Alte Bücher haben es mir angetan. Auf einem Flohmarkt habe ich vor Jahren ein Buch aus dem Jahr 1893 gekauft. Zugegeben: Lesen wollte ich es nicht. Mir gefielen vor allem der schöne Einband und der in Gold eingeprägte und verschnörkelte Titel ("Der Religionsunterricht"). Es würde sich im Regal bei den anderen älteren Bänden sicher gut machen, ein Deko-Buch für Schreibtischabende bei gedimmtem Licht. Irgendwann habe ich es dann doch einmal aufgeschlagen und mich festgelesen. In dem kleinen Band sind Religionsstunden für Grundschüler Schritt für Schritt vorgezeichnet. Die Themen sind anspruchsvoll - gleich mehrere Stunden widmen sich der Trinität. Die Herangehensweise aus dem 19. Jahrhundert erinnert mich an Sokrates, der durch gezielte Nachfragen den Schülern das Gefühl gab, am Ende selbst auf die Lösung gestoßen zu sein. Gerade bei einem so schwierigen Sachverhalt wie der Dreifaltigkeit ein respektabler Versuch. Die Klarheit, mit der die Glaubensinhalte in nur wenigen Sätzen eines Dialogs vermittelt wurden, fesselte mich.
In letzter Zeit muss ich immer wieder an das Büchlein denken, wenn ich mit Freunden spreche, die in pastoralen Berufen tätig oder der Kirche sehr verbunden sind. Irgendwann kommt das Gespräch immer an diesem Punkt an: Schuld an verschiedensten Problemen des Gemeindelebens ist ein religiöser Analphabetismus. Wer weiß noch, was im Gottesdienst wann und warum gemacht wird? Was die Sakramente bedeuten? Wo die Unterschiede der Konfessionen liegen? Wer kann kurz und bündig erklären, was er im Glaubensbekenntnis aufzählt? Es ist das Basiswissen, das fehlt. Dass sich Erklär-Videos in den sozialen Netzwerken rasend schnell verbreiten, verstärkt diesen Eindruck. Dabei kommt das alles in den Lehrplänen der Schulen und bei den Vorbereitungen für Erstkommunion und Firmung natürlich vor. Doch offenkundig setzt irgendwann ein Vergessen ein. Ich kenne das auch, vom Chemieunterricht. Woran sich die meisten aber doch erinnern, das sind die kritischen Anfragen - oft vermischt mit Halbwissen aus irgendwelchen Dokumentationen oder Verschwörungsromanen. Die erreichen auch mich, wenn ich erzähle, was ich studiert habe. Hatte Jesus nicht Frau und Kinder?
Bisher habe ich oft gelächelt und das Thema gewechselt. Weil ich dachte, das bringe jetzt nichts - aber auch, weil ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Ich hatte lange keine Übung darin, in kurzen Sätzen meinen Glauben zu erklären. Zu bekennen. Im Gemeindeleben wird das nicht verlangt. Der vermeintliche Konsens schwingt immer schon mit. Heute glaube ich, dass über den eigenen Glauben nicht deshalb nicht gesprochen wird, weil er Privatsache ist, sondern weil man ihn gar nicht mehr artikulieren kann.
Und weil es da eine Angst gibt, sich zu blamieren oder wie ein Fundamentalist zu wirken. Doch es braucht die kurzen Bekenntnissätze mit Vokabeln unserer Zeit - die Kirche sollte jede Gelegenheit dazu nutzen. Selbstverständlich ist das christliche Basiswissen nicht.