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Kommt jetzt der "weiche" Brexit?

Es war ein einfaches und auf den ersten Blick risikoarmes Unterfangen, als Premierministerin Theresa May im April Neuwahlen ausrief. Während der eigene Parteiapparat schon auf Wahlkampf eingestellt war, erwischte es die unter Jeremy Corbyn ohnehin desolate Opposition kalt. Anderthalb Wochen nach Corbyns Überraschungserfolg ist May eine Premierministerin auf Abruf. Die Chancen für einen weichen Brexit sind gestiegen.

Offiziell forderte May von ihren Landsleuten ein klares Mandat für die Austrittsgespräche mit der EU. Tatsächlich ging es der Premierministerin jedoch darum, ihre Macht auszubauen, um sich angesichts der knappen Mehrheit von 17 Sitzen nicht von der Zustimmung der wenigen echten pro-Europäern ihrer Partei abhängig zu machen.

Zudem sollte es der finale Feldzug gegen Labour werden. Mit einem klaren Sieg sollte die Partei des kauzigen Vorsitzenden Jeremy Corbyn für Jahre in die Opposition verbannt werden. May lag in Umfragen rund 20 Prozentpunkte vor ihrem Herausforderer, den sie überdies am Rednerpult im Parlament einige Male hat alt aussehen lassen. Was konnte da schon schief gehen?

May führte eine zweiteilige Wahlkampfstrategie: mittels der scharfen Brexit-Rhetorik sollte der United Kingdom Independence Party das Wasser abgegraben werden. Bereits bei den Kommunalwahlen im Mai hatten die Konservativen vom Niedergang der UKIP profitiert, der monothematischen Partei fehlt seit der Abstimmung über den Brexit die Daseinsberechtigung. Somit hatte die Premierministerin eine klare Botschaft: Nur eine starke konservative Regierungschefin wäre in der Lage, das Land aus der EU zu führen.

Der zweite Teil der Strategie zog darauf ab, der Labour Party möglichst viele Wahlkreise direkt abzunehmen. Und zwar im Norden Englands, wo viele der pro-europäischen Labour Abgeordneten ihren Sitz haben, jedoch eine klare Mehrheit der Bevölkerung im vergangenen Jahr für den Brexit gestimmt hatte. Die Rechnung der Wahlstrategen war denkbar einfach: es wurde sich auf jene Wahlkreise fokussiert, in denen der Labour Amtsinhaber bei den letzten Wahlen weniger Stimmen auf sich vereinen konnte, als die Kandidaten der Tories und UKIP gemeinsam.

May bricht mit Thatcher

Die konservativen Medien, allen voran Daily Mail und The Sun sekundierten artig. Sie zeigten ihren Lesern in jedem Wahlkreis den zu wählenden Kandidaten auf, um den Tories eine möglichst breite Mehrheit im Parlament zu sichern.

Um den Wählern der Arbeiterpartei den Wechsel zu vereinfachen, brach May sogar mit Margaret Thatcher, der Ikone der Konservativen. So fanden sich im Wahlprogramm Aussagen, die den marktwirtschaftlichen britischen Konservativen in der Vergangenheit nicht über die Lippen gingen: so fand beispielsweise die Forderung in das Programm, den ungehinderten, freien Märkten den Kampf anzusagen. Zudem wurde die positive Bedeutung des Staates hervorgehoben und Abscheu über die gewachsene soziale Kluft sowie Ungerechtigkeit und Ungleichheit zum Ausdruck gebracht. Alles Themen, bei denen sich bei einer Mehrheit der Parteimitglieder und Traditionswähler die Fußnägel rollen. May hatte, basierend auf den Ideen des mittlerweile entlassenen Stabschefs Nick Timothy, die Passagen eigenhändig ins Programm aufnehmen lassen.

Nachdem David Cameron in seinen jungen Jahren den Konservativen einen grünen Anstrich verpasst hatte, folgte durch Theresa May jetzt der Rote.

UKIP-Wähler litten stark unter Konservativen

Die Strategie war von Anfang an riskant, da viele der traditionellen UKIP Wähler zu dem abgehängten Teil der Gesellschaft gehörte, der in der Vergangenheit stark unter der Sparpolitik der Konservativen gelitten hatte. Sein Kreuz bei den Tories zu machen, bisher undenkbar. Blieb die Frage, ob es das starke Mandat für die Regierungschefin Wert sei, gegen seine wirtschaftlichen Interessen zu stimmen.

Zum Beginn des Wahlkampfes hatte May Erfolg mit ihrer Kampagne. Und zwar so lange, bis es Jeremy Corbyn gelang, Zweifel zu streuen. Der hatte den Plan durchschaut und setzte genau dort an, wo es für viele ehemalige UKIP-Wähler weh tat. Er prangerte, ähnlich wie Armin Laschet bei seiner erfolgreichen Wahl in Nordrhein Westfalen, die offensichtlich vorhandenen Probleme und Schwächen im Land an, vornehmlich in der Bildungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik. Dies verfing augenscheinlich bei den Wählern. Zum Brexit, dem offiziell vorgeschobenen Grund für die Neuwahl, hielt er sich vornehm zurück. Seine generell befürwortende Haltung ist in Großbritannien bekannt. Im Gegensatz zur Premierministerin beharrt er jedoch nicht auf den harten Brexit, so wie May ihn fordert und der den Menschen zunehmend Sorgen bereitet.

Jeremy Corbyn ist der große Wahlgewinner

Am Wahlabend zeigte sich, was in den letzten Wochen des Wahlkampfes immer deutlicher wurde: Theresa May sollte zur großen Verliererin des Abends werden.

Labour legte in diesem Jahr um 9,6 auf 40 Prozent zu, trotz, oder gerade wegen Jeremy Corbyn, der in weiten Teilen des politischen Establishments verhasst ist. Das ist der größte Zugewinn, den Labour seit 1945 bei einer Unterhauswahl verbuchen konnte. In absoluten Zahlen ausgedrückt holte die Arbeiterpartei ein Plus von 3,5 Millionen Stimmen gegenüber 2015. Dabei legte die Partei insbesondere dort zu, wo es den Tories weh tat.

Dank eines guten Managements und der Konzentration auf die hart umkämpften Stimmbezirke, schaffte Labour Siege in Wahlkreisen, die bisher stets als uneinnehmbare Bastionen der Konservativen galten. Mit einem Zuwachs von elf Prozentpunkten holte Labour beispielsweise den Londoner Wahlkreis Kensington. Gleichzeitig verlor der konservative Amtsinhaber zehn Prozentpunkte. So wird der 1974 gegründete Wahlkreis erstmals von einem Abgeordneten der Labour Party repräsentiert.

Einen noch herberen Schlag gab es im Wahlkreis Canterbury, der seit 1918 immer einen Vertreter der Konservativen ins Unterhaus entsandt hatte. Mit einem Zuwachs von 20,5 Prozentpunkten gewann auch hier der Kandidat der Arbeiterpartei. In beiden Wahlkreisen hatte UKIP keinen Kandidaten aufgestellt, vermeintlich um den Tories das Mandat zu sichern.

UKIP der große Verlierer

UKIP, bei der letzten Parlamentswahl 2015 mit 3,8 Millionen Stimmen noch auf Platz drei gelegen, verlor 13 Prozent. Die von Nigel Farage gegründete Partei kam nur noch auf 600.000 Stimmen oder zwei Prozent. Doch es zeigte sich, dass die ehemaligen UKIP-Wähler nicht automatisch zu den Konservativen überlaufen. Analysen nach der Wahl belegten, dass rund ein Drittel für andere Parteien gestimmt hat.

Zwar profitierten die Konservativen von den ehemaligen UKIP-Wählern, aber nicht in dem geplanten Ausmaß. Besonders problematisch: sie legten insbesondere dort zu, wo sie bereits stark waren: im Wahlkreis Worthing wurde der Vorsprung beispielsweise von 51 auf 55 Prozent, im benachbarten Wahlkreis Chichester gar von 57 auf 60 Prozent ausgebaut. Das mag den einzelnen Abgeordneten freuen, bringt aber keine neuen Mandate im großen Stil. Nach Auszählung aller Stimmen hatten die Konservativen Labour zwar fünf Mandate abgejagt, im gleichen Atemzug gingen jedoch gleich 28 Sitze an die Arbeiterpartei verloren.

Schottland bildete die Ausnahme zu dem landesweiten Trend. In der einstigen Herzkammer der Arbeiterpartei legten die Tories satte 13,7 Prozent zu und belegen jetzt hinter den Schottischen Nationalisten den zweiten Platz. Dies hat mit Theresa May jedoch reichlich wenig zu tun, sondern liegt insbesondere an dem Standing von Ruth Davidson, der Vorsitzenden der schottischen Konservativen. Zudem war es ein eindeutiges Signal an die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon, keine weitere Abstimmung über Schottlands Unabhängigkeit anzusetzen.

Ausblick für May nicht rosig

May wurde dafür abgestraft, dass sie in öffentlichen Äußerungen ganz auf den harten Brexit gesetzt hatte. Dieser macht nicht nur den 48 Prozent der Briten Angst, die im vergangenen Juli gegen den Austritt aus der EU votiert hatten. Auch eine wachsende Zahl von Brexit-Befürwortern hat zunehmend Unbehagen gegenüber diesem kompromisslosen Kurs der Regierungschefin.

Die Wähler haben den Tories den im Wahlprogramm angedeuteten programmatischen Linksschwenk nicht abgenommen. Es bleibt abzuwarten, wie die Delegierten auf dem Parteitag im Herbst damit umgehen. Ebenfalls ist noch längst nicht ausgemacht, dass sich May bis dahin halten wird. Die Tories sind nicht gerade für nachsichtigen Umgang mit Wahlverlierern aus den eigenen Reihen bekannt.

Auch ist völlig abwegig, dass der Wahlausgang einen harten Brexit weiter manifestiert hat, wie einige Kommentatoren trotzig glaubhaft machen wollen. Zwar ist der neue Partner, die konservative Democratic Unionist Party aus Nordirland, generell für den Brexit. Auf Grund der besonderen geographischen Lage mit der zukünftigen EU-Außengrenze zu Irland werden jedoch deutlich moderatere Töne angeschlagen.

Zudem sprechen erste Entscheidungen im Kabinett eine andere Sprache. So berief May mit Damian Green einen entschiedenen Brexit-Gegner zu ihrem Vizepremierminister. Ein geschickter Schachzug, da Green als Vizepräsident der Tory Reform Group nicht nur die Pro-Europäer, sondern auch den linken Parteiflügel abdeckt, der in den vergangenen Jahren stark an Einfluss verloren hat.

Zwar werden die Europaskeptiker in der Fraktion den Druck auf May erhöhen, damit sie den ersehnten harten Brexit liefert. Gleichzeit kann May es sich wegen der knappen Mehrheit aber auch nicht leisten, die verbliebenen entschiedenen Pro-Europäer in der Fraktion zu vergrätzen. Ausgleich und Kompromisse sind bei dem aktuellen Patt im britischen Parlament das Gebot der Stunde.

May hat mit der verlorenen Wahl alle Trümpfe für die Verhandlungen mit der EU aus der Hand gegeben, die Chancen für eine einvernehmliche Trennung sind damit gestiegen.

Lesen Sie weitere Meinungen aus dieser Debatte von: Wolf Achim Wiegand, Hans-Olaf Henkel, Theresa Mary May.

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