Die Share Economy ist eine Vision, die Potential hat, Großes zu bewegen. Ihr bedeutendster Vordenker, Harvard Ökonom Martin Weitzman, wurde in den Anfängen seiner Theorie als Ideologe und Utopist nur müde belächelt für seine eigentlich simple Botschaft: Der Wohlstand einer jeden Gesellschaft erhöht sich, je mehr unter den Marktteilnehmern getauscht wird. Die Grundidee besagt im Kern, dass die Teilnehmer einer Gesellschaft ihre Güter nur intelligenter nutzen müssten, damit am Ende ohne zusätzliche Anstrengung eine Wohlstandssteigerung für alle dabei herausspringt. Eine Vision, die simpel klingt, aber doch so viel verändern könnte: Einen Rückgang der Produktion, weil nicht mehr jeder alles besitzen muss. Eine Verringerung der Umweltbelastung, da nicht mehr so viele Ressourcen verbraucht werden. Kurz gesagt- eine Idee, die in der heutigen Zeit noch nach einer Vision klingt, jedoch in Anbetracht der realen Probleme, der sich die Weltgemeinschaft im 21.Jahrhundert ausgesetzt sieht, als ernstzunehmende Handlungsalternative diskutiert werden sollte.
Doch weshalb hat sich die Share Economy noch nicht durchgesetzt, wenn sie doch Wohlstand für alle verspricht?
Eine jede Utopie hat einen Kreis von Befürwortern und Widersachern in ihrem Anfangsstadium- insbesondere, wenn sie einen großen Wandel in der Gesellschaft verspricht. Für einen Großteil würde sie die Befreiung vom Überfluss, den freien Zugang zu vielen Gemeinschaftsgütern und ein neues Gefühl der Freiheit herbeiführen. Doch für viele Unternehmen, die auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet sind, würde sie existenzbedrohend wirken. Das aktuelle Wachstumsdogma ist nur mit einer Konsumgesellschaft aufrecht zu erhalten, die fleißig in ihrem Hamsterrad immer schneller von ihren Konsumwünschen angetrieben wird. Dabei ist es besonders wichtig, dass nicht nur die eigentlichen Grundbedürfnisse befriedigt werden, sondern Bedürfnisse, von denen wir vor einigen Jahren nicht einmal wussten, dass wir sie jemals haben würden. Sie werden erzeugt von der endlos großen Werbeindustrie, die nicht nur noch reine Produkte, sondern Emotionen und identitätsstiftende Statussymbole verkauft. Da kommt das Aufblühen einer Share Economy, die das Weiterbestehen dieser gigantischen Konsumblase infrage stellt, ganz und gar nicht gelegen. Menschen sollen nicht tauschen- sie sollen konsumieren.
Längst wird nicht mehr für den reinen Bedarf, sondern für das stetige Wirtschaftswachstum produziert. Schon vor knapp 100 Jahren hat Max Weber der modernen Gesellschaft einen Freiheitsverlust diagnostiziert und vor der „Entzauberung der Welt" gewarnt. In ihrem Rationalisierungswahn würden die Menschen verkennen, welche Möglichkeiten und Alternativen sich im Laufe der Zeit für sie eröffnet haben, ihr Zusammenleben intelligenter zu organisieren. Stattdessen würde immer weiter blind den Sachzwängen des verinnerlichten Wachstumsdogmas gefolgt und die Logik des stetigen Wachstums nicht einmal ansatzweise infrage gestellt.
Was Weber theoretisch beschrieben hat, hält der Sozialpsychologe Harald Welzer der modernen Welt mit einem plastischen Beispiel vor Augen: In mehr als 70% der deutschen Haushalte befindet sich eine Bohrmaschine, deren durchschnittliche Nutzungsdauer sich insgesamt auf ganze 13 Minuten beläuft. Den Rest der Zeit liegen die vielen Millionen Bohrmaschinen gut verpackt und eingestaubt im Werkzeugkasten, während sich in der gleichen Zeit viele Menschen eine neue Bohrmaschine kaufen, um sie anschließend wiederum ungenutzt verkümmern zu lassen. Weshalb sind wir im Zeitalter des Internets nicht imstande, die Nutzung der vorhandenen Güter untereinander zu organisieren, sodass diese nicht den Großteil der Zeit ungenutzt bleiben? Undenkbar, welche Mengen an Ressourcen und Geld eingespart werden könnten.
Doch die Unternehmen waren schneller. Sie haben Sharing- Angebote in ihr Portfolio mit aufgenommen. Viele Baumärkte vermieten Werkzeuge gegen eine Leihgebühr. In Großstädten wimmelt es von Car-to-go´s und über Airbnb werden leerstehende Apartments vermietet. Diese Angebote werden von den Betreibern als besonders umweltfreundlich, futuristisch und insgesamt als neues Lebensgefühl vermarktet. Sie nutzen die Potentiale der ursprünglichen Vision der Share Economy- jedoch profitiert im Ergebnis wiederum nur ein kleiner Kreis. Dass vermehrt geteilt wird, ist ohne Frage ein ökologischer Fortschritt. Jedoch sind die tatsächlichen Potentiale der Share Economy bei Weitem nicht ausgeschöpft.
Geplante Obszoleszenz- also die bewusst in Produkte eingebaute Kurzlebigkeit- ist mittlerweile ein bekanntes Phänomen. Niemand wundert sich noch ernsthaft darüber, wenn der Handy-Akku kurz nach Ablauf der Garantie seinen Geist aufgibt oder die Glühbirne nach kurzer Zeit nicht mehr funktioniert. Dennoch bleibt die große Revolte aus- im vollen Bewusstsein, dass diese gängige Praxis nur Minderheiteninteressen dient. Um wieder mit Weber zu sprechen: Ab einem gewissen Grad wandelt sich die Rationalität in ihr Gegenteil um. Und genau diesen Punkt hat die moderne Gesellschaft längst überschritten- mit dem aktuellen technischen Know-How könnten problemlos Güter mit einer nahezu endlosen Lebensdauer produziert werden. Diese offensichtlichen Missstände verlangen nach kreativen Ideen, die wahren Potentiale der modernen Gesellschaft auszuschöpfen.
Der Umweltökonom Niko Paech hat in seiner Postwachstumsökonomie das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, die sich vom Wachstumsdogma befreit hat und dennoch ein glückliches Leben mit einem hohen Lebensniveau führt und sich somit dem Phänomen des globalen Klimawandels entschieden entgegenstellt. Nach neuen Schätzungen dürfte der individuelle CO2-Ausstoß 2,7 Tonnen pro Jahr nicht überschreiten, um das international angestrebte Ziel der Klimapolitik von 2-Grad Celsius Erderwärmung zu erreichen. Dies würde im Angesicht der aktuellen Konsumpräferenzen- den Lieblingsäpfeln aus Neuseeland, dem Traumurlaub auf den Malediven oder dem täglichen Gebrauch des eigenen Autos- ein spürbares Umdenken der eigenen Konsumgewohnheiten erfordern: Bereits eine Flugreise nach New York belastet die individuelle Bilanz von jedem einzelnen Fluggast mit 4 Tonnen CO2 Ausstoß.
Neben der Reflektion fragwürdiger Konsumpraktiken bietet die Share Economy enorme Einsparungspotentiale für alle Mitglieder der Gesellschaft. Paech sieht insbesondere 2 konkrete Wege, die in eine nachhaltige Zukunft führen:
Zum einen kann der Nutzen jedes einzelnen Produktes intensiviert werden- neue und ausgeweitete soziale Beziehungen treten hier an die Stelle von materieller Produktion. Ein Rasenmäher wird für die gesamte Wohngemeinschaft angeschafft, die Waschmaschinen im Keller sind für alle zugänglich und die neue Bohrmaschine wird auch nur genutzt, von demjenigen, der sie tatsächlich benötigt. Der Aufbau von neuen sozialen Netzwerken ist ein Grundgedanke der Share Economy: Ein großer Pool von Gütern, die gemeinsam angeschafft werden, stehen für alle Mitglieder des Netzwerks bereit. Im Ergebnis kommt es zu einer intelligenteren Nutzung der bereits vorhandenen Güter und Produkte- der einzige Unterschied besteht darin, dass sie vom Einzel- in den Gemeinbesitz wechseln.
Zum anderen kann der geplanten Obszoleszens kreativ entgegengewirkt und somit der Nutzen jedes einzelnen Gebrauchsgutes verlängert werden. Konkret können Repair Cafes die Lösung sein: Regelmäßige Treffen von handwerklich begabten Menschen und solchen, die ein defektes Produkt lieber reparieren lassen wollen, als gleich ein neuwertiges anzuschaffen. Kreativ ist diese Lösung deshalb, weil so die individuellen handwerklichen Fähigkeiten wieder neu erlernt werden können und nicht zwangsläufig Geld als Gegenleistung für die Reparatur aufgebracht werden müsste. Denkbar wäre der Austausch von individuellen Fähigkeiten: Für die Reparatur des Smartphones revanchiert man sich in Repair Cafes zum Beispiel mit dem Optimieren der Website oder der Installation des neuesten Windows Updates. Dem kreativen Erfindungsgeist sind hierbei keinerlei Grenzen gesetzt- jeder bringt das ein, was er besonders gut kann. Auch hier kann wieder ein Pool von Fähigkeiten entstehen, von der die Gemeinschaft als Ganzes profitieren kann.
Was auf den ersten Blick abwegig und utopisch klingt, erscheint bei genauerer Betrachtung schon realistischer- bereits heute übt jedes Mitglied in dieser Gesellschaft eine bestimmte Tätigkeit aus, auf die es sich im Laufe der Zeit spezialisiert hat- jedoch für die Interessen der Investoren und des Kapitals. Share Economy bedeutet nicht nur das Teilen von Gebrauchsgegenständen, sondern auch die Rückgewinnung der gesellschaftlichen Subsistenz: Den Einsatz von gesellschaftlichen Potentialen für die Gemeinschaft und nicht länger für die Profitinteressen weniger.