„Die Schauburg hat mir „Das Versprechen" angeboten. Ich habe das Werk gelesen und habe es erst einmal als ziemlich gut geschrieben empfunden. Gerade diese Kommissars-Figur Matthäi wird gut ausgeschrieben und genau das hat mich als Qualität eines Textes interessiert. „Das Versprechen" wird hoch und runter gespielt, da habe ich mich doch schon gefragt, warum soll ich das auch machen? Ein Krimi von 1958, warum muss man den immer und immer wieder spielen? Dann kann man auch am Sonntag den „Tatort" gucken. Für mich war der Zugang oder die Idee entscheidend. Der Kommissar ist sehr gut ausgeschrieben, die Opfer-Perspektive ist sehr gesellschaftsnah und gut vertreten, was es aber nicht gibt, ist die Innenschau des Täters. Der Pädophile an und für sich hat keine Lobby, die gibt es einfach nicht und ist sehr stigmatisiert, es gibt keinen Rahmen, in dem jemand sagen kann: „Ich bin pädophil, aber ich kann damit umgehen." Auf der Bühne kann man Leute über die Emotion erreichen: Sie haben die Möglichkeit, dasselbe zu fühlen wie der Täter und Verständnis für etwas aufbauen zu können. Wir haben aber versucht, uns nicht nur auf den Pädophilen zu konzentrieren, sondern viel eher wollten wir eine Figur schaffen, die über das Anderssein funktioniert."
"Ich denke mir immer wieder, dass man Kinder und Jugendliche total unterschätzt. Wenn ich mir überlege, was die im Internet, Fernsehen und Kino alles schon alleine sehen. Ganz wichtig ist natürlich: Wir spielen immer mit einer Puppe. Es ist ganz klar ein Objekt, ein hässliches Ding aus Filz und Leder genäht, fast verwest. Es ist nie ein kleines Mädchen. Es geht immer um die Performanz, über die Bilder, die man aus der eigenen Fantasie heraus selbst hineinprojiziert. Was wir zeigen, ist nie gewalttätig. Man darf aber nicht unterschätzen, was Kinder und Jugendliche heutzutage schon alles kennen und sehen. Das ist wahrscheinlich in der Direktheit und Explizitheit, was das Fernsehen mit sich bringt, viel krasser ist, als das, was wir zeigen. Die Schauburg rahmt das allerdings auch sehr gut: Es gibt Vor- und Nachbesprechungen und ausgebildete Leute, die in den Vorstellungen sitzen und schauen, ob jemand traumatisierend wirkt und das dann auch begleiten. Es geht eben darum, dass man einen öffentlichen Rahmen schafft, das ist die Stärke des Theaters: Das Zusammenerleben im Zuschauerraum und genau das dann aufzufangen ist wichtig."
"Das ist eigentlich eine Frage, die mich überhaupt nicht interessiert. Dieses ich lese Dürrenmatt und schaue mir dann an, wie jemand diesen Satz sagt, das interessiert mich nicht, diese endlose Projizierung. Natürlich gibt es den Ausgangspunkt, was Dürrenmatt geschrieben hat. Wie kriegen wir diesen Dürrenmattschen Gestus hin, den er fast immer hat, dass am Schluss seiner Geschichten alles noch einmal eine komplett andere Wendung bekommt? Wie können wir das erzählen ohne genau diesen Schluss erzählen zu müssen, der wahnsinnig untheatralisch ist? Die Frage ist doch: Was ist die Erwartung an das Theater? Wenn man mit der Erwartung reingeht, dass man die Geschichte erzählt bekommt, wie man sie kennt, dann wird es schwierig. Von diesem Theater möchte ich mich immer weiter lösen und hoffe, dass das Publikum das auch tut. Man sollte doch ins Theater gehen, um etwas Eigens, etwas Neues erzählt zu bekommen. Ich hoffe immer auf ein Publikum, das neugierig ist. Grundsätzlich muss man für das Theater, das ich mache.
"Genau das habe ich explizit vermeiden wollen. Ich finde diese These, man geht ins Kindertheater und da muss einem immer etwas beigebracht werden, ganz furchtbar. Der eigentliche Charakter dieser Aufführung ist ein ganz anderer. Wir sind an so vielen Stellen so unpolitisch und machen so komische Sachen. Wir zeigen jemanden, der einen Orgasmus spielt und jemanden, der ständig flucht und Ausdrücke wie „ficken" sagt, es geht ja auch um den "Kinderficker". Wir reden von „mal kurz unter die Burka gucken". Das ist doch alles andere als didaktisch."
"Wir haben nicht an Figuren gearbeitet. Unser Stück wird nicht streng über Figuren aufgelöst. Es ging viel mehr um ein Interesse an einem Thema, um Emotionen, Situationen und Atmosphären zu erzählen. Dafür treten fünf Schauspieler an, die ihren Körper und ihr Sein für die nächsten zwei Stunden an dem Abend zur Verfügung stellen, um die Geschichte zu erzählen. Aus dieser Grundsetzung heraus können sie auch immer aus ihrer Sicht erzählen. Sie spielen nie nur ihre Figur, ihr eigenes Ich spielt immer eine zentrale Rolle. Es geht mehr um die Frage, was macht eine Gesellschaft mit so einem Grenzgänger, dem Pädophilen, der zwangsweise aus der Gesellschaft ausgestoßen ist. Denn er kann nie um Hilfe bitten, das geht in unserer Gesellschaft nicht. Für Pädophile gibt es einen Nullraum. Wie die Gesellschaft mit so jemandem umgeht, dafür reichen fünf Schauspieler mit ihrer Fantasie."
"Mitleid ist das falsche Wort. Mitleid stellt sich immer wahnsinnig über einen, es geht immer von oben nach unten. Dafür wollen wir Nähe und eine Sympathiemöglichkeit schaffen. Denn die klassische Berichterstattung lässt das nicht zu. Der Pädophile ist da immer die blutrünstige und mordende Bestie und das stimmt so nun mal nicht."
Das Theaterstück "Das Versprechen" unter der Regie von Florian Fischer wird noch am 14., 17. und 18.März 2015 in der Münchner Schauburg aufgeführt.
Andrea Hornsteiner