Alexander Schmitt

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Seelsorger in Stuttgart: Wie ein Diakon die Polizei erdet

Wenn Georg Hug mit Polizisten spricht, geht es um Einsätze und Privates. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Georg Hug ist katholischer Diakon und Polizeiseelsorger in Stuttgart. In seinem Amt berät er Menschen, die für andere da sein sollen. Dabei geht es nicht nur um Einsätze, sondern auch um Privates. Hug sagt, für die Gespräche brauche er eine Mischung aus Empathie und Distanz.

Stuttgart - Wenn Georg Hug ans Telefon geht, dann nennt er nur seinen Namen. Das Wort „Polizeiseelsorger“ kommt nicht über seine Lippen, denn in seinem Beruf geht es diskret zu. Niemand muss wissen, wer seine Beratung wünscht, wer sich ihm öffnen möchte. Sein Besprechungszimmer in der Nähe der Nikolauskirche wirkt recht unscheinbar. Eine Treppe führt hinunter in den Kellerraum mit einem Esstisch, ein paar Holzstühlen und einigen schwarzen Ledersesseln. Eine Kerze beleuchtet den Raum zwischen den Gesprächspartnern, wenn auf den Sesseln über Einsätze, aber auch Privates gesprochen wird. Oft geht es dabei um Dinge, die für viele Menschen nicht zum Alltag gehören.

Der Diakon muss offen für Gefühle sein

Polizisten erleben das aber jeden Tag: Unfälle, Gewalttaten, Suizide. Georg Hug muss für die Gespräche eine Mischung aus Empathie und Distanz finden. Der katholische Diakon sieht sich als ethisch-moralischer Ratgeber. Für ihn ist wichtig, dass er die Dinge nicht zu sehr an sich heranlässt, die Geschichten nicht mit nach Hause nimmt. „Ich muss nach mir schauen“, sagt er. „Gott sei Dank bin ich in der Lage, das zu tun, was ich anderen rate.“ Trotzdem muss er dabei offen für Gefühle sein. „Sie werden immer mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert“, sagt der katholische Diakon über die Inhalte der Gespräche.

Für viele Polizisten sei es schwierig, über Erlebtes zu sprechen. „Wenn ich mir Hilfe hole, dann bin ich vermeintlich nicht stark“, sagt der Diakon über die Denkweise mancher Beamter. „Es gibt einfach keine Kultur, damit umzugehen“, meint der Seelsorger. Denn: „Polizisten sind die, die anderen helfen.“ Erst bei schweren Unfällen oder besonders emotionalen Situationen werde deutlich, dass in den Uniformen Menschen stecken. Dabei hätten die Einsatzkräfte täglich den Auftrag, andere zu schützen. „Die Menschlichkeit kann einem schon abhandenkommen“, sagt der Seelsorger über den Alltag der Polizei.

Über Umwege ins Amt gekommen

Deshalb sei es von Bedeutung, dass die Beamten jemanden haben, der sie wieder erden kann. „Es ist wichtig, dass ich bodenständig bin, dass ich Lebenserfahrung habe“, findet Georg Hug. Und genau das bringt er als Diakon mit. Nach einer Berufsausbildung, einigen Jahren bei der Bundeswehr und dem nachgeholten Abitur hat er sich dazu entschlossen, Theologie zu studieren. Es folgten die Tätigkeit als Jugendreferent in der Kirche, die Diakonweihe und der Einsatz als Diakon in der Kirchengemeinde. Seit 2010 ist Hug hauptamtlicher Polizeiseelsorger für Nordwürttemberg und seit 2014 Polizeidekan der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Georg Hug ist 59 Jahre alt, verheiratet und hat Familie. So kann er gut nachvollziehen, in welches Zuhause manche Polizisten nach einem Einsatz kommen. In den Beratungsgesprächen geht es um die Einsätze, um Probleme mit Kollegen, aber auch um Privates. Vertraulichkeit ist dabei das oberste Gebot. Nichts von dem, was bei dem Seelsorger landet, gelangt nach außen. Für ihn gilt die „seelsorgerliche Schweigepflicht“. Anders als etwa psycho-sozial geschulte Mitarbeiter der Polizei hätten Seelsorger keinen Strafverfolgungszwang. „Niemand erfährt, dass jemand bei mir war“, sagt der Diakon.

Doch seine Arbeit besteht nicht nur aus Gesprächen. Auch bei Einsätzen fährt der Seelsorger manchmal mit. „Es ist wichtig, dass wir mitkriegen: Was erleben Polizisten?“, meint Hug. So könne er viel besser nachvollziehen, was die Beamten in ihrem Alltag zu sehen bekommen und mit welchen Situationen sie konfrontiert werden. Der Diakon wünscht sich, dass auch Staatsanwälte und Richter öfter mit den Polizisten mitfahren würden. Und generell bräuchte die Polizei seiner Ansicht nach mehr politische Rückendeckung und hätte mehr gesellschaftliche Dankbarkeit verdient.

(13.10.2020)

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