch eher zufällig. Ende der 80er Jahre suchte Verleger Tim O'Reilly nach einem neuen Layout für seine erfolgreiche Ratgeberreihe "In a Nutshell". Für Edie Freedmann klangen die eigenartigen Buchtitel "sed & awk" oder "yacc" wie Figuren aus einem Fantasyspiel .
"Vor meinem inneren Auge", erinnert sich die 45-Jährige, "entstand die Vorstellung vom UNIX-Programmierer als Dungeons & Dragons - Spieler."
Bei ihrer Suche stieß die Grafikerin auf Holzstiche aus dem 19. Jahrhundert. "Die seltsamen Tiere schienen mir perfekt zu diesen merkwürdig klingenden UNIX-Ausdrücken zu passen." Sie präsentierte dem Team ihre Entwürfe und stieß auf einhellige Ablehnung: "Die sind hässlich und unheimlich, niemand wird die Bücher in die Hand nehmen!"
Doch Tim O'Reilly gefiel das Layout.
Der ungewöhnliche Ansatz entsprach seinem Credo "be disruptive!", also der Aufforderung, Gewohntes zu überdenken, anders zu machen und Mut zum Risiko zu beweisen. Mit 28 Jahren gründete der Harvard-Absolvent eine Consultingfirma, aus der er später den Verlag entwickelte. 1993 brachte er mit "Global Network Navigator" das erste Online-Magazin heraus. Seit Jahren ist der 48-Jährige engagierter Fürsprecher der Open-Source-Bewegung, die sich für den freien Zugang des Quellcodes einsetzt. "Mein Verlagsstil" erklärt Tim O'Reilly "basiert darauf, Teil der Computerszene zu sein und Entwicklungen nicht nur zu dokumentieren, sondern auch voranzutreiben."
Reine Handarbeit
Rund hundert Neuerscheinungen veröffentlicht der Verlag jährlich. Weil es immer schwieriger wird, frei zugängliche Tierstiche zu finden, entwerfen die Grafiker mittlerweile eigene. Die neuen Kreationen entstehen dabei auf ungewöhnliche Weise: Zuerst werden sie gezeichnet, auf ein spezielles Schabpapier übertragen, wie beim Linolschnitt mit einem Messer ausgeritzt und zum Schluss digital bearbeitet. Für so einen Tierstich brauchen die Grafiker bis zu 20 Stunden.
Die Zusammenarbeit zwischen Buchautoren und Illustratoren läuft dabei Hand in Hand. Die Autoren schlagen für ihr Thema Tiere vor und liefern detaillierte Informationen zu deren Eigenschaften. Bei der Wahl des Covers hat trotzdem Edie Freedman das letzte Wort.
Da kommt es vor, dass Autoren beleidigt reagieren: "Sie fürchten," so die Chef-Designerin "die Leser könnten denken, sie seien so fett wie ein Nilpferd oder so dumm wie ein Blaufußtölpel."
Die Magie der Tiere
Aus der gestalterischen Idee ist bei O'Reilly längst auch ein Engagement in Sachen Tierschutz entstanden. So übernimmt zum Beispiel der deutsche Verlagsableger in Köln jedes Jahr die Patenschaft für ein Tier des Kölner Zoos. In diesem Jahr ist es ein blauer Kakadu. Damit auch diese Botschaft beim Leser ankommt, werden die Klappentexte der Computerbücher von Biologen geschrieben, die über die Lebensweise von Koboldmaki, Eule oder Seepferd informieren.
Täglich bekommt der Verlag Post von Lesern, die nach dem Grund für eine bestimmte Tierwahl fragen. "Das soll ruhig ein bisschen unklar bleiben," antwortet darauf der Verleger geheimnisvoll, "denn wenn alles klar ist, haben die Dinge keine Magie mehr."