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Kein Kleben im Autoland Luxemburg?


Gruppen wie die „Letzte Generation" gibt es in Luxemburg noch nicht. Aktivisten bezweifeln, ob derartige Mobilisierungen wirklich zu etwas führen.

Von Alexandre Kintzinger

Die Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation" sorgen in Deutschland, Österreich und Frankreich seit einigen Monaten für Wirbel. Aktionen wie das Blockieren von Straßen stießen bei vielen Menschen auf Unverständnis. In Luxemburg fand diese Form des Protestes noch keine Nachahmungen. Dabei ist das Großherzogtum der Staat in der EU mit den meisten Autos pro Einwohner. Wie sind die Aktionen der „Letzten Generation" zu bewerten? Antworten darauf geben Menschen aus der Klimabewegung und der Politik.

Neben Farbattacken auf Gemälde in Museen ist die „Letzte Generation"vor allem für das Stören des Verkehrs von viel befahrenen Straßen bekannt. Ähnliche Gruppen gibt es im Großherzogtum noch nicht. Dabei hat Luxemburg sehr viele Autos, fast 700 pro 1.000 Einwohner und tut sich schwer im Umgang mit dem Tanktourismus. Der Regierung ist bewusst, dass das Festhalten daran der Klimaneutralität im Wege steht, auf der anderen Seite stellt der Tanktourismus eine erhebliche Einnahmequelle für das Land dar. Klimaaktivisten könnten unter anderem daher mit Aktionen, die den Straßenverkehr stören, die Bevölkerung für dieses Problem stärker sensibilisieren.

Für Greenpeace liegt die Radikalität bei denen, die nichts tun

Aufmerksamkeit für Klimaschutz erreichte vor mehr als 20 Jahren die Luxemburger Sektion von Greenpeace mit einer landesweiten Protestaktion. Am 25. Oktober 2002 besetzten 600 Umweltaktivisten im Großherzogtum 28 Esso-Tankstellen des ExxonMobil-Konzerns. Zu den heutigen Aktionsformen der „Letzten Generation" sagt Florence Menage: „Greenpeace ist der Ansicht, dass die Zunahme von Aktionen aller Art dazu beitragen können, das Bewusstsein für den Ernst der Lage zu schärfen."

Menage ist bei Greenpeace verantwortlich für die Mobilisierung von Protestaktionen. Greenpeace Luxemburg beschränkt sich auf Aktionen, die nicht darauf abzielen, die breite Öffentlichkeit zu stören. Es gehe mehr darum, Räume für Debatten zu schaffen, mit Aktionen wie dem Abschalten von Leuchttafeln oder wilden Plakatierungen.

Für die Methoden der „Letzten Generation" zeigt Menage Verständnis, denn „diese Aktionen zeugen von einer tiefen Wut und dem Willen, nicht aufzugeben, und zwar von oft sehr jungen Aktivisten". Sie sagt, die eigentliche öffentliche Debatte sollte sich daher weniger mit den Aktionen selbst beschäftigen, sondern eher damit, ob die Radikalität nicht bei denen liegt, die angesichts alarmierender Fakten und Zahlen der IPCC-Berichte nichts unternehmen, um die Klimasituation zu ändern.

„Ich persönlich halte es nicht für ausgeschlossen, dass diese Art von Mobilisierungen von den Jugendlichen in Luxemburg aufgegriffen wird", sagt Menage, denn auch in Luxemburg gäbe es eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Jugendlichen, denen die Klimakrise viele Sorgen bereitet.

Youth for Climate sieht mehr Sinn darin, die Menschen aufzuklären

Eine weitere Gruppe innerhalb der Klimabewegung ist Youth for Climate Luxembourg (YFCL). Inspiriert von der Fridays-for-future-Bewegung, gingen 2019 rund 7.500 Jugendliche für den Klimaschutz demonstrieren. Doch die Anzahl der Streikenden ließ über die Jahre stark nach. „Wir sehen, dass viele Jugendliche mit den verschiedenen Krisen der Gegenwart überfordert sind und einige würden sich deswegen zurückziehen", meint der 16-jährige Schüler River*. Er ist Teil des Presseteams von YFCL.

River ist skeptisch, ob die Methoden der „Letzten Generation" ein Vorbild sein könnten: „Einerseits gerade deswegen, weil sie so krass waren, erzeugten sie damit viel Aufmerksamkeit, aber wir glauben nicht, dass, wenn man Menschen mit Aktionen dieser Art zu sehr nervt, sie uns auf Dauer noch zuhören werden."

Straßenblockaden stören nicht nur den Individualverkehr, sondern auch das öffentliche Busnetz, was YFCL eigentlich ungern tut, sagt der junge Aktivist. „Und die hohe Wirkung solcher Aktionen hält nicht ewig, was einen zwingt, noch krassere Aktionen zu starten."

River hat den Eindruck, als wären der Politik hierzulande die Proteste ziemlich egal. Viele Jugendliche denken daher, dass die Streiks nicht wirklich zu etwas führen. YFCL möchte sich deswegen mehr auf die Aufklärung junger Menschen fokussieren, sei es durch Präsenz in den sozialen Netzwerken oder durch Besuche in Schulen. An den globalen Klimastreiks will sich YFCL aber weiterhin beteiligen.

Paul Galles sieht die Proteste als Auftrag zum Handeln

Der CSV-Abgeordnete Paul Galles war im November 2022 bei der UN-Klimakonferenz COP27 dabei. Seine dritte Teilnahme mittlerweile. Er findet es hilfreich, dass die Jugendlichen zuerst mit dem Plakat ihre Sorgen ausdrückten und jetzt auch auf andere Weise. Diese Kritik sieht er als einen Auftrag für sich selbst, um als Politiker seinen Pflichten nachzukommen.

„Das sind zudem keine Floskeln, wenn gesagt wird, es ginge um das Überleben, denn wir erleben wahrhaftig eine Klimakatastrophe", sagt Galles. Er kann nachvollziehen, dass diese jungen Menschen nun aus Gründen der Verzweiflung zu radikaleren Mitteln greifen, da die Politik in ihren Augen den Ernst der Lage nicht verstanden hat. Er betrachte das Ganze konstruktiv-kritisch und sagt, „ich bin nicht auf der Seite derer, die sagen, das sind alles Terroristen".

Mit Aktionen gegen die Kunst kann er aber wenig anfangen, denn gerade die Kunst stehe oftmals für eine Evolution, wenn nicht sogar für eine Revolution.

Das sind zudem keine Floskeln, wenn gesagt wird, es ginge um das Überleben, denn wir erleben wahrhaftig eine Klimakatastrophe.

Paul Galles, CSV

Über seinen COP27-Aufenthalt sagt Galles, „die Mühlen der Politik mahlen sehr langsam, aber sie mahlen, auch wenn viele Länder Maßnahmen ausbremsen, herrscht trotzdem kein Stillstand". Bei der Klimapolitik der Regierung habe er den Eindruck, dass noch nicht alle Mittel ausgeschöpft wurden.

Galles sagt, dass Luxemburg noch keine echte Wasserstoffstrategie habe und sich auf wenige Lösungen konzentriere, anstatt offener für andere Technologien zu sein. Das Land könnte als Versuchslabor fungieren für ein Modell, das sowohl klimaneutral und sozialgerecht als auch ein attraktiver Wirtschaftsstandort sein könnte, aber da fehlt ihm von der Regierung noch die richtige Vision.

Jessie Thill kann die Hoffnungslosigkeit nachvollziehen

Auch die 25-jährige Abgeordnete der Grünen, Jessie Thill, war Teil der Luxemburger Delegation bei der COP27. Sie kann nachvollziehen, was in den Köpfen der Aktivisten vorgeht. „Wenn ich mit anderen jungen Menschen diskutiere, dann sagen viele, dass sie ernsthafte Zukunftsängste haben, da wir derzeit in einer Welt leben, die gegen die Wand gefahren wird", sagt Thill.

Sie nimmt wahr, dass in der Öffentlichkeit mehr darüber diskutiert wird, wie protestiert wird und weniger darüber, was überhaupt die Gründe dafür sind. Die Aktivisten sind extrem verzweifelt und greifen deswegen zu radikalen Mitteln. Über die Art und Weise dieser Mittel lasse sich natürlich diskutieren, so die Grünen-Deputierte. Sie sagt aber auch: „Die Ignoranz gegenüber der Klimakatastrophe ist radikaler als Jugendliche, die sich auf die Straße kleben."

Die Ignoranz gegenüber der Klimakatastrophe ist radikaler als Jugendliche, die sich auf die Straße kleben.

Jessie Thill, Déi Gréng

Nach ihr wäre eine klimapolitische Maßnahme mit großem Impakt hierzulande, wenn sich endgültig vom Tanktourismus verabschiedet werden würde. „Wegen der hohen Einnahmen für den Staat gibt es in der Politik aber immer noch welche, die sich das nicht trauen", sagt Thill. Dabei mache es wirtschaftlich keinen Sinn daran festzuhalten, „denn die Zeit des Verbrennungsmotors ist irgendwann vorbei".

Sonst meint sie, dass Luxemburg derzeit eine gute Klimapolitik mache, auch wenn es an einigen Ecken noch mehr sein könnte. Klar ist für sie, dass wir derzeit in einem Jahrzehnt leben, in dem wir unbedingt handeln müssen, wenn wir die Klimakrise in den Griff bekommen möchten.

(*) Will nicht mit vollem Namen genannt werden

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