Alexander Völkel

Redakteur, Fotograf, SMM (IHK) und Politologe, Dortmund und Siegen

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Das Modellprojekt „Rita+" unterstützt Firmen und Bewerber:innen: Die Teilzeitausbildung als Ausweg aus prekärer Beschäftigung und Altersarmut

Der Fachkräftemangel wird ein immer größeres Problem. Dennoch ist ein Teil der möglichen Beschäftigten von der beruflichen Teilhabe ausgeschlossen. Dann nämlich, wenn kleine Kinder zu betreuen sind oder kranke Eltern gepflegt werden müssen. Manchmal machen es die Lebensumstände schwierig oder sogar unmöglich, sich einer Ausbildung zu widmen. Ein Ausweg kann sein, die Ausbildung in Teilzeit zu absolvieren. Dem Thema widmet jetzt die AWO-Tochter dobeq (noch) größere Aufmerksamkeit.

Zumeist stehen familiäre Verpflichtungen einer Vollzeitausbildung im Weg

Obwohl das Berufsbildungsgesetz (BBiG) die Möglichkeit der Ausbildung in Teilzeit bereits seit 2005 ausdrücklich vorsieht, wird sie bisher nur selten genutzt: Nur rund 0,5 Prozent der Ausbildungsverträge, die in Deutschland abgeschlossen werden, entfallen darauf.

Der Personenkreis, der eine Teilzeitausbildung absolvieren kann, wurde im Jahr 2020 durch die Novelle des Berufsbildungsgesetzes erweitert. Nun muss der Azubi kein sogenanntes „berechtigtes Interesse" mehr nachweisen. In der Praxis am häufigsten ist nach wie vor der Fall, dass die Azubis familiäre Verpflichtungen haben, denen sie mit einer Vollzeitausbildung nicht gerecht werden können.

Darüber hinaus können aber auch gesundheitliche Einschränkungen oder psychische bzw. physische Beeinträchtigungen dafür sprechen, sich für die Ausbildung in Teilzeit zu entscheiden. Auch einige Leistungssportler:innen, die ihre sportliche Karriere vorantreiben, aber nicht auf eine Ausbildung verzichten wollen, wählen diese Möglichkeit. Und bisweilen lassen sich Flüchtlinge in Teilzeit ausbilden, wenn sie parallel noch einen Sprachkurs absolvieren oder für den Unterhalt der Familie sorgen müssen.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll verbessert werden

Um die Möglichkeit der Teilzeitausbildung sowohl in Betrieben als auch bei möglichen Auszubildenden bekannter zu machen, wurde die „Ruhr Initiative Teilzeitausbildung" (oder kurz RITA+) ins Leben gerufen.

Drei Kooperationspartner:innen - RE/init. E.v., dobeq GmbH und ZIB GmbH - setzten das Modellprojekt im Auftrag des Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen um, erklärt Chiara Lio Garcia, Projektbereichsleitung Förderzentren bei der dobeq.

In Recklinghausen, Gelsenkirchen, Dortmund, Gladbeck/Bottrop und Solingen werden 150 Teilnehmende beraten und 100 zur Aufnahme einer Teilzeitberufsausbildung vorbereitet, vermittelt und begleitet. 80 Unternehmen werden zu ihren Bedarfen für eine Umsetzung von Teilzeitberufen befragt.

Es gibt mehrere Zielgruppen: „Menschen mit Familienverantwortung, Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund, Menschen aus Einwanderungsfamilien und Menschen mit Behinderungen sollen bei Rita+ angesprochen werden", skizziert Maren Kruse, bei der dobeq Beraterin im Projekt Rita+, die Aufgabenstellung.

Das Ministerium unterstützt das Modellvorhaben, um den Standort Ruhrgebiet wirtschaftlich attraktiver und familiär zukunftssicherer zu machen. Die wissenschaftliche Begleitung soll die Bedarfe und Hemmnisse der Zielgruppen deutlich machen, um das Thema Teilzeit-Ausbildung anschließend landesweit besser fördern zu können.

Teilzeitausbildung bietet eine Chance auf eine existenzsichernde Arbeit

Die Gründe, die für eine Ausbildung in Teilzeit sprechen, liegen auf der Hand: Unternehmen bekommen potenziell mehr Bewerber:innen.

Und für die Menschen, denen wegen unterschiedlicher Einschränkungen der Einstieg in die berufliche Qualifikation verwehrt blieb, sollen die Möglichkeiten zu einer existenzsichernden Beschäftigung verbessert werden. Bislang konnten diese ohne Ausbildung nur im sogenannten „Helfer:innen-Segment" Fuß fassen - prekäre Beschäftigung, die Altersarmut zur Folge hat.

Die Berater:innen arbeiten dabei mehrgleisig: In einem ersten Schritt werden mögliche Auszubildende akquiriert und ihre Wünsche und Bedarfe ermittelt. In einem zweiten Schritt wird bei Unternehmen für eine Ausbildung in Teilzeit geworben und mögliche Ausbildungsplätze werden beschafft, erklärt Silke Gurris, die im bereits länger existierenden Projekt „Teilzeitberufsausbildung" (TEP) arbeitet.

Sie und ihre Kolleg:innen helfen den Bewerber:innen zudem bei der Bewerbung und begleiten auch während der Ausbildung. Sie fungieren als Ansprechpartner:in für die Ausbildungsbetriebe, kümmern sich um ausbildungsvorbereitende Sprachförderung sowie die Vorbereitung auf digitales Lernen.

Das ist kein zu vernachlässigender Faktor: „Die ersten Teilnehmenden kommen nicht frisch von der Schule, sondern sind Mitte 20. Sie brauchen Hilfe, da wieder reinzukommen und Berufsschulniveau zu erreichen", erklärt Maren Kruse. Einschränkungen - etwa beim Alter oder beim bisherigen Schulabschluss - gibt es nicht.

Das digitale Lernen wird immer wichtiger - es stehen Leihgeräte zur Verfügung

Die Umbrüche durch Corona, die das digitale Lernen beflügelt haben, sind zumeist an ihnen vorbei gegangen. Daher gibt es auch dabei Unterstützung und - falls nötig - auch Leihgeräte, um am digitalen Lernen überhaupt teilnehmen zu können.

Auch die Förderung und Unterstützung findet in Teilen online statt. Mehrere Lernplattformen werden dafür genutzt. 20 Endgeräte wurden dafür finanziert. Und auch Datenvolumen kann finanziert werden.

Insgesamt 20 Stunden pro Woche dauert auch die Vorbereitung. Unterstützung gibt es auch beim Suchen und Absolvieren von Praktika. Starre Regelungen für eine Ausbildung in Teilzeit gibt es nicht: „Es gibt verschiedene Teilzeit-Modelle. Man kann 20, 30 oder 35 Stunden machen - das ist Aushandlungssache", erklärt Chiara Lio Garcia.

Natürlich dauert dann die Ausbildung länger - die Zeit muss hinten angehangen werden. Doch die Ausbildungsdauer verdoppelt sich hierdurch nicht. Maximal das 1,5-fache der Regelausbildungsdauer fällt an - Verkürzungen können beantragt werden.

Doch gerade für Menschen mit Migrationshintergrund ist die sprachliche Barriere ein Problem. Auch hier stehen die Berater:innen zur Seite. Sie helfen, über das System zu informieren und auch Sprachförder-Angebote zu finden.

Dabei kommt - zumindest teilweise - der eigene Migrationshintergrund der Berater:innen zum Tragen, auch wenn dies bei „Rita+" kein Faktor ist. „Ich konnte einem Bewerber aus Polen helfen, weil ich selbst polnisch spreche", berichtet Berater Thomas Kurek.

„Das war bei einer Spanierin schon schwieriger. Aber da konnte ich auf die Ressourcen der AWO und der Kooperationspartner zurückgreifen." Diese individuelle Hilfe kommt an: „Die Leute kommen gerne und fühlen sich wohl", weiß Kurek.

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