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187 Strassenbande, OnlyFans und radikaler Feminismus: NOIZZ trifft Deutschlands meistgebuchtes Videogirl Alyssa Kachelo

Alyssa Kachelo ist Feministin, tanzt als Videogirl seit sieben Jahren in den Musikvideos der deutschen Hip-Hop-Szene und hat dieses Jahr on top eine Karriere auf OnlyFans gestartet. NOIZZ hat sie zu einem Shooting begleitet und sich im Interview mit der Berlinerin unter anderem darüber unterhalten, wieso wir alle ein verklärtes Bild von vermeintlichen Macho-Rappern haben – und über ihr verrücktesten Dreh-Erlebnis: Twerken mit blutendem Hintern dank Krokodil-Biss beim 187-Strassenbande-Dreh.


Hey Süße, schön dich kennenzulernen! Als ich in dem Fotostudio im Osten Berlins ankomme, wo ich Alyssa bei einem Shooting begleiten darf, werde ich von der 27-Jährigen direkt superherzlich mit zwei Wangenküsschen begrüßt. Ich schaue mich etwas überrascht um, denn das Studio könnte easy auch eine verdammt dekadente Wohnung sein – von King-Size-Bett über weißen Kamin samt weißen Kerzenständern bis hin zu freistehender Badewanne gibt es hier nämlich alles. Von außen ist nichts davon zu erahnen: Bis zu der großen Metalltür des Studios sieht man außer grauer Lagerhalle nichts. Nur der leichte Farbgeruch verrät die Kunstschaffenden, die sich in dem umfunktionierten Gebäude mit Studios und Ateliers eingerichtet haben.


Alyssa dreht sich wieder zu dem großen Spiegel hinter ihr, richtet ihr Make-up und zupft ihr erstes Outt zurecht – ein schwarzer Netz- Stringbody mit Bling-Details und gefährlich hohen Plattform-Heels. Der Fotograf, dem das Studio gehört, baut derweil sein Equipment auf. Man unterhält sich über das Business, Erfahrungen mit Rappern und den kreativen Plan für die nächsten Stunden. Ich habe den Eindruck, die beiden kennen sich schon länger – tatsächlich sehen auch sie sich heute zum ersten Mal persönlich.


Nach kurzer Diskussion über die auf dem Bett ausgebreitete Outtauswahl fällt die Entscheidung letztendlich auf "die anständigeren Sachen zuerst". Alyssa tauscht den Netzbody gegen ein rotes Kleid mit transparentem Beinstoff und posiert für das erste Bild auf einem schicken, weißen Chestereld-Sofa. Nach gut einer Stunde darf auch der Netzbody zum Einsatz kommen, im letzten Teil des Shootings trägt Alyssa keine Kleidung mehr. Sie steht, liegt und sitzt in der luxuriösen Dusche des Fotostudios. Wie schon zuvor sitzt jeder Move, jede Pose. Nach nur drei Stunden sind alle Bilder im Kasten. Alyssa ist ein Voll-Profi.


Eigentlich ist Alyssa Videogirl – das erfolgreichste in Deutschland


Keine Überraschung, denn vor der Kamera stehen, ist Alyssa gewohnt. Normalerweise läuft dann aber ein fetter Beat im Hintergrund, neben ihr spittet ein Typ mit Macho-Attitüde irgendwas über Hurensöhne, Nutten, Geld und Koks, und statt Posen sind Twerken, Tanzen und Poledance angesagt.


So zumindest das Klischee. Denn eigentlich ist Alyssa Videogirl – mit über hundert Videos sogar das meistgebuchte in Deutschland. In ihren bisher knapp sieben erfolgreichen Jahren im Business stand die gebürtige Berlinern aber nicht nur neben Klischee-Rüpel-Rappern wie Gzuz, Bonez und Co., sondern neben so ziemlich allen namhaften Gesichtern im Game von "korrekten Typen", wie zum Beispiel Massiv von Alyssa beschrieben wird, bis hin zu den erfolgreichsten Frauen des Genres – Kitty Kat, Schwesta Ewa, SXTN, Juju, you name it.

Als Pro in der Branche organisiert Alyssa mittlerweile auch selbst Drehs, vermittelt Kameraleute und Videogirls. Dass ich mich mit der 27-Jährigen an diesem Tag in einer zum Fotostudio umgebauten Lagerhalle am Rand von Berlin treffe und nicht zum Videodreh in irgendeiner fetten Villa oder auf einem Parkplatz voller Luxuskarren, hat vor allem mit Corona zu tun. Hygieneauagen und Abstandsregelungen haben nämlich wie so viele andere Branchen auch die Musikvideo-Produktion lahmgelegt.

 

Um der Ebbe im Geldbeutel zu entgehen, hat die gebürtige Berlinerin deshalb zur Überbrückung einen Account auf OnlyFans, dem Instagram für Erwachsene, gestartet. Für den soll an diesem Tag neues Material entstehen.


Unsicherheit? Aufregung? Fehlanzeige


Wir zwei Frauen sind neben dem Fotografen beim Shooting sogar in der Überzahl. Bei einem Musikvideodreh, wo Rapper schon auch einmal mit mehrköpger Crew auf Alkohol und Drogen auftauchen, wie Alyssa mir erzählt, hätte das wohl sehr wahrscheinlich anders ausgesehen. 


In letzterer Situation hätte ich wohl länger gebraucht, um mich wohlzufühlen, beim Shooting brauche ich nur wenige Minuten. Alyssa ist super lieb, und ihre selbstbewusste Ausstrahlung färbt ab – kein einziges Mal kann ich bei ihr Aufregung oder Unsicherheit spüren. Selbst als sie beim letzten Motiv des Tages für die Kamera nackt post.


Die krass-selbstbewusste Präsenz von Alyssa war es auch, die mich die gebürtige Berlinerin unbedingt hat treffen lassen wollen. Mit 20 Jahren ist Alyssa ins Videogirl-Business eingestiegen, vorher hat sie zwei Ausbildungen abgeschlossen: als Sozialassistentin für Menschen mit geistiger Behinderung und Senioren sowie mehrere Lizenzen zur Personaltrainerin. Als Videogirl, Tänzerin und Tattoomodel ist die 27-Jährige aber so erfolgreich, dass sie seitdem nicht mehr in diesem Berufen gearbeitet hat. In über hundert Musikvideos hat Alyssa bereits mitgewirkt. Dafür geht sie viermal pro Woche ins Fitnessstudio – eigentlich dreimal, aber ihr wöchentliches Kampfsporttraining fällt wegen Corona gerade aus.

 

Alyssa ist bekennende Feministin

 

Auf ihren Accounts auf Instagram und YouTube spricht die 27-Jährige regelmäßig über feministische Themen, nimmt kein Blatt vor den Mund und erzählt selbst von den schmerzhaftesten Erfahrungen in ihrem Privatleben offen und real.

 

Das erste Interview mit Alyssa, das ich sehe, macht mich zum Fan: Die Frau erscheint mir wie die personizierte Denition einer Badass- Woman. Ich will mehr wissen über die Berlinerin, ihren Berufsalltag und ihre Ansichten: Welche Erfahrungen hat sie gemacht als Videogirl in der Welt des deutschen Hip-Hop? Wie sexistisch ist die Rapszene hinter den Kulissen wirklich? Was sagt sie zu Hatern, die meinen OnlyFans, leicht bekleidetes Twerken in Rap-Videos und Feminismus passen nicht zusammen? Und wie schafft man es, sich so verdammt selbstbewusst und unapologetic durch eine so toxische Männerwelt zu tragen – und dabei auch noch so korrekt zu bleiben?

 

Im NOIZZ-Talk erzählt uns Alyssa nicht nur, wie sie zu dem Videogirl- Job gekommen ist, was sie seitdem erfahren hat und was sie jetzt bei OnlyFans macht. Sie erzählt uns auch von Rüpel- und Vorbild-Rappern; von solchen, die neben ihr ins Zittern kommen, und solchen, die zugekokst zum Dreh erscheinen. Wir sprechen über Sexismus in der Szene, Feminismus und Selbstbewusstsein – und wieso ihr Psychologie im Job hilft.

 

Deutschlands meistgebuchtest Videogirl Alyssa Kachelo im NOIZZ-Talk

 

NOIZZ: Wie bist du zu dem Videogirl-Job gekommen?

 

Alyssa Kachelo: Ich habe Musikvideos schon immer geliebt. Ich wollte diesen Beruf immer ausüben, wusste aber gar nicht, dass es diese Nische gibt. Der Rapper, der mich zuerst gebucht hat, heißt Marvin Game. Danach ging es richtig los: Unter anderem Juju und Frauenarzt haben mich für Musikvideos gebucht und – weil sie gemerkt haben, dass ich einen guten Job mache – mich danach als Tänzerin mit auf Tour genommen. Dann hat sich das so verselbstständigt.

Grund, weshalb ich diesen Job mache. (lacht) Die Akrobatik an der Stange habe ich mir sechs Monate lang von Deutschlands bester Poletänzerin beibringen lassen. Jetzt kann ich Rappern eine Kombination aus Tanzen, Twerken, Akrobatik und lasziven Bewegungen an der Stange anbieten. Twerken habe ich mir selbst beigebracht. Ich will auch bald als Tanzlehrerin arbeiten.

 

Erzähl mal: Wie läuft das bei einem Musikvideodreh normalerweise so ab?

 

Alyssa: Bevor ich überhaupt zum Dreh komme, habe ich ein Telefonat mit dem Rapper. Damit ich genau weiß, wie der drauf ist und ob der Dreh gut vorbereitet ist. Da lege ich auch alle Grundlagen fest: Wie lange der Dreh geht, wie freizügig das Ganze sein soll, ob ich tanze, twerke oder Akrobatik an der Stange mache. Wenn ich diese Infos habe, sage ich ihm einen Preis. Dann beginnt das Verhandeln. Es gibt sehr entspannte Videodrehs, bei denen es nur darum geht, dass du gut aussiehst und neben dem Rapper post. Es gibt aber auch super anstrengende Drehs, bei denen du nur an der Stange bist und sechs, sieben Stunden lang Akrobatik machst. Das ist sehr unterschiedlich. Meisten ist es sehr anstrengend, auch weil viele Drehs nicht gut organisiert sind.

 

Im Video sehen die Leute: Der Rapper ist selbstbewusst, dominant und es iegt Geld durch die Bude ... Ich hatte unzählige Rapper, die angefangen haben zu zittern neben mir und ihren Text vergessen haben.

 

Wie kann man sich die Stimmung am Set vorstellen?

 

Alyssa: Ich habe überwiegend positive Erfahrungen gemacht – und mittlerweile bin ich locker bei 100 Videodrehs. Meistens ist die Stimmung gut. Es kommt immer auf die Leute an, ob da Missgunst und Neid in der Luft liegt. Das spürt man an der Aura. Natürlich war auch schon drei, vier Mal irgendetwas: Jemand hat sich daneben benommen, das Mädchen ist zu spät gekommen oder der Kameramann hat sich zugekokst und konnte am nächsten Tag nicht drehen. Das gab es auch schon. (lacht) Aber an sich, gerade wenn ich die Drehs organisiere, ist die Stimmung gut.

 

In vielen Rap-Videos protzen die Typen mit Karren und Girls und machen den Dicken. Läuft das am Set wirklich genauso?

 

Alyssa: Es ist eine Illusion. Seien wir mal ganz ehrlich: Die Nummer ist nur so erfolgreich, weil jeder Mann gerne dieser Typ Mann wäre. Jeder würde gerne reich sein und 10.000 Frauen zu Füßen liegen haben und ach so dominant sein. Es würde sich gar nicht so durchsetzen, wenn nicht ganz tief im Inneren jeder Mann das Bedürfnis hätte, diese Rolle einmal auszuprobieren.

 

Das heißt, dieses Bild, was wir am Ende im Video sehen, hat mit der Realität am Set gar nichts zu tun?

 

Alyssa: Ich werde dafür gebucht, dass der Typ so tun kann als ob. Egal, welche Rolle ich spiele, ob ich seine Freundin bin, eine Affäre oder ihn begehre. Ich werfe ihm dann entsprechende Blicke zu, fasse ihm über den Kopf – das mache ich natürlich nach dem Dreh nicht mehr (lacht). Es ist einfach ein Job.

 

Im Video sehen die Leute: Der Rapper ist selbstbewusst, dominant und es iegt Geld durch die Bude ... Ich hatte unzählige Rapper, die angefangen haben zu zittern neben mir und ihren Text vergessen haben. Ich sage dann: Hey, beruhige dich, ich bin auch nur ein Mensch.

 

Die Menschen haben ein total verdrehtes Bild: Ich komme da nicht ans Set an und bin die arme kleine Maus. Sieben Jahre Erfahrung machen etwas mit dir. Meistens gehe ich da rein und dominiere das Ganze. Wenn der Kameramann keine Idee hat, sage ich: Wie wäre es damit? Ich habe ja schon genug gesehen und erfahren.

 

Über hundert Videos hast du schon gemacht. Gibt es jemanden, mit dem du am liebsten zusammenarbeitest?

 

Alyssa: Besonders korrekt und anständig war Massiv. Seine Arbeitsmoral war sehr cool, er hat es nicht nötig gehabt, sich zu prolieren. Er hat sich wie ein Mann benommen. War nett zu den ganzen Leuten. Das fand ich sympathisch, dass man in der Position auch noch Mensch sein kann.

 

Über den Krokodil-Biss beim Dreh mit Gzuz, Bonez und der 187er-Crew

 

Was ist das Krasseste, was dir jemals bei einem Dreh passiert ist?

 

Alyssa: Mit manchen Rappern lasse ich meine Mädchen alleine. Das sind Rapper, die ich persönlich kenne, von denen ich weiß, dass sie anständig sind. Aber in diesem Business sind viele Schwarze Schafe unterwegs. Mein Platz eins der dreistesten Sachen - ein Dreh für 187 Strassenbande:

 

Ich kam da an. 30 Jungs inklusive der ganzen Crew. Alle schön auf Drogen. Koks. Alkohol. Ich kam da mittenrein und dachte mir nur so: Okay, wenn du das hier alles gut über die Bühne bringst und die Typen dich nicht dumm anfassen, dann bist du abgehärtet.

 

Ich habe meinen Job ganz gut gemacht. Bonez hat neben mir getanzt. Der ist ja fast zwei Meter groß. Er hatte ein kleines Krokodil in der Hand, was auch schon total panisch war und mir wirklich leidtat. Bonez hat das Tier so nah an meinen Hintern gehalten während ich getanzt habe, dass es direkt reingebissen hat. Auf dem Video sieht man ganz genau, wie ich differenziere: Das Tier hat keine Schuld. Statt draufzuhauen, schiebe ich es nur so weg.

 

Danach bin ich direkt zu Gzuz gegangen und meinte zu ihm, dass ich für die Nummer – ich habe ja auch mit blutendem Po weitergedreht – mehr Geld haben möchte. Dann meinte er zu mir: Das konnten wir ja nicht wissen, dass so etwas passiert. Ich meinte dann: Wenn wir es nicht so machen, dann bring mir bitte deinen Manager. Er meinte: Ich will nicht, dass du jetzt auch sauer auf mich bist. Ich wieder: Noch bin ich nicht sauer. Dann kam der Manager, und mit dem konnte ich normal reden. Ich musste aber ganz schön viel Druck machen.

 

Wenn ich einen Dreh organisiere, passiert so etwas nicht. Aber wenn die Leute Unsicherheit spüren, dann wird das meistens ausgenutzt. Ich habe da so einen Beschützerinstinkt. Nur weil es mir am Anfang schwer gemacht wurde von anderen Frauen, würde ich das niemals genauso machen. Könnte ich gar nicht.


Über OnlyFans und die Sonnen- und Schattenseiten der Jobs


Wie kamst du dann jetzt zu OnlyFans?


Alyssa: In den letzten Monaten ist das Geld knapp geworden – nur wegen der Pandemie finanziere ich aktuell nämlich auch meine Mutter. Ich dachte mir: Du kannst es ja probieren. Es bringt ja nichts, darauf zu warten, dass wieder mehr Drehs kommen. Außerdem war ich schon nackt in Musikvideos – von Frauen allerdings – und nackt im Fernsehen bei "Naked Attraction". Ich habe mit Nacktheit kein Problem und nde daran nichts Verweriches. Ich liebe schöne Frauenkörper.


Welche Art von Content findet man bei dir auf OnlyFans?

 

Alyssa: Bei Instagram werde ich oft gemeldet, deshalb lade ich die freizügigeren Bilder auf OnlyFans. Oder ich mache professionelle Nacktbilder, so wie bei dem Shoot, bei dem du dabei warst. Ich lade Videos da rein, tanze zum Beispiel nackt, räkele mich an der Stange ... Im Prinzip das, was ich sowieso schon mache, nur freizügiger. Viele machen auch Pornos und Masturbationsvideos, aber das ist eine Schiene, in der ich mich nicht wohlfühle. Ich verurteile das aber nicht. Jeder wie er mag.

 

Wie sieht so ein typischer Arbeitstag bei dir aus?

 

Alyssa: Ein Videodreh geht meist den ganzen Tag. Ich stehe auf, gehe einkaufen, kümmere mich um die Wohnung und gehe dann zum Dreh. Nachts nach dem Dreh gehe ich noch zum Sport. Dann bin ich tot. (lacht) Halb tot organisiere ich vielleicht noch irgendwelche Videodrehs.

 

Wenn ich merke, ich habe da so einen kleinen Lulli, der von gar nichts eine Ahnung hat – heutzutage will ja jeder Rapper werden –, dann sage ich ihm: Mach deinen Scheiß alleine.

 

Was gefällt dir an OnlyFans – vielleicht auch im Vergleich zum Videogirl-Job?

 

Alyssa: Es ist leider nicht immer so, dass man ein Gespräch über die Gage hat und es dann tatsächlich auch zum Videodreh kommt. Du musst dir vorstellen: Manchmal hast du stundenlange Gespräche und Verhandlungen und dann sagt der Typ: Wallah, morgen passt doch nicht. Das passiert mir bei OnlyFans nicht. Da bin ich abonniert, und die Kohle ist drauf. Das ist natürlich ein Stressfaktor weniger. Aber auch als Videogirl nehme ich nicht jeden Job an. Wenn ich merke, ich habe da so einen kleinen Lulli, der von gar nichts eine Ahnung hat – heutzutage will ja jeder Rapper werden –, dann sage ich ihm: Mach deinen Scheiß alleine. Ich mache das schließlich seit sechs, sieben Jahren professionell.

 

Sind deine OnlyFans-Follower überwiegende Leute, die dich über die Rap-Videos gefunden haben?

 

Alyssa: Ich benutze das Wort ungern, aber das sind meine Fans. Bevor ich mir das Konto eingerichtet habe, wurde ich ständig von meinen Followern gefragt: Wann machst du dir OnlyFans? Bitte, mach dir OnlyFans!

 

 

Was liebst du an deinem Job und was hasst du – sowohl OnlyFans als auch als Videogirl?

 

Alyssa: Ich fange mit den positiven Aspekten an: Erst einmal liebe ich Hip-Hop. Mit zwölf Jahren habe ich schon Hip-Hop gehört. Ich bin nicht bisexuell oder so, aber mein ganzes Zimmer war voller nackter, schöner Frauen. Ich liebe es, ein Teil von Musikvideos zu sein. Wenn die Musik geil ist, die ganze Atmosphäre und du bist mittendrin und bekommst Geld dafür. Das ist eine Leidenschaft, für die du bezahlt wirst. Ich lerne kreative Leute kennen – es sind nicht immer nur Idioten unterwegs, ich kann tanzen – und ich liebe tanzen. Ich mag meinen Körper und ich sehe mich gerne in den Videos. Ich nde daran auch gar nichts Verweriches. Die Leute sagen immer, man soll sich selbst lieben. Wenn man es dann tut, ist es doch zu viel. (lacht)

 

Was ich nicht so gut nde: Dass die Rapper Millionen auf dem Konto haben, und ich muss um Hundert Euro mehr diskutieren. Was ich auch nicht schön nde, ist, dass die Frauen nicht zusammenhalten. Die Frauen spielen sich gegenseitig aus, machen andere Frauen schlecht, schlafen mit den Rappern, warnen andere Frauen nicht, wenn sie wissen, dass ein Rapper sie nicht gut behandeln wird und lassen sie ins offene Messer laufen. Das sind alles Sachen, die mir nicht gefallen, die ich auch nicht praktiziere.

 

Über Sexismus im Rap und Feminismus

 

Du bist ja auch Feministin.

 

Alyssa: Total, ja.

 

Es gibt sicher viele Leute, die nicht verstehen, wie man im 187er- Musikvideo twerken, OnlyFans machen und gleichzeitig Feministin sein kann.

 

Alyssa: Genau, die verbinden Feminismus damit, dass ich bedeckt bin und mich nicht zeige. Für mich basiert die Denition von Feminismus auf dem freien Willen der Frau. Das heißt: Möchte sie Pornodarstellerin werden, weil sie Sex liebt, weil sie Bock hat, vor der Kamera zu sein, weil sie es liebt – dann soll sie es machen. Ist sie streng religiös und liebt und lebt diese Religion und möchte deshalb eine Burka tragen, dann soll sie es machen. Möchte sie jeden Tag freizügig herumlaufen und mit High Heels durch die Gegend rennen, soll sie es machen. Der freie Wille der Frau – niemand darf ihr da hineinreden. So deniere ich das. Was der Rest der Gesellschaft darüber denkt, ist mir scheißegal. Ich muss ja mit mir im Reinen sein.

 

Ich bin da voll bei dir – eines kann man aber ja nicht von der Hand weisen: Rap ist eines der sexistischen Genres überhaupt, und die Darstellung von Frauen darin oft alles andere als unproblematisch.

 

Alyssa: Das verstehe ich, aber überleg mal: Wäre ich eine Rapperin. In meinem Video wären auch überall halbnackte Männer und Frauen. Weil ich es schön nde. Ich nde es einfach ästhetisch. Ich würde auch über Hurensöhne und Schlampen singen. Weil es einfach solche Menschen gibt. Das heißt nicht, dass ich im Real-Life frauenfeindlich bin und Männer hasse. Rap ist in die Fresse. Du sagst es direkt. Wenn du anfängst, das im echten Leben zu praktizieren, dann bist du ein Arschloch. Aber wenn du von deiner Vergangenheit erzählst, von Sachen die du erlebt hast – da würdest du von mir auch den krassesten Gangster-Rap hören.

 

Ich würde auch rappen: Die scheiß Nutten haben mich ausgenutzt und so weiter. Ich bin trotzdem Feministin. Die Leute sollen mal ein bisschen ihr Hirn anstrengen. Es ist Kunst. Du kannst nicht immer politisch korrekt sein. Ein Künstler, der nicht provoziert, ist unsichtbar. Warum schaut ihr den Scheiß denn an, klickt doch weg. Für mich ist das lächerlich. Mein Ego ist so groß, du kannst nichts sagen, das mich irgendwie trifft. Du kannst dein Kommentar gerne schreiben, ich lösche das und lache mir einen ab. Bei Instagram haben alle eine große Fresse. Glaub mir, so direkt kommt keiner zu mir. Ich bin kein Opfer, nicht jemand, bei dem man machen kann, was man will.

 

Über Selbstbewusstsein, Psychologie und Mental Health

 

Dein Selbstbewusstsein ist mir auch direkt aufgefallen. Du kamst so krass rüber, ich war richtig begeistert, wie du dich so in dieser Macho- dominierten Welt bewegst. Warst du schon immer so selbstbewusst?

 

Alyssa: Selbstbewusstsein ist ein Prozess. Bei mir ist es so: Meine Art immer selbstbewusster zu werden oder zu bleiben, ist: Ich stelle mich immer Dingen, vor denen ich Angst habe. Auch wenn es unangenehm ist. Dadurch wachse ich. Es gibt keine Abkürzungen.

 

Du hältst nächstes Jahr auch ein Seminar für Frauen in Magdeburg. Was genau wird da passieren?

 

Alyssa: Ich wurde von einem Dozenten angeschrieben. Er meinte, er habe ein Interview von mir gesehen und fand meine Art sehr inspirierend. Er würde sich freuen, wenn ich ein Seminar leiten würde für Frauen, die gerne auch in diesem Business arbeiten wollen. Ich werde erklären, wie man ein Verkaufsgespräch führt, wie man Selbstbewusstsein aufbaut, wie man sein Urvertrauen wiederherstellt. Ich werde mich da volltätowiert mit Anzug hinstellen und eine Stunde loslegen. Darauf freue ich mich übertrieben. Das ist das Schöne, wenn so etwas entsteht aus meinem Job, den viele Leuten ja für recht oberächlich halten.

 

Du interessierst dich auch für Psychologie. Wie kommt das?

 

Alyssa: Ich lese sehr viel über Körpersprache. Ich weiß, wie Männer ticken. Ich weiß ganz genau, welcher Typ im Raum nicht ganz so koscher ist. Es gibt bestimmte Verhaltensmuster. Wenn du die beobachtest, weißt du, was der nächste Schritt ist. Psychologie hilft, sich und die Menschen um einen herum besser zu verstehen. Wissen ist Macht. Gutes Aussehen, aber blöd sein? Da wirst du in diesem Business gefressen.

Gutes Aussehen, aber blöd sein? Da wirst du in diesem Business gefressen.

Auf Instagram veröffentlichst du deine Lyrik und sprichst ganz offen über Themen wie Mental Health, Depression und ...

 

Alyssa: ... Vergewaltigung. Ja, gesellschaftskritische Themen. Sachen, über die wir nicht gerne reden.

 

Für jemanden, der in der Öffentlichkeit steht, ist es schon krass, sich so zu öffnen und verwundbar zu machen. Wieso ist dir das trotzdem wichtig, über solche Sachen zu sprechen?

 

Alyssa: Ich bin kein Mainstream-Inuencer. Mir scheint nicht jeden Tag die Sonne aus dem Arsch. Wir haben alle unsere Dämonen, mit denen wir kämpfen müssen. Ich will meinen Followern nicht das Gefühl geben: Schau, wie geil mein Leben ist und wie scheiße du bist. Ich zeige viel mehr Charakter, wenn ich mit meinen Schwächen genauso offen umgehe wie mit meinen Stärken. Ich bin nicht fake.

 

Ich bekomme unglaublich viele Nachrichten von Leuten, die sagen: Danke, dass du so offen damit umgehst, das gibt mir Kraft. Oder Mädchen, die vergewaltigt wurden, die sagen: Dein Text hat mich durch den Prozess gebracht. Und das ist doch mega schön. Das inspiriert mich dann auch, wenn ich solche Mails bekomme.