Wenn der Arbeitskollege oder die Schwester krude Theorien verbreitet: Christopher Vogel vom Mobilen Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus Hessen (MBT) berät Menschen, die sich Sorgen um Verschwörungsgläubige machen. Im Interview erzählt er, wie man am besten das Gespräch sucht.
Herr Vogel, warum suchen Menschen, deren Verwandte und Freunde an Verschwörungserzählungen glauben, nach Hilfe?
Leidensdruck entsteht, wenn das Verhältnis massiv gestört ist, wenn das Thema Corona sich in den Vordergrund geschoben hat. An uns wenden sich Menschen, die einen sehr hohen Leidensdruck haben. Wenn zum Beispiel die Mutter irgendwo Fake News gelesen hat, würde man nicht beim Mobilen Beratungsteam anrufen. Die kommen nicht weiter, weil sie auf einer Sachebene miteinander streiten und sich gegenseitig die Quellen nicht abnehmen.
Kann man Verschwörungsgläubige überhaupt überzeugen?
Das kommt darauf an, wie tief die Leute drin sind. Sind sie noch ansprechbar für Quellen-Kritik? Dann kann man sich gemeinsam die Quellen ansehen. Meistens ist das nicht mehr möglich. Dann bringt es nichts, über Inhalte zu reden. Ein Gespräch ist viel schwächer, als das, was die Leute sich im Internet zum Teil über Stunden reinfahren.
Über Ängste sprechen und Unterstützung anbietenWenn Gespräche auf der Sachebene nicht mehr möglich sind, worauf sollte man dann den Fokus legen?
Man sollte den Fokus darauf legen, wie es einem geht. Man sollte über Ängste sprechen, was einen so frustriert, wie die letzten zwei Jahre waren. Darüber kann man sich unterhalten. Und man kann Unterstützung anbieten. Ich glaube, bei ganz vielen Leuten steht da gar nicht im Vordergrund, dass Bill Gates uns alle chippen will. Sondern es steht im Vordergrund: Ich habe Angst, mir entgleitet die Kontrolle über mein Leben. Und darüber kann man doch reden.
Häufig werden in Gesprächen wieder Sachthemen, Verschwörungserzählungen, vorgeschoben. Wie kann ich dabei die Kontrolle über das Gespräch bewahren?
Das schildern ganz viele, dass es so aus den Leuten herausgesprudelt kommt. Da kann man drauf hinweisen und das spiegeln: 'Ich würde mich gern mit dir unterhalten, aber ich glaube, du hörst mir gar nicht zu'. Man kann auch versuchen, Gesprächsregeln zu vereinbaren. Ich kenne Leute, die sich darauf verständigt haben, nur einen Nachmittag pro Woche über das Thema zu reden.
Finanzielle Probleme können zu Zweifeln führenWoran erkenne ich, dass jemand an der Ideologie, die er sich aufgebaut hat, zweifelt?
Das muss man individuell sehen. Ein Aspekt kann das Finanzielle sein. Es wurde mal eine Sammelklage angekündigt, für die man 800 Euro geben sollte. Da können dann Zweifel kommen. Aber die Leute können nicht einfach sagen: „Ja ok, ich habe jetzt zwei Jahre Mist geredet, das war eine komische Zeit, ich bin jetzt wieder clean." So läuft das nicht. Daher: Widersteht dem Drang, euch lustig zu machen. Lieber die Hand ausstrecken, sagen, ich bin da, und sobald man Zweifel sieht, die unterstützen.
(Alina Andraczek)