Den "Vorfall in Köln" erwähnt Pegida-Gründer Lutz Bachmann am ganzen Abend nur einmal. Selbstverständlich sei der Anschlag auf die Kölner Politikerin Henriette Reker etwas, was die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands" "zutiefst bedauern". Es klingt halbherzig, er handelt das Thema in zwei Sätzen ab.
Aufrichtig empört ist Bachmann über etwas anderes: den von Politikern und Medien erhobenen Vorwurf, Pegida habe für die Tat den Boden bereitet. "Wir bleiben friedlich", ruft er der Menge auf dem Dresdner Theaterplatz zu. 15.000 bis 20.000 Pegida-Anhänger sind nach Schätzungen der Studenteninitiative "Durchgezählt" gekommen, um das einjährige Bestehen von Pegida zu begehen - es sind so viele wie seit Langem nicht mehr. Am 12. Januar wurden 25.000 Menschen gezählt.
Die Schilder und Transparente der Demonstranten, ihre Sprechchöre, die Rhetorik auf der Bühne - sie zeugen nicht von Friedfertigkeit. Mehrere Schilder zeigen die Konterfeis der Bundeskanzlerin, des Vizekanzlers und des Bundespräsidenten. Darunter die Zeilen: Angela "Mutti" Merkel, Sigmar "Das Pack" Gabriel und Joachim "Dunkeldeutschland" Gauck. Über den Gesichtern der Schriftzug "Wanted - wegen Heuchelei".
Auf der Bühne wird Bachmann noch deutlicher. Bundesjustizminister Heiko Maas vergleicht er mit einem NS-Führer aus den Dreißigerjahren. Maas hatte am Montag erklärt: "Wer Galgen und Hitlerbärten hinterherläuft, für den gelten keine Ausreden mehr." Niemand, der bei Pegida mitlaufe, werde sich von der Verantwortung frei machen können, daran mitzuwirken, "dass Hemmschwellen sinken".
Bachmann droht de Maizière
Bachmann will Bundesinnenminister Thomas de Maizière sogar wegen Beleidigung und Volksverhetzung anzeigen. Dieser hatte Pegida am Sonntagabend in der ARD als "harte Rechtsextremisten" bezeichnet. "Niemand aus dem Orga-Team von Pegida wurde je wegen einer rechtsextremen Straftat verurteilt", sagt Bachmann. De Maizières Aussage sei "pure kalkulierte Hetze".
Nach jeder Tirade gegen einen Regierungspolitiker ruft die Menge "Volksverräter!" Gegen diese müsse "Widerstand" geleistet werden, der zweite sich ständig wiederholende Sprechchor des Abends. Auf einem gelben Schild in der Menge ist der Spruch zu lesen: "Für unsere Kinder". Er klingt vertraut in diesen Tagen. "Ich tue es für eure Kinder", soll auch Frank S. gerufen haben, ehe er am Samstag in Köln Henriette Reker niederstach.
Zu den "internationalen Gästen", die die Pegida-Organisatoren zuvor angekündigt hatten, gehören unter anderem ein Vertreter der italienischen Lega Nord, Rechtspopulisten aus Tschechien, Polen und Holland und Tommy Robinson, Mitbegründer der rechten "English Defense League". Die ganz großen Namen wie Marine Le Pen oder Geert Wilders sind nicht gekommen.
Neben Bachmann und Tatjana Festerling ist der Skandalautor Akif Pirinçci der wohl bekannteste Redner. Auch er vergleicht die politische Führung der Bundesrepublik mit den Nationalsozialisten, bezeichnet sie als "Gauleiter gegen das eigene Volk". Flüchtlinge nennt er "Invasoren" und "sogenannte Schutzbedürftige" und steigert sich zu einer Obszönitätenkaskade, die selbst Pegida-Anhänger verschämt kichern lässt.
Bachmann präsentiert "Pegida-Hymne"
Den Pegida-Anhängern stellen sich mehr als 14.000 Gegendemonstranten entgegen. Schon ab dem späten Nachmittag ziehen Tausende Menschen von verschiedenen Startpunkten zu Sternmärschen durch Dresden, um unter dem Motto "Herz statt Hetze" gegen Pegida zu protestieren.
Im Laufe des Abends kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Auf dem Weg zur Pegida-Kundgebung wird ein Mann angegriffen und schwer verletzt, wie die Polizei mitteilt. Es habe mehrere Angriffe von Gegendemonstranten auf Polizeibeamte gegeben, sagte ein Sprecher. Die Polizei habe daraufhin Pfefferspray eingesetzt. Als die Polizei versucht, eine Demonstration von Gegnern zurückzudrängen, bewerfen Pegida-Anhänger sie von hinten mit Pyrotechnik, wie dpa-Reporter beobachten. Mehrfach drohte die Polizei mit dem Einsatz von Wasserwerfern, setzte die Drohung aber nicht um.
Auf dem aus seiner Sicht "emotionalen Höhepunkt" des Abends trägt Bachmann das Grußwort eines Dresdner Musikers vor, der zum einjährigen Bestehen eine "Pegida-Hymne" komponiert hat. Dem Musiker geht es, so liest Bachmann vor, darum, die deutsche Kultur zu bewahren. Die Kultur des Landes der "Dichter und Denker", der "Maler und Musiker", Musiker wie Bach, Wagner und Beethoven.
Keine 100 Meter Luftlinie von der Bühne entfernt steht ein Haus, in dem die Werke dieser Musiker regelmäßig ertönen: Die Semperoper. Eine elektronische Leinwand über dem Eingang richtet eine Botschaft an die Pegida-Anhänger. Im Wechsel heißt es dort: "Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass" und "Wir sind keine Kulisse für Intoleranz".