Andrea Lütkewitz

Freie (Online-) Redakteurin und Journalistin

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Die Herbstzeitlose

Ein Abend in allen Häusern: Am Samstag veranstaltet das Waschhaus zum zweiten Mal die „Jazzoffensive“ in der Schiffbauergasse

Jazz? Das ist doch die Musik, die intellektuelle ältere Herren in verrauchten Kellern oder Kunstverständige auf Vernissagen hören und zu der man ein gutes Glas Rotwein trinkt? Nun, wer nur diese Berührungspunkte mit dem Genre hatte, wird sicher von solchen Klischees beeinflusst sein. So groß und präsent ist die Szene in Potsdam schließlich nicht, dass der Kontakt mit Vibrafon und Jazz-Saxofon alltäglich wäre. Aber es gibt die Anhänger dieser Musik in der Landeshauptstadt – wer die Babelsberger „JazzTime“ des Schlagzeugers Max Punstein einmal besucht hat, weiß das. Auch gibt es schon länger die Potsdamer Jazztage und Konzerte im Nikolaisaal. Eigentlich also nicht schwer, sich selbst ein Gehör zu verschaffen und zu überprüfen, was es mit den Klischees auf sich hat.

„Der Jazz hat sein angestaubtes Image nicht verdient“, sagt Waschhaus-Geschäftsführer Siegfried Dittler. Er hat deshalb mit den anderen Kultureinrichtungen in der Schiffbauergasse 2015 die „Jazzoffensive“ ins Leben gerufen. Etwa 500 Jazz-Fans, aber auch Stammgäste der einzelnen Häuser in der Schiffbauergasse sowie „einfach Neugierige“, so Dittler, kamen im vergangenen Oktober ins Erlebnisquartier, um an einer Vielzahl Bands zu erleben, wie breit gefächert diese Musikrichtung tatsächlich ist. Vor allem an Potsdamer richte sich diese Veranstaltung, auch wenn Gäste aus der 1800 Meter entfernten und gut mit Jazz bestückten Hauptstadt da gewesen seien.

Aus Sicht des Waschhaus-Chefs war der Auftakt ein Erfolg, weshalb auch in diesem Jahr wieder die gesamte Schiffbauergasse mit der „Jazzoffensive“ bespielt wird – was neben dieser Veranstaltung bislang nur bei der „Stadt für eine Nacht“ der Fall ist. In der fabrik, dem Hans Otto Theater, dem Theaterschiff, dem T-Werk, dem Waschhaus sowie im Museum Fluxus plus geben am Samstag acht Bands Konzerte, einige von ihnen waren auch im letzten Jahr dabei. „Wir möchten dem Abend bewusst einen Festivalcharakter geben, deswegen finden Konzerte gleichzeitig statt und die Leute können zwischen den Bands wandern“, erklärt Dittler. Auch für diejenigen, die dieses Jahr einfach nur mal reinhören wollen, sei das ideal, der Preis in Höhe von zwölf Euro ein guter.  „Wir wollen, dass Jazz entdeckt werden kann, denn er ist vor allem ein Live-Erlebnis“, sagt Waschhaus-Sprecher Patrick Dengl.

Mit TreeMen etwa macht ein Trio den Auftakt, dessen Mitglied Max Punstein in Babelsberg eine eigene Reihe „Jazztime in Babelsberg“ erschuf und damit zu einer lokalen Größe wurde. Jazz und Pop verschmelzen hier äußerst tanzbar mit Soul und Pop. Dass Jazz aber auch durchaus weiblich ist und eben nicht nur das Handwerk rauchender Männer, zeigen die vier Musikerinnen von Brassappeal mit zwei Saxofonen, einer Tuba und einem Mini-Drumset. Ihr Repertoire reicht von Louis Armstrong bis zu den Andrew Sisters. Neu ist die Jazzlounge im Theaterschiff, in der ein DJ in die Plattenkiste greift und die Raum für Austausch über das Konzerterleben bieten soll.

Ob es in den nächsten Jahren mit der Veranstaltung weitergehe, sei derzeit noch offen, so Dengl. „Wir schauen jetzt einfach mal, wie es wird. Nach den zwei Malen lässt sich besser sagen, was daraus werden kann.“ Sprich: Ob es im nächsten Jahr sogar an einem ganzen Wochenende Jazz in der Schiffbauergasse geben wird oder in diesem Format gar nicht mehr, entscheidet sich an diesem Samstag.

Dittler und Dengl machen beide kein Geheimnis daraus, dass weder Künstler dieses Genres noch sie als Veranstalter viel Geld mit der Jazzoffensive verdienen, doch darum gehe es auch gar nicht. Ins Leben gerufen habe man den Abend aus der Erfahrung mit zwei, drei Jazz-Konzerten in der Schiffbauergasse, „die besser hätten besucht werden können“, wie Dittler sagt. „Diese Musikrichtung darf ruhig mehr an Bedeutung gewinnen.“ Besonders die deutsche Szene weise nämlich eine sehr hohe musikalische Qualität auf und sei auch sehr jung und aktiv. Und deswegen gehöre Jazz – auch als Teil des Pop, wie es die Veranstaltung abbilden will – unbedingt in dem Format „Jazzoffensive“ nach Potsdam. Deren Bewohner hätten nicht nur den Anspruch einer guten Infrastruktur in der Stadt, sondern auch Hunger nach Kultur, so Dengl.

Der Konzertabend mit Festivalcharakter eigne sich prima, um die Herbstsaison in der Schiffbauergasse zu eröffnen, meint Dittler. Obwohl Jazz natürlich nicht ausschließlich Herbstmusik sei. Und richtig, denn ein Blick zurück ins Klischee zeigt: Jazz ist ja kein Blues, den nur Melancholiker verstehen.



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