Die Gender-Forscherin Mariam Tazi-Preve erklärt das Konzept Kleinfamilie für gescheitert: Eine Zumutung für Mütter, ein Versorgungssystem für Väter. Dabei sei das Dreieck Vater-Mutter-Kind keineswegs naturgegeben. In anderen Gesellschaften sieht Familie ganz anders aus. Was also tun, liebe Westeuropäerinnen? - Foto: Eine Selbstinszenierung der Künstlerin Birgit Jürgenssen. Ihre Arbeiten sind bis zum 17.2. in der Kunsthalle Tübingen zu sehen.
von Alexandra Eul
Sie ist die Tochter einer „EMMA-Leserin der ersten Stunde". Die war erst 17, als sie mit Mariam schwanger wurde. Der Vater, ein iranischer Austauschstudent, verließ bald darauf das Land. Die gebürtige Innsbruckerin ist konsequenterweise Geschlechterforscherin geworden und lehrt an der University of New Orleans. Aus dieser Distanz wagt sie, an einem hiesigen Heiligtum zu kratzen: der Kleinfamilie.
Ist die Kleinfamilie Ursprung allen Übels?
(lacht) Naja, vielleicht eher: vielen Übels. Die Familie ist einer der Grundpfeiler des Patriarchats, neben Politik, Wirtschaft und Religion. Hätten Frauen die Definitionsmacht gehabt, würden Familien heute ganz anders ausschauen. Hatten sie aber nicht.
Wie definieren Sie Kleinfamilie?
Eine allgemeine Vorstellung ist, dass das Dreieck aus Vater-Mutter-Kind naturgegeben sei. Die Begründungsszenarien für diese angebliche Natur des Menschen haben sich historisch gesehen immer wieder verändert. Anfangs ging es um das Vererben von Eigentum an die „legitime" männliche Nachkommenschaft. Dann kam die katholische Kirche mit dem Dogma der lebenslangen Ehe und der rigiden Sexualmoral. Und heute gründet sich die Ehe auf die angeblich dauerhafte Liebesbeziehung.
Erlebt die Kleinfamilie gerade eine Art Revival?
Ja, aber nicht zum ersten Mal. Ein ganz schlimmes Revival gab es nach dem Zweiten Weltkrieg. Quasi immer, wenn's stressig wird. Das geht seit Jahrzehnten so dahin. Nur in den 1970er-Jahren gab es einen großen Ausbruch. Durch die Frauenbewegung, die gesagt hat: Hausarbeit ist Arbeit, das Private ist politisch. Die Indoktrinierung ist heute wieder sehr stark - als ob die Erkenntnisse der Frauenbewegung vergessen wären. Das hat auch mit einer als extrem stressvoll erlebten Arbeitswelt zu tun, in der Menschen sich nach einem emotionalen Zufluchtsort sehnen. Der Kleinfamilie.
Sie sagen: Das ist illusorisch.
Natürlich. Denn da ist ja auch Stress! Emotionaler Stress. Stress mit dem Partner. Stress mit der Kindererziehung. Rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Das macht doch höchst unzufrieden. Aber um aus dieser Vorstellung auszubrechen, müssen wir erst einmal verstehen, dass es sich lediglich um ein Glaubenssystem handelt, nicht um Natur. Wir müssen also vom Glauben abfallen.
Weil zu viele Ansprüche an die Kleinfamilie gestellt werden?
Ja. Ob es sich dabei um heterosexuelle oder homosexuelle Beziehungen handelt, spielt übrigens keine Rolle. Es geht um das Konzept, dass zumeist eine Person - die Mutter - alles leisten muss. Zuwendung, Zuhören, Sexualität. Die Kernthese meines Buches ist, dass die Kleinfamilie zum Scheitern verurteilt ist, weil auf kleinstem Raum gleichzeitig die romantische Liebesbesziehung und das sichere Aufziehen von Kindern gewährleistet werden sollen. Das kann überhaupt nicht funktionieren. Aber alle tun so, als ob das Gegenteil der Fall wäre. Und wenn sie dann scheitern, dann denken sie, es wäre ihr persönliches Versagen. Dabei gibt es die lebenslange Liebe nur in Ausnahmefällen. Und zwei Personen, oder gar nur eine, sind zum Aufziehen von Kindern viel zu wenig. (...)
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