Von Aileen Tiedemann
Curaçao ist mehr als das "Holland der Karibik". Mit einem Völkermix aus über 60 Nationen ist die Insel 150 Jahre nach dem Ende der Sklaverei ein Schmelztiegel der Kulturen.
Merengue, Salsa, Son oder Bachata - egal, was die kubanische Band spielt, die alten Herren auf der Tanzfläche haben es drauf. Mit geschmeidigem Hüftschwung schieben sie die Damen in ihren Armen über das Parkett und wischen sich zwischendurch mit Stofftaschentüchern den Schweiß von der Stirn. Wir stehen neidisch an der Bar des Nachtclubs "Pampus" und beobachten das Schauspiel an Körperbeherrschung aus sicherer Entfernung. So anmutig bewegen sich die Paare vor uns, dass wir uns am liebsten gemeinsam mit ihnen in der Musik verlieren würden - wenn wir doch nur einen der vielen Tänze, die nachts in den Clubs von Curaçao getanzt werden, beherrschen würden.
Menschen unterschiedlichster Nationen halten sich vor unseren Augen im Arm und zeugen von dem bunten Völkermix, der auf der Karibikinsel vor der Küste Venezuelas zu Hause ist. Menschen aus über 60 verschiedenen Ländern leben in der einstigen Kolonie der Niederlande - auf einer Fläche, die kaum größer ist als Ibiza. Dass Curaçao weit mehr ist, als das "Holland der Karibik", merken wir schnell, als es am nächsten Tag nach Willemstad geht. Auf den ersten Blick wirkt die Inselhauptstadt mit ihren Häuserfassaden wie eine Mini-Version von Amsterdam, doch schon nach wenigen Schritten offenbart sich, wie viele verschiedene Kulturen das Leben auf der Insel prägen.
Die Floating Markets von CuraçaoAuf den Floating Markets am Hafen verkaufen Händler aus Venezuela frisches Obst von ihren Booten und im Stadtteil Punda ragt die einzige Synagoge der Karibik in den strahlend blauen Himmel, die einst von sephardischen Juden aus Portugal errichtet wurde. In der Mauer des Rathauses steckt noch immer die Kanonenkugel der Engländer, mit der sich die Niederländer einst um die Vorherrschaft auf der Insel stritten, und auf dem Markt bieten Einwanderer aus Haiti und der dominikanischen Republik Fisch, Souvenirs und - wir können kaum hinschauen - Schweinsnasen an. Um die Preise wird wahlweise auf Spanisch, Niederländisch und in der lokalen Sprache Papiamentu gefeilscht - einem wilden Mix aus Niederländisch, Portugiesisch und afrikanischen Dialekten der Sklaven.
Mittags flüchten wir vor der Karibiksonne in die schummrig beleuchtete alte Markthalle Marshe Bieuw, in der Ventilatoren träge den Essensdunst der vielen Garküchen zerteilen. Beleibte Frauen mit bunten Kopftüchern stehen an brodelnden Kochtöpfen und bereiten Speisen zu, die an die Sklavenvergangenheit von Curaçao erinnern. Während wir das Armenessen "Tutu", eine Bohnenpaste mit Zimtgeschmack, gebratene Bananen und Kürbis-Rosinen-Pfannkuchen probieren, haben wir das Gefühl angekommen zu sein auf einer Insel, von der wir vorher nicht mehr wussten, als dass sie den gleichen Namen wie ein blauer Likör trägt und von Meer in der gleichen Farbe umgeben ist.
Am nächsten Tag verlassen wir Willemstad mit seinem Speckgürtel aus Beachclubs und Hotels und fahren in den Westen der Insel, wo es viele einsame Buchten und exzellente Tauchreviere mit intakten Riffen gibt. Im Naturschutzgebiet rund um den 370 Meter hohen Christoffel-Berg sieht die Landschaft noch immer so aus, wie zu der Zeit, als die Spanier Curaçao 1499 entdeckten. Die Wellen brechen sich an rauem Vulkangestein, während wir durch eine Landschaft mit Kakteen, Agaven und Dornenbüschen voller Kolibris wandern.
Ganz in der Nähe am westlichsten Zipfel von Curaçao liegt das Hotel "Rancho El Sobrino", das von der jungen Münchenerin Bianca Schaf betrieben wird. Eine Unterkunft, die nichts mit den puristischen Ibiza-Look vieler Hotels auf Curaçao gemein hat, sondern die Geschichte der Insel reflektiert. Am Eingang steht der Nachbau eines Sklavenhauses und das Hotelrestaurant trägt ein traditionelles Blätterdach. "Das Urige und Traditionelle verschwindet immer mehr auf Curaçao", sagt Bianca Schaf. "Auf der Insel werden immer mehr Hotels gebaut, die aussehen wie überall auf der Welt. Seit Billigfluglinien wie Air Berlin günstige Direktflüge aus Europa anbieten, wird Curaçao für immer mehr Menschen erschwinglich." Für Auswanderer wie sie sei Curaçao nach wie vor ein Paradies. "Der Einfluss der Niederlande macht es einem leicht, sich hier als Europäer zu integrieren. Die Schulbildung ist gut, es gibt eine Rentenversicherung und sogar ausreichend Mülltonnen."
Sklavenaufstand auf der KaribikinselSo weit die Niederlande auch entfernt von der Karibik sind - auf Curaçao sind sie allgegenwärtig. Die Restaurants verkaufen Nordseefisch, in Bars hängen Fotos von Maxima und Willem-Alexander über den Tresen und die schönsten Gebäude der Insel sind die einstigen Landhäuser der holländischen Sklavenhalter. In einem von ihnen befindet sich heute das Sklavenmuseum "Tula". Friedlich liegt das Anwesen auf einer Anhöhe im Westen der Insel - umgeben von grünen Hügeln, aus denen spitz Kakteen hervorstechen. Schwer vorstellbar, dass sich genau hier vor 150 Jahren der erste Sklavenaufstand der Insel formierte. Angeführt von einem Mann namens Tula, dem nicht nur das Museum gewidmet ist, sondern auch ein Film mit Hollywoodstar Danny Glover, der im Juli auf Curaçao Premiere feierte.
Film und Museum dokumentieren das unfassbare Leid der Sklaven, aber auch ihren Kampfgeist. "Das Museum soll ein Symbol des Wiederstandes sein, in dem Sklaven nicht nur als Opfer dargestellt werden", erklärt die Museumsleiterin. "Den vielen Nachfahren der Sklaverei auf Curaçao, fehlt es immer noch an dem nötigen Selbstbewusstsein, stolz auf ihre Herkunft zu sein. Das wollen wir ändern." Und so versteht sich das Museum auch als soziales Projekt, das Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung schafft und Jugendlichen in Workshops beibringt, sich stärker mit ihrer Heimat zu identifizieren.
Am nächsten Tag ist Curaçao wieder ganz Urlaubsinsel. Erst gehen wir im Sea Aquarium mit Delfinen schwimmen und setzen dann mit einem Schiff auf die unbewohnte Insel Klein Curaçao über. Jungs mit Langzeit-Teint händigen lässig Spucktüten an die Passagiere aus, während sich das Boot über das aufgewühlte Meer quält. Nach zwei Stunden Hölle kommen wir im Paradies an. Bevor wir uns kopfüber vom Boot ins Meer stürzen, warnt der Kapitän noch: "Jetzt seht ihr noch aus wie Milchflaschen. Passt auf, dass ihr am Nachmittag nicht wie Indianer zurück an Bord kommt."
Doch weil die Traumstrände der Insel einen geradezu zur Unvernunft einladen und wir uns wie beschwipst vom Curaçao-Blau des Meeres in die Sonne legen und im Meer ohne Furcht vor UV-Strahlen Meeresschildkröten hinterherschwimmen, kehren wir am Ende des Tages krebsrot, aber glücklich zurück auf das Boot. Auf der Rückfahrt erzählt der Kapitän davon, wie er früher mit seiner Familie Weihnachten auf der Insel gefeiert habe. "Wir haben uns in festlicher Garderobe an einen Tisch am Strand gesetzt und frisch gefangenen Fisch gegessen. Es war einfach traumhaft." Diesen "Einsame-Insel-Traum" könne sich jeder erfüllen, so der Kapitän. "Man braucht sich nur an einem Tag von einem Ausflugsschiff auf der Insel absetzen lassen und am nächsten Tag mit einem anderen zurückfahren", erklärt er. Ein Tipp, den wir uns für die nächste Reise nach Curaçao merken werden.
Artikel erschienen: August 2013