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Interview

Moderator Tarik Tesfu im NOIZZ-Interview über Tratsch, Genderklischees und Billy Porter

Im Interview spricht NOIZZ mit Moderator Tarik Tesfu über überholte Geschlechternormen, Tokenism in der deutschen Medienbranche und seinen Podcast "Tratsch & Tacheles – mit Tesfai und Tesfu".

Ernste Themen mit Humor verpacken, das ist die Meisterkategorie von Moderator Tarik Tesfu. Egal, ob auf seinem Youtube-Kanal "Tariks Genderkrise", in der NDR-Talkshow "deep und deutlich" oder seinem Late-Night-Format "Trallaffiti Show" – Rassismus, Sexismus, Queerphobie und Co. werden von Tarik mit einer spitzen Pointe schneller enttarnt, als AfD-Politiker*innen "Gendergaga" sagen können.

Gerade hat Tarik gemeinsam mit Moderator*innen-Kollegin Hadnet Tesfai ein neues Projekt gestartet, den Podcast "Tratsch & Tacheles". Worum es da geht, erzählt uns der Moderator im NOIZZ-Interview.

Tarik erzählt uns außerdem, wie ihn seine Unzufriedenheit mit dem "Gender Studies"-Studium auf die Idee für "Tariks Genderkrise" brachte und warum es nicht reicht, dass mittlerweile mehr Schwarze Menschen und PoCs als Moderator*innen im deutschen Fernsehen zu sehen sind.

Tarik Tesfu im NOIZZ-Interview

NOIZZ: Worum geht es im Podcast "Tratsch & Tacheles – mit Tesfai und Tesfu"? 

Tarik Tesfu: Wir schauen uns an, was gerade so Tratsch-mäßig in Deutschland los ist. Wir beginnen immer mit der Boulevardpresse, mit der "InTouch", der "OK" oder beiden und schauen, was da gerade der Hot-Gossip ist. Dann sprechen wir darüber, was das mit uns zu tun hat und ob gerade mal wieder problematisch berichtet wird. Dann gehen wir weiter auf das Große und Ganze: Worüber wird gerade im Netz diskutiert, was geht gerade politisch ab und was hat das mit Gossip zu tun? Dann plaudern wir darüber und haben Spaß. Es ist ein witziger Podcast, trotz der ernsten Themen beziehungsweise trotz der Herangehensweise von uns – weil wir da mit einer feministischen Brille draufschauen.  

Klatsch und Gesellschaftspolitik – wie geht das zusammen und wie seid ihr auf die Idee gekommen? 

Tarik Tesfu: Studio Bummens ist an uns herangetreten und hat uns das Format vorgeschlagen. Wenn Hadnet und ich durch die Welt schauen, tun wir es immer durch eine politische Brille. Im Grunde gibt es ja nichts, was nicht politisch ist. Wenn "InTouch" und Co. mal wieder die tausendste Diät für Menschen, die sich als weiblich definieren, heraushauen; oder Menschen, die als Frauen gelesen werden, permanent zu dick sind – das ist Bodyshaming at its best. Darüber muss man reden.

Es geht um Sexismus, Rassismus und um fehlende Repräsentation. Also: Über wen wird überhaupt getratscht, über wen wird nicht getratscht? Oft geht das Hand in Hand mit Diskriminierungsformen wie eben Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit, Dickenfeindlichkeit und, und, und. 

Ich habe als Jugendliche solche Zeitungen gelesen und erst später, mit zunehmendem Wissen und Erfahrung realisiert, wie sexistisch die Inhalte darin oft sind. War das bei dir auch so eine Entwicklung?  

Tarik Tesfu: Das Ding ist ja: Wir werden alle erzogen, rassistisch, sexistisch, queerfeindlich und so weiter zu sein. Somit auch ich. Bis heute ist es deshalb noch ein Prozess. Bei "InTouch" und Co. ist es sehr oft in die Fresse daneben, aber wenn man sich andere öffentliche Debatten einmal so anschaut, dann kommt es oft auch so durchs Hintertürchen. Da müssen wir uns alle besser schulen. Auch ich. 

An der Uni hatte ich öfter das Gefühl, dass der Diskurs um Sexismus und Co. ziemlich elitär ist – und nicht nur da. Du hast unter anderem Gender Studies studiert. Heute ist dein Ansatz, ernste Themen humorvoll zu verpacken. Was ist dein Gedanke dahinter? Hast du das Gefühl, dass man so besser bei Menschen ankommt? 

Tarik Tesfu: Primär bin ich halt einfach krass lustig. Das wurde mir von der Schöpferin Whitney Houston einfach so mitgegeben, da kann ich gar nichts dagegen tun. Und zweitens: Ein Grund, warum ich 2015 mit der Genderkrise damals angefangen habe, war auch, dass mir die Diskurse in der Uni oft einfach viel zu weit weg waren. Wissenschaft ist super wichtig, aber wenn am Ende die Menschen, über die gesprochen wird, eigentlich kein Wort verstehen und selbst die, die es studieren, sehr viele Probleme damit haben hinterherzukommen, ist das für mich auch eine Form von Ausschluss; eine Form von Machtreproduktion, die mir gar nicht taugt. 

Mir war es 2015, als ich angefangen habe, wichtig zu zeigen: Hey Leute, feministische Themen sind Alltagsthemen. Alles, was wir tun, hat eine politische Komponente. Mir hilft aber auch Humor, um mit eigenen Erfahrungen mit Rassismus oder Queerfeindlichkeit umzugehen. Es ist auch eine Überlebensstrategie, um mit dem ganzen Scheiß in der Welt umzugehen. 

In deiner Insta-Bio steht: Deutsche Billy Porter. Erzähl mal: Was steckt dahinter und was fasziniert dich so an Billy Porter? 

Tarik Tesfu: Ich verstehe die Frage nicht so richtig, denn: Hallo?! Es ist ja wohl sehr offensichtlich, dass Billy Porter und ich fast dieselbe Person sind. Billy Porter zeigt in der Serie "Pose" oder auch auf seinem Insta-Channel, wo er krass mir Rollenklischees spielt, einfach, dass er ein krasses Gespür für Mode hat und dabei so frei ist, so auf Normen scheißt. Ich bewundere Billy Porter auf so vielen Ebenen. Ich finde, ich bin jetzt auch nicht so schlecht in meinem Fashion-Game.

Sind wir mal ehrlich: Wenn sich jemand anderes deutsche Billy Porter nennen würde, würde ich mir denken: Ok, lol. Chill mal, übertreib mal deine Rolle nicht. Aber wenn ich mich so anschaue, denke ich mir so: Doch das passt schon. Ich bin auch krass inspiriert worden durch Billy Porter traue mich mittlerweile mehr. Ich wäre gerne Billy Porter, bin aber leider nur deutsche Billy Porter. 

Ich höre heraus: Mode ist für dich auch etwas Politisches? 

Tarik Tesfu: Auf jeden Fall. Wenn wir mal schauen, wie unfrei wir in unserem Mode-Game immer noch sind. Es gibt eine Boyfriend-Buchse, aber der Rock für Männer ist bis heute nicht etabliert. Obwohl es auch vor Jahrhunderten schon eine Zeit gab, in der Männer Röcke getragen haben. Alle Menschen, egal was für ein Geschlecht sie haben, sollen einfach überall das machen können, worauf sie Bock haben, auch wenn es um Mode geht. 

Wir haben 2020, Leute. Es ist überhaupt kein Problem, wenn kleine Jungs sich die Nägel lackieren und es ist auch kein Problem, wenn Mädchen darauf keinen Bock haben. Und es ist erst recht kein Problem, wenn Menschen für sich sagen: Ich bin non-binär, das ganze Geschlechtergedöns brauch ich nicht, fühl ich nicht, bin ich nicht. Das ist aber noch nicht Standard, dass wir uns alle so frei entfalten können, wie wir Bock haben. 

Was glaubst du woher kommt das, wenn sich Leute so krass gegen diese Idee sträuben? Wovor haben diese Menschen Angst? 

Tarik Tesfu: Menschen wollen gefallen. Unsere Selbstwahrnehmung hängt ja auch stark davon ab, wie uns andere wahrnehmen. Wenn kleine Jungs oder kleine Mädchen permanent das Gefühl bekommen: Das, was du gerade tust, entspricht überhaupt nicht dem, was wir in puncto Geschlecht für dich vorgesehen haben, dann lassen Kinder das irgendwann sein. Weil sie Liebe und Aufmerksamkeit wollen, was sie ja auch verdient haben. Damit verbieten wir schon so früh Kindern, die dann Erwachsene werden, Dinge, auf die sie krass Bock haben. 

Ich bin zum Beispiel als Jugendlicher nicht ins Ballett gegangen, weil mir suggeriert wurde, dass Jungs das nicht machen. Dadurch stand ich dann irgendwann mal total plemplem auf dem Fußballfeld. Das war auch direkt mein letztes Spiel, weil dann der Trainer gesagt hat: Junge, du bist hier einfach falsch. Und ich so: Ja, das war mir auch schon vorher klar.  

Wirst du nicht irgendwann müde, andere über Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und Co. aufzuklären oder überhaupt darüber zu sprechen – gerade auch als jemand, der selbst betroffen ist? Diese Themen führen schließlich oft immer dieselben, anstrengenden Gespräche und Diskussionen mit sich. 

Tarik Tesfu: 2018 habe ich gefühlt zu allem meine Meinung gesagt. Mittlerweile habe ich da keinen Bock mehr drauf. Ich habe auch mein Insta-Game verändert. Wenn zum Beispiel Hadnet Tesfai oder Anna Dushime etwas zu Polizeigewalt, Rassismus oder Horst Seehofer – oder wie die Kanonen da alle heißen – sagen, dann reposte ich das einfach lieber. 

Ich bin Moderator und alles, was ich tue, ist politisch. Denn Schwarz zu sein und queer zu sein, ist schon ein politisches Statement in einer weißen heteronormativen Gesellschaft. Ich muss niemanden und ich will auch niemandem mehr erklären, dass es Rassismus gibt in einer Gesellschaft. Wer das nicht verstanden hat, bekommt meine Aufmerksamkeit nicht. Was ich auch nie wieder machen werde, ist öffentlich von meinen Rassismuserfahrungen sprechen. Wer diese Form noch braucht, ist bei mir halt raus. Ich bin so viel mehr als jemand, der Rassismus abbekommt. 

Du als Medienexperte, was würdest du dir wünschen, soll sich ändern in der deutschen Medienlandschaft?  

Tarik Tesfu: Ich würde mir wünschen, dass nicht alle auf Teufel kommt raus, nur auf der Moderator*innenseite arbeiten. Natürlich ist das meine Seite, ich könnte jetzt sagen: Ich sehe immer mehr Schwarze und PoCs Sachen moderieren – problem solved. Aber darum geht es gar nicht. Wenn alle anderen weiß sind, man permanent in fast ausschließlich weißen Strukturen arbeitet, desto größer die Jobs werden, und am Ende im schlimmsten Fall noch weiße Menschen für Schwarze Menschen und People of Color die Moderation schreiben und ich dann quasi aus deren Perspektive moderiere, dann ändert sich nichts. Die Worte sind dieselben, wie wenn es der Thomas machen würde. Es ist einfach nur meine Fresse oder die von einer anderen Person zu sehen, die halt nicht weiß ist. Das ist nicht Repräsentation. 

Repräsentation heißt, dass sich innerhalb der Strukturen die Machtverhältnisse ändern. Dass PoCs, Schwarze, Queers, Menschen mit Behinderung, ohne Behinderung, non-binäre Menschen – dass einfach alle Menschen, die in dieser Gesellschaft Teil der Realität sind, auch in den Medien hinter, vor der Kamera, auf Entscheider*innenebene vertreten sind.

Ich bin ein großer Fan vom Öffentlich-Rechtlichen, aber wenn man einmal schaut: Wer sitzt da auf Entscheider*innenebene? Da sitzen zum großen Teil weiße ältere Männer. Wenn die darüber entscheiden, welche Formate gemacht werden und welche nicht, ist es am Ende fast schon scheißegal, wer es moderiert. Weil da ändert sich nichts. Das ist Tokenism. Ich habe das Gefühl, dass wir 2020 – auch nach dem Mord an George Floyd – in puncto Tokenism wieder ganz, ganz weit vorne sind. 

Hier kannst du den Podcast "Tratsch & Tacheles" anhören.