Mit welchen Problemen haben Sie bei Ihrer Beratung für Wanderarbeiter am häufigsten zu tun?
Zu uns kommen viele Menschen, die auf dem Bau, in der Gebäudereinigung oder in der Pflege beschäftigt sind und in extremer Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern leben. Häufig werden sie um ihre Löhne geprellt und leben in überfüllten Unterkünften, für die sie viel zu hohe Mieten zahlen. Sie leben hier wie moderne Sklaven.
Oft lassen die Arbeitgeber ihre Arbeiter als Scheinselbstständige anmelden. Sie umgehen damit nicht nur Sozialabgaben und Mindestlohn, sondern können auch ihr Unternehmensrisiko nach unten abgeben. Denn am Ende haftet der scheinbar selbstständige Arbeitnehmer mit seinem eigenen Vermögen. Zudem arbeiten etwa auf dem Bau faktisch sehr viele Leiharbeiter, die in Ländern wie Rumänien oder Bulgarien angeworben werden, obwohl das verboten ist. Die Vermittlung läuft oft über Briefkastenfirmen in diesen Ländern, die oft gar keine Bauaufträge ausführen und praktisch nur als Rekrutierungsbüros deutscher Unternehmen fungieren. Oft werden die Menschen schon bei der Anwerbung getäuscht, was die spätere Bezahlung angeht.
Die meisten sprechen kein Deutsch, und weil ihre Arbeitgeber und deren Subunternehmer oft ihre einzigen Ansprechpartner hier sind, trauen sich die meisten nicht, von sich aus gegen die Ausbeutung zu kämpfen, in die übrigens die meisten großen Baufirmen und auch öffentliche Auftraggeber verstrickt sind.
Es ist nicht gelungen, das Reichtumsgefälle innerhalb der EU nach oben hin auszugleichen. Meiner Erfahrung nach kommen die wenigsten, um hier lediglich von den Sozialsystemen zu profitieren; die meisten werden angeworben. Wenn diese Menschen in Deutschland Zusatzleistungen in Anspruch nehmen, dann weil sie eben von ihrer Arbeit hier nicht leben können. Das wäre anders, wenn man ihnen hier faire Arbeitsbedingungen und Rechtssicherheit bieten würde.
Klare Sozialstandards sind wichtig, und dann müssen diese auch noch sehr gut kontrolliert werden, damit die Verantwortlichen gerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden können. Da passiert noch zu wenig. In die ganz falsche Richtung gehen meiner Ansicht nach aktuelle Pläne auf EU-Ebene, nach denen die Generalunternehmerhaftung gelockert werden soll. Das macht es den Auftraggebern noch leichter, die Verantwortung auf Subunternehmer abzuschieben - und den Arbeitern nur noch schwerer, eine faire Behandlung einzuklagen.
Es ist sehr wichtig, dass die Behörden miteinander und mit Beratungsstellen wie unserer gut zusammenarbeiten und hart durchgreifen, wenn etwa Fälle von Ausbeutung oder Mietwucher bekanntwerden. Überlegungen der Kommunen, die missbräuchliche Gewerbeanmeldung durch Arbeitsvermittler mittels eigener Informationsarbeit zu unterbinden, begrüße ich sehr. Ich sehe jedoch ein Problem darin, wenn innerhalb der EU mit zweierlei Maß gemessen wird. Obwohl auch die Wanderarbeiter EU-Bürger sind, werden ihnen in der Realität grundlegende Rechte verwehrt. Die Ausbeutung wird den Unternehmern extrem leicht gemacht.
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