Die Tage des Kapitalismus sind gezählt- davon ist der englische Schriftsteller und Aktivist Paul Mason fest überzeugt. In seinem neuen Werk „Postkapitalismus - Grundrisse einer kommenden Ökonomie" skizziert Mason eine Gesellschaft, die sich auf den Trümmern des Neoliberalismus neu erfindet: getragen von Menschen, die die bereits von Marx verfluchte entfremdete Arbeit hinter sich lassen und die unendlichen Möglichkeiten in der digitalisierten und vernetzten Welt des 21. Jahrhunderts für sich zu nutzen lernen.
„Der Kapitalismus ist am Ende. Seine Überwindung wird ähnlich wie das Ende des Feudalismus vor 500 Jahren von einem neuen Menschen gestaltet werden", sagt er bei seiner Buchvorstellung in Berlin. Dass die finale Phase des Kapitalismus eingeläutet ist, macht Mason an den in immer kürzeren Abständen auftretenden Krisen aus, die mit immer heftigerer Wucht aus ökonomischen Krisen zunehmends auch soziale Krisen machen, dessen Wirkungen nicht so einfach wieder zu revidieren sind. Die verlorene Generation der jungen Menschen in Südeuropa und viele von Armut bedrohte Rentner in Griechenland könnten schon in wenigen Jahren vergessen sein, wenn jede Krise mit ihren reinigenden Effekten die Störfaktoren aus der Marktwirtschaft vertreiben und im Anschluss ein effizienteres System hervorbringen würde. Doch dies ist schon längst nicht mehr der Fall- dort, wo wirtschaftliche Einbrüche früher auf Ineffizienzen aufmerksam gemacht haben, sind viele der heutigen Krisen Produkte reiner Profitgier an den Finanzmärkten: erinnert sei an die Lehman- Brothers Krise, die durch abenteuerliche Kreditverbriefungen und dubiose Finanzprodukte die Aktienmärkte weltweit zum Erschüttern gebracht hat.
Wie kann ein Post-Kapitalismus aussehen?Seit langem wird bekanntlich darüber diskutiert, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert- unter dem Stichwort Industrie 4.0 wird vor allem von den linken Parteien die immer weiter voranschreitende Verdrängung des Menschen aus dem Produktionsprozess beklagt. Vollautomatisierte Maschinen übernehmen längst nicht mehr nur einfache Arbeiten, sondern hochkomplexe Produktionsschritte. Auch in der Wissenschaft ist es ein Phänomen, das seit längerem genauer untersucht wird- mit unterschiedlichen Ergebnissen. Gewerkschaftsnahe Studien betonen unermüdlich, „kein Arbeitsplatz ist vollständig ersetzbar" - andere fürchten den Abbau tausender Arbeitsplätze und das damit verbundene Abdriften vieler geringqualifizierter Menschen in die Arbeitslosigkeit. Wo genau die Entwicklungen rund um Industrie 4.0 hinführen ist noch nicht absehbar- doch in einem Punkt stimmen alle Beteiligten überein: Es steht ein gewaltiger Strukturwandel bevor.
Mason ist einer der wenigen Kapitalismuskritiker, die zwar das zerstörerische Potential des aktuellen Krisenkapitalismus beklagen, jedoch gleichzeitig versucht, die offensichtlichen Widersprüche des Systems für eine neue, bessere Gesellschaft zu nutzen. Der herkömmlichen Denkweise: „Wie können wir möglichst viele Arbeitsplätze erhalten?" laufen Masons radikale Visionen entgegen - ihm schwebt eine Gesellschaft vor, die Maschinen für sich arbeiten lässt und so die maximale Freiheit für den Einzelnen bedeutet. Dieselben innovativen Kräfte, die in unserer heutigen Zeit eine Gesellschaft mit maximaler Ungleichheit geschaffen haben, werden nach seiner Vorstellung zu einer einzigen sozialen Intelligenz gebündelt. Informationen sind im Postkapitalismus für alle und jeden zugänglich- durch genossenschaftlichen Besitz an Produktionsanlagen - ganz im Sinne des Gründers der Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle, der einst staatlich finanzierte Genossenschaften forderte - werden die ungerechten Macht - und Verteilungsverhältnisse durchbrochen.
An die Stelle von Innovationsdruck und freiem Wettbewerb, die als unerlässliche Heilsbringer in der heutigen Welt gelten, tritt die soziale Intelligenz: ausgerüstet mit den technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts können Informations - und Güterströme problemlos koordiniert werden. Seine Visionen erinnern an einen Sozialismus plus: Dort, wo die Planwirtschaft noch an ihren willkürlichen Planzielen scheiterte, besticht die Idee vom Postkapitalismus mit den Potentialen ihrer digitalen Errungenschaften. Realitäten, die mittlerweile schon zum Alltag geworden sind, wie die lückenlose Erfassung aller Klicks im Internet und die darauf basierende Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, die intimste Vorlieben und Konsumwünsche offenbart, werden fortan neu gedacht. Weshalb sollte die Gesellschaft im Postkapitalismus ihre Güter über den Markt und das Spiel von Angebot und Nachfrage steuern lassen, wenn ihr doch eine Technologie zur Verfügung steht, die richtig eingesetzt genau dasselbe leisten könnte, vermutlich sogar noch effizienter? Der Bedarf an Waren und Gütern könnte in einer vernetzten Welt wie der hiesigen in Echtzeit aufgezeichnet werden.
Doch wie kann der Übergang hin zu einem neuen System gelingen? Auch wenn der Krisenmodus in der neueren Zeit zum Dauerzustand geworden ist, wird in der breiten Öffentlichkeit keine ernstzunehmende Alternative zum Kapitalismus diskutiert. Für den Einzelnen ist es rational, mit dem Verkauf der eigenen Arbeitskraft den Lebensunterhalt zu sichern. Gleichzeitig wird so das bestehende System gestützt: Revolutionäre Ideen und Alternativen zum Kapitalismus erscheinen maximal romantisch, sind jedoch in einer Gesellschaft, in der Einkommen an Arbeit gekoppelt ist, auf Ewigkeit dazu verdammt, Utopie zu bleiben. Deshalb besteht Mason auf eine bedingungslose Grundsicherung, die eine Existenzrecht ohne den Zwang zur Arbeit gewährleisten und den nötigen Freiraum zur Ausbildung der sozialen Intelligenz bilden soll. Sharingkonzepte und der Ausbau von Open - Source Projekten vervollständigen das Bild der Gesellschaft im Postkapitalismus.
Im Angesicht der Enthüllungen aus den Panama Papers gewinnt die Vision des Postkapitalismus an neuer Brisanz: sie untermauert die Notwendigkeit einer neuen Grundsatzdebatte über Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit in der modernen Gesellschaft. Die Potentiale des Postkapitalismus stecken noch in den Startlöchern - könnten jedoch ähnlich wie vergangene technische Revolutionen der Beginn von etwas ganz Großem sein.